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Thema: Sauca, Valentina

  1. #1
    Avatar von James Dean Brown
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    "Die Absicht (ist), nur die bezeichnendsten Episoden meines Lebens zu berichten, und zwar des Lebens, wie es sich mir ausserhalb seines natürlichen Ablaufs zu verstehen gibt, und insofern, als es den Zufällen, dem kleinsten wie dem grössten, ausgeliefert ist, als es sich vorübergehend meinem Einfluss entzieht und mich in eine fast verbotene Welt einführt: die der plötzlichen Annäherungen, der versteinernden Gleichzeitigkeiten, der dem Individum eigentümlichen Spiegelungen."

    Während der Vorbereitungen zu einer aus drängendem Fernweh und spontanem Entschluss geborenen Idee einer Videodokumentation über die Erlebnistour einiger Freunde läutete das Telefon fast täglich in hoffnungsvollem Timbre. Erstaunlich, welche verschlungenen Pfade Informationslawinen zuweilen nahmen, nur um sich in meiner zu jener Zeit bescheidenen Mansarde zu kanalisieren.
    Die Tour sollte liebevoll als 'Fitzcarraldo 2000' in unsere privaten Reisetagebücher eingehen, da wir, mitsamt unseres ein paar hundert Kilo schweren Gepäcks - mangels Direktflugs - gezwungen waren, mit sechs Flughäppchen in zwei Tagen an der Westküste Südamerikas entlangzuhoppeln, um letztlich in Arica/Nordchile anzukommen. Dort, auf einem Andenplateau, sollten wir Augenzeugen einer zweiminütigen totalen Sonnenfinsternis werden, sowie den nachts darauf anschliessenden Partyrausch am Strand der Halbinsel Isla del Alacrán initiieren. Soviel zur Projektbeschreibung. (Überflüssig, zu erwähnen, dass die Eclipse nichts weniger tat, als mein Leben zu verändern).

    Der Singsang des Telefons kündigte eine neue Aufregung an. Valentina Sauca, eine Halbrumänin, die in Paris lebt, war gerade in Frankfurt angekommen, um ihre Mutter zu besuchen. Valentina's damaliger Freund interessierte sich für die zu erwartende filmische Auswertung unserer Odyssee. Claude Challe heisst der Gute und ist, wie ein dem Blumigen zugetaner Journalist formuliert: "a name that is being whispered like an east wind blowing from the exotic shores of the Orient". Er ist der Herrscher über das Pariser Partyvolk, seit er Ende der Sechziger den Club 'Les Bains-Douches' (eine französischer Version des 'Studio 54') übernommen und ihn zu weltweiter Berühmtheit geführt hatte (heute betreibt er u.a. die 'Buddha Bar'). Hui, diese Information haute mich um. Natürlich verabredete ich mich sofort zu einem Blind Date mit der Dame.

    Wir fackelten nicht lange: Das Treffen sollte in einem Frankfurter Etablissement namens 'Nachtleben' stattfinden, ein zentral gelegener Schuppen, der dafür bekannt ist, der Ödnis des hiesigen Nachtlebens bloss einen neutralen Namen hinzuzufügen. Nur der Keller war wegen seiner netten, wöchentlich stattfindenden, als House-Parties konzipierten Familientreffen interessant. Die Türsteher hingegen, aus der Kaste der Erzproleten, bewaffnet, um den nordafrikanischen Dealern des angrenzenden Platzes das Hausrecht abzuerkennen.

    Ich süffelte nervös an meinem Bier und beobachtete die Mélange aus Kneipengästen unterschiedlicher Langeweilegrade. Die Eingangstür ging auf - ein Gongschlag ertönte, der so laut war, dass ich meine Augen schliessen musste. Als ich sie wieder öffnete, trat die Dame schon schnurstracks an meinen Tisch. Wir hatten irgendein Erkennnungszeichen ausgemacht, ist ja auch egal. Ich bin viel zu aufgeregt.

    Jetzt fehlen mir erst mal die Worte. Wie soll ich eine Frau beschreiben, deren blosse Präsenz es fertig bringt, eine Glocke über mich/uns zu stülpen, sodass der Rest der Welt praktisch nicht mehr existiert? Mein Gott, sowas passiert doch nur in Filmen! Das Projekt war mir erstmal wurscht. Wir fingen an, zu plaudern und verstanden uns prächtig.

