Dunkel und muffig war es im großen Raum und das Summen des Diaprojektors klang unangenehm einschläfernd. Auf den ansteigenden Sitzreihen kauerten die Zuhörer vor sich hin. Die Dias vorn auf der Leinwand zeigten das Mausoleum von Halikarnassos, pardon, das Maussoleion, so wie es vielleicht aussah, bevor es irgendwelche Kreuzfahrer zu einer weiteren dieser ungeheizten Zwingburgen umgebaut hatten. Der Professor redete vor sich hin, mehr zu sich als zu uns, wie immer, man döste und es ist übrigens eine Ewigkeit her, es nannte sich stolz Studium der klassischen Archäologie.
Ich schraubte mich langsam auf dem harten Holzsitz nach links zu den verhängten Fenstern und hielt Ausschau, denn dort musste sie doch sitzen - ha und es traf mich wieder wie ein Blitz. Wie soll ich es sagen? Durch eine Falte am Rand eines der Vorhänge schüttete sich eine handvoll schräges Licht auf ihre goldenen Haare. Ja, da saß sie. Wie sie hieß, wusste ich nicht. Aspasia? Ich glaube nicht, dass sie mich je gesehen hat. Was mochte sie jetzt denken, meinetwegen zum Beispiel vom Mausoleum, pardon, vom Maussoleion? Sollte ich sie nachher fragen, was denkst du über das Mausoleum, das Mau-, meine Hände schwitzten, ich musste die muffige Luft ein zweimal heftig einsaugen und wäre so gern an irgend einem friedlichen Ort gewesen. Übergangslos war das Seminar zu Ende, das Licht ging kalkig an, dieses Neonlicht, in dem jeder so völlig verbraucht und dösig aussieht. Ich drückte mich zum Ausgang, hinaus aus diesem muffigen Saal, aber ich überlegte, überlegte... da stand Clara, mit der ich mich vorgestern über irgendein Buch unterhalten hatte, eine Freundin jener, vor welcher mir schwindlig ward. Na, hast du auch was gelernt?, fragte ich. Nur nichts über die Mäuse im Mausoleum, sagte sie. Maussoleion, erwiderte ich besserwissend. Kommst du mit?, fragte sie. Es ist gleich eine Versammlung, ein Minister kommt auch. Es geht um diese Mittel, die sie der Uni nicht geben wollen. - Ich erinnerte mich. Das Geld fehlte, überall in dieser Uni war es so muffig wie hier im Saal und in den Bibliotheken taten die Bucheinbände schon was sie wollten. Clara wagte ich nicht zu fragen, ob ihre Freundin auch dorthin wollte, nein, das doch nicht! Und wenn! Wenn! Ich schaute mich um, aber jene, die mich nicht sah, war nirgendwo.
Also ging ich mit Clara zur Versammlung, diesmal ein moderner Raum, völlig überfüllt mit lauten und wütenden Studenten. Ich quetschte mich mit Clara auf eine Empore und horchte mit halbem Ohr auf die Worte des Mannes unten auf der Bühne. Sein kalter rheinischer Akzent sprach von lächerlich geringen Beträgen. Ich versuchte mich zu drehen und blickte am nahen Stoppelgesicht meines Nachbarn angestrengt hin und her durchs Gedränge, denn sie war vielleicht anwesend, hier oder dort, irgendwo - da, da stand sie, gar nicht weit weg, nur ein paar Arme entfernt von Clara, auf der anderen Seite, ich sah sie im Profil. Es durchfuhr mich heiß und eisig.
Der Mann unten sprach immer noch von Geld. Vielleicht würde mich die Göttliche irgendwie wahrnehmen, jetzt oder nie. Ich rief hallend hinunter 'Was verdienen Sie denn eigentlich so?' Gejohle. Der Mann drehte langsam sein Gesicht zu mir, ich sah das Weiße in seinen bösen Augen, keinerlei Humor, Scheitel wie mit dem Lineal gezogen, Nussknackergesicht, eine Erscheinung wie aus den verzweifelten späten Siebzigern. Er sagte, das sei im Bundesgesetzblatt xyz publiziert und es seien soundso viel Mark oder etwas, mein Blick flatterte zu der Einzigen, aber sie war weg!, wo war sie, wo, dort drückte sie sich durchs Gedränge in Richtung Ausgang, ich hätte sie unter Tausenden sofort erkannt. Wusste sie von mir? Ich rief hallend nach unten 'Ist das nicht etwas viel für Sie?' Ich drängte mich auch irgendwo hin, zum Ausgang, zu kopflos, und als ich dort viel zu spät ankam, war sie weg. Sie hat nie von mir gewusst.
(Beitrag wurde von Herr Cohn am 09.11.2001 um 23:44 Uhr bearbeitet.)
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