    Keine Ahnung, worum es in unserem Gespräch ging. Was taten wir hier? Wir amüsierten uns. Der traurig betonierte Platz in meinem Rücken war so hässlich, dass mein Held der Objektkunst, Jean Tinguely, sich einst geweigert hatte, dem Auftrag der Frankfurter Stadtverwaltung zu folgen, dort einen Brunnen hinzubauen. Sein Strawinsky-Brunnen in Paris hingegen versprüht so viel farbenfrohe Lebensfreude, wie ich sie gerade im Angesicht Valentinas empfand. Nur selten trifft man einen Menschen, in dessen Nähe man vom ersten Moment an spürt, dass eine besondere, unaussprechliche Verbindung existiert, die ein Leben lang halten wird.

    Und hier sass offensichtlich Breton's Nadja; die Reinkarnation einer Frau, deren Inspiration ein Buch hervorgebracht hatte, das mich nach dreimaligem Lesen davon überzeugen konnte, für mich geschrieben worden zu sein. "Man könnte diese Ereignisse stufenweise ordnen (...), von der besonderen, unbestimmbaren Bewegung (...), die die Ankunft an dem und dem Ort in uns auslöst, begleitet von der sehr genauen Empfindung, dass für uns irgend etwas Schwerwiegendes, Wesentliches davon abhängt, bis zur vollständigen Veruneinigung mit uns selbst, die gewisse Verkettungen, ein gewisses weit über unser Verständnis hinausgehendes Zusammentreffen von Umständen bewirken."

    Ein Klingeln ertönte, in seltsamen Klangfarben, unwesentlich leiser. Das hörte nicht ich, sondern Valentina. Diesmal hatte ich etwas zu ihr gesagt: wohl ein unbeabsichtigtes Kompliment, an das ich mich leider nicht mehr erinnern kann, was mich heute noch ein ganz klein wenig verzweifeln lässt. Aber es schien etwas in ihr ausgelöst zu haben - ihr Blick erzählte es mir -, das die aufkeimende, gegenseitige Zuneigung dezent aufblühen liess. "Es handelt sich um Ereignisse, deren eigentlicher Wert zu den unüberprüfbarsten gehört (...), die ihrer Art nach bloss festgestellt werden können, aber sie haben jedesmal ganz das Aussehen eines Signals, ohne dass man genau sagen könnte, was für ein Signal es ist, sie lösen in voller Einsamkeit das Bewusstsein unwahrscheinlicher Mitwirkung aus."

    Die Zeit verging viel zu schnell. Man verabschiedete sich mit einem neu erworbenen, geheimen Wissen, das jeder für sich für den anderen in Metaphern zu kleiden wusste. Ich sah sie noch ein paarmal wieder; führte sie, den Fixstern der Nacht, stolz und geblendet in Frankfurt aus, besuchte sie in Paris.

    Das letzte Mal sah ich sie im Kino: in Grossaufnahmen auf der Leinwand. Sie spielt an der Seite von Jean-Hugues Anglade in Jean-Jacques Beineix' neuem Film "Mortel Transfert" die Freundin des Hauptdarstellers, der eine fantastische One-Man-Show abliefert. Ich hörte ihre Stimme im Original. Ich zitterte ein wenig und war recht nah am Wasser gebaut. Leider war im Kino keiner meiner Bekannten anwesend, in dessen Arm ich mich hätte festkrallen können.
    Valentina wohnt jetzt mit Beineix zusammen und hat vor kurzem eine Tochter geboren.
    ------------------
    "Und so geht es mit den Wahlempfindungen (...); gerade das Unmitteilbare an ihnen ist eine Quelle unvergleichlichen Vergnügens."
    Geändert von James Dean Brown (05.01.2002 um 18:13 Uhr)

  2. #2
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Hui!
    ------------------
    standard disclaimer: Ich finde das neue Forum gut und habe unseren Hausmeister lieb.

  3. #3
    Moderatorin Avatar von Frau H aus B
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    Oh lˆ lˆ! Bei der Lektüre spürt man förmlich, wie der Blitz einschlägt.

  4. #4
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    'hui', genau.
    ein gong, der so laut ist, dass man die augen schliessen muss. das ist schön.

  5. #5
    Avatar von Goodwill
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    Ich kannte Valentina Sauca vor diesem Liebesbrief an sie nicht. Woher auch? Aber jetzt muss ich den Film sehen! Klingt nach Naturereignis.
    Wie oft, JDB, hast Du in jüngster Zeit davon geträumt ein berühmter Diskothekenbesitzer oder Filmregisseur zu sein? Ständig, dauernd oder jede Nacht? Eine Frau, die eine Glocke über Dich stülpen kann und dabei geradewegs aus Deinem Lieblingsbuch ins wahre Leben spaziert... ja, ÈhuiÇ trifft es schon ganz gut. Andererseits: Vielleicht ist sie so eine Art moderne Alma Mahler-Gropius-Werfel - allzuschnell ins Genie verliebt und allzuselten in den dazugehörigen Mann.
    Ich hätte natürlich zur Abrundung gerne erfahren, was aus diesem Treffen mit Monsieur Challe geworden ist und was aus dem ÈSofiÇ-Film. Da sehe ich erzählerisch noch einen blinden Fleck.
    Das Gefühl, gesegnet zu sein, das sich nach einer totalen Sonnenfinsternis einstellt, kenne ich. Es ist dem Gefühl nicht unähnlich, das sich einstellt, wenn man die Höfliche-Paparazzi-Seite für sich entdeckt. Allerdings noch einen Tick stärker.

  6. #6
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    Lieber James: als Ex-Frankfurter hat's mich bei der treffenden Beschreibung der Betonwüste Hauptwache, samt des 'Nachtlehms' untendrunter, kalt geschüttelt.
    Ich hätte deiner Geschichte ein Happy-End gewünscht, ein schönes, warmes, rundes.
    Und die Fitzcarraldo-Tour möchte ich auch noch gerne lesen.
    Beste Grüße vom g.

  7. #7
    Hobel Avatar von Ignaz Wrobel
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    Bin ja eigentlich kein Freund des Blumigen, aber hier paßt es, sehr kunstvoll verwoben: Der Film, die Frau, die Zitate und die Frankfurter Tristesse. Doch, das hat wirklich was.

  8. #8
    Avatar von Goodwill
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    Meine Lieblingsstelle ist die, wo die Godiva das Lokal betritt. Für ein paar schwindelnd kurze Sätze wechselt JDB in die Gegenwart. Man merkt, wie aufgeregt er ist. Dann fängt er sich und erzählt wieder in der Vergangenheit.

  9. #9
    Avatar von James Dean Brown
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    Danke, liebe Gemeinde. Goodwill hat's genau getroffen: Valentina ist in jenes Genie verliebt, das sie in einem Mann zu erkennen glaubt (aber wer ist Alma Mahler-Gropius-Werfel?). Wobei ich mich nicht als Genie bezeichnen würde, aber die Hauruck-Aktion unserer "Fitzcarraldo 2000"-Tour, verbunden mit meinem, äh, Geheimwissen imponierte ihr sehr. Sie war auch mal mit Tom Barmans, dem eigenwilligen Sänger der belgischen Guitarren-Band Deus verbandelt. Mit mir übrigens auf rein telepathisch/pataphysischer Ebene. Eine neue Erfahrung...

    Coda/Fussnoten:
    Am liebsten würde ich weitere, sehr seltsame Erlebnisse mit der Dame dranhängen, aber wo passen die rein? Andererseits: Höflichkeit bedeutet Schweigen. Sie ist übrigens - ich unterschlug diese Tatsache aus Gründen der Zweitrangigkeit - Model und war bereits vor dem grossen Coup mit Beineix Schauspielerin in kleineren Rollen. Hatte mich nicht sonderlich interessiert, denn derer gibt es so viele. Anders als viele ihrer Kolleginen ist sie jedoch keinesfalls eine Affekteuse, die bloss mit Egozentrik zu glänzen vermag.

    Das Treffen mit Monsieur Challe ist ebenfalls unwichtig, deswegen habe ich es ausgespart. Es war aber geradezu bizarr: Er lebte damals in einem zweistöckigen Etablissement in der rue St. Denis. Das Telefon klingelte alle 2 Minuten. Wir plauderten angeregt, aber dieser Mann hat so viele Ideen im Kopf, dass er zu deren Realisation mindestens zwei Leben bräuchte. Ein anderes Mal fuhr ich mit dem agilen Knaben und einem seiner engsten Freunde in dessen Bentley, lustige Zigaretten rauchend, zur überkandidelten Premierenfeier einer Frau, die eine CD aufgenommen hatte, nicht singen kann, aber einen Produzenten als Gatten ihr eigen nennt. Ein Klassiker.

    Das Rohmaterial unseres Reise-/Eclipsen-/Partyfilms hat eine Länge von ca. 11 Stunden. Wir konnten immerhin ein paar Minuten an die üblichen Abnehmer der deutschen Jugend-TV-Landschaft verkaufen. Durch die Spontaneität unserer Aktion bedingt, sowie mangels zementierter Verträge war nicht viel mehr drin. Sogar Steve Blame rief mich an, um mich bezüglich der Relation Material/Honorar ganz MTV-typisch bescheissen zu wollen. Alles wurscht, denn das oben beschriebene Treffen und die wichtigsten zwei Minuten meines Lebens, in Gesellschaft mit ca. 20 Vertrauten auf einem einsamen Plateau, können mich locker über mein mangelndes Verkaufsgenie hinwegtrösten.

    Natürlich MUSS man den Beineix-Thriller sehen, nicht nur wegen Valentina Sauca, sondern wegen Jean-Hugues Anglade und einem anderen französischen Naturereignis namens Hélène de Fougerolles (demnächst in Ihrem Filmforum). Der Regisseur in Höchstform: "Diva" war schon ein Kracher, der genau in die damalige Zeit gepasst hat; an "Betty Blue" scheiden sich die Geister. Ich sah "Mortel Transfert" als Preview während des 'Fantasy Fimfest'. Das nächste Mal will ich aber nicht alleine gehen. Geht jemand mit?

    PS, graumauser: das ist ein Happy End. Ein ganz grosses.
    ------------------
    "Und so geht es mit den Wahlempfindungen (...); gerade das Unmitteilbare an ihnen ist eine Quelle unvergleichlichen Vergnügens."
    Geändert von James Dean Brown (05.01.2002 um 18:15 Uhr)

  10. #10
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    Sehe ich nach dieser Geschichte nach der Geschichte auch so.
    Ich gönn's dir; frankophile Frankfotter sind eh' die Besten.
    (Ich könnt' jetzt mal den Cohn-Bendit an der Kinok......neinnein, das heb' ich mir auf, für später, falls ihr mich dann noch mögen tut.....hihi...)
    g.

  11. #11
    Avatar von Goodwill
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    Nur weil danach gefragt wurde: Besagte Alma war eine lebenslustige junge Wienerin, die als junge Frau mit dem Maler Gustav Klimt turtelte, bevor sie den Komponisten Gustav Mahler heiratete, nach ihrer Werwitwung den Architekten Walter Gropius ehelichte, mit dem Maler Oskar Kokoschka eine lange Affaire hatte und schließlich mit dem Dichter Franz Werfel in die USA auswandern musste. Ziemlich vertrackt das Ganze. Nach Franz Werfel ergab sie sich meines Wissens nach nur noch Benedictine, einem Kräuterlikör aus Frankreich.

  12. #12

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    Goodwill, Sie haben in Ihrer Prominentenliste Alma Schindlers noch Alexander Zemlinsky vergessen, dem sie ebenfalls vor Mahler schöne Augen machte. Zemlinsky war ihr dann aber wohl doch nicht glamourös genug.
    In die heutige Zeit übertragen war Alma Mahler/Werfel/Gropius damit so etwas wie Jenny Elvers oder Naddel, nicht?
    (Beitrag wurde von Lilaxista am 19.11.2001 um 19:00 Uhr bearbeitet.)

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