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Thema: Möllemann, Jürgen W.

  1. #1
    [Member] Avatar von Herr Cohn
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    Dunkel und muffig war es im großen Raum und das Summen des Diaprojektors klang unangenehm einschläfernd. Auf den ansteigenden Sitzreihen kauerten die Zuhörer vor sich hin. Die Dias vorn auf der Leinwand zeigten das Mausoleum von Halikarnassos, pardon, das Maussoleion, so wie es vielleicht aussah, bevor es irgendwelche Kreuzfahrer zu einer weiteren dieser ungeheizten Zwingburgen umgebaut hatten. Der Professor redete vor sich hin, mehr zu sich als zu uns, wie immer, man döste und es ist übrigens eine Ewigkeit her, es nannte sich stolz Studium der klassischen Archäologie.
    Ich schraubte mich langsam auf dem harten Holzsitz nach links zu den verhängten Fenstern und hielt Ausschau, denn dort musste sie doch sitzen - ha und es traf mich wieder wie ein Blitz. Wie soll ich es sagen? Durch eine Falte am Rand eines der Vorhänge schüttete sich eine handvoll schräges Licht auf ihre goldenen Haare. Ja, da saß sie. Wie sie hieß, wusste ich nicht. Aspasia? Ich glaube nicht, dass sie mich je gesehen hat. Was mochte sie jetzt denken, meinetwegen zum Beispiel vom Mausoleum, pardon, vom Maussoleion? Sollte ich sie nachher fragen, was denkst du über das Mausoleum, das Mau-, meine Hände schwitzten, ich musste die muffige Luft ein zweimal heftig einsaugen und wäre so gern an irgend einem friedlichen Ort gewesen. Übergangslos war das Seminar zu Ende, das Licht ging kalkig an, dieses Neonlicht, in dem jeder so völlig verbraucht und dösig aussieht. Ich drückte mich zum Ausgang, hinaus aus diesem muffigen Saal, aber ich überlegte, überlegte... da stand Clara, mit der ich mich vorgestern über irgendein Buch unterhalten hatte, eine Freundin jener, vor welcher mir schwindlig ward. Na, hast du auch was gelernt?, fragte ich. Nur nichts über die Mäuse im Mausoleum, sagte sie. Maussoleion, erwiderte ich besserwissend. Kommst du mit?, fragte sie. Es ist gleich eine Versammlung, ein Minister kommt auch. Es geht um diese Mittel, die sie der Uni nicht geben wollen. - Ich erinnerte mich. Das Geld fehlte, überall in dieser Uni war es so muffig wie hier im Saal und in den Bibliotheken taten die Bucheinbände schon was sie wollten. Clara wagte ich nicht zu fragen, ob ihre Freundin auch dorthin wollte, nein, das doch nicht! Und wenn! Wenn! Ich schaute mich um, aber jene, die mich nicht sah, war nirgendwo.
    Also ging ich mit Clara zur Versammlung, diesmal ein moderner Raum, völlig überfüllt mit lauten und wütenden Studenten. Ich quetschte mich mit Clara auf eine Empore und horchte mit halbem Ohr auf die Worte des Mannes unten auf der Bühne. Sein kalter rheinischer Akzent sprach von lächerlich geringen Beträgen. Ich versuchte mich zu drehen und blickte am nahen Stoppelgesicht meines Nachbarn angestrengt hin und her durchs Gedränge, denn sie war vielleicht anwesend, hier oder dort, irgendwo - da, da stand sie, gar nicht weit weg, nur ein paar Arme entfernt von Clara, auf der anderen Seite, ich sah sie im Profil. Es durchfuhr mich heiß und eisig.
    Der Mann unten sprach immer noch von Geld. Vielleicht würde mich die Göttliche irgendwie wahrnehmen, jetzt oder nie. Ich rief hallend hinunter 'Was verdienen Sie denn eigentlich so?' Gejohle. Der Mann drehte langsam sein Gesicht zu mir, ich sah das Weiße in seinen bösen Augen, keinerlei Humor, Scheitel wie mit dem Lineal gezogen, Nussknackergesicht, eine Erscheinung wie aus den verzweifelten späten Siebzigern. Er sagte, das sei im Bundesgesetzblatt xyz publiziert und es seien soundso viel Mark oder etwas, mein Blick flatterte zu der Einzigen, aber sie war weg!, wo war sie, wo, dort drückte sie sich durchs Gedränge in Richtung Ausgang, ich hätte sie unter Tausenden sofort erkannt. Wusste sie von mir? Ich rief hallend nach unten 'Ist das nicht etwas viel für Sie?' Ich drängte mich auch irgendwo hin, zum Ausgang, zu kopflos, und als ich dort viel zu spät ankam, war sie weg. Sie hat nie von mir gewusst.


    (Beitrag wurde von Herr Cohn am 09.11.2001 um 23:44 Uhr bearbeitet.)

  2. #2
    Member Avatar von Lautmakel
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    Geändert von Lautmakel (20.10.2002 um 15:29 Uhr)

  3. #3
    Avatar von lacoste
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    Herr Cohn ist ja so humorvoll und so originell!

  4. #4
    [Member] Avatar von Herr Cohn
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    Frau Lacoste, watschen Sie mich doch nicht so ab.

  5. #5
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    Und tatsächlich mußte ich gestern, bei ALDI meinen Einkaufswagen schiebend, auch an den Mann denken: kurz vor der Kasse kann man sich mit leeren Verpackungskartons eindecken, und während meine sorgfältige Wahl auf
    Bockwurst
    In zarter Eigenhaut
    5=250g
    fiel, dachte ich an Möllemann im Fallschirmspringeranzug, berühmtes Photo von einem Wahlkampfstunt (Landung im Fußballstadion?).
    ***
    Die Geschichte ist wirklich schön, ich fühle mit Ihnen. Diese geradezu filmische Steigerung am Ende, jäh in eine Leere und Verlassenheit mündend, die den Möllemann (schuldlos daran!) nur noch grauenhafter macht. Er bleibt als erstarrte Fratze im Raum stehen.
    Leider hat ihn ja dann später irgendjemand abgeholt.

    Fanny
    (Beitrag wurde von Tiffany Nudeldorf MD am 09.11.2001 um 23:36 Uhr bearbeitet.)

  6. #6
    Avatar von Benzini
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    Benzini völlig resigniert
    nach draußen stierend nichts kapiert.
    Nur: 'Eine handvoll schräges Licht'
    und 'wie sie hieß, wußte ich nicht.'
    Das muß uns lyrisch Zeichen senden
    wie 'laute, wütende Studenten.'



  7. #7
    Avatar von Die Wucht
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    Ein gefallener Held richtet sich auf und gleitet aus.

  8. #8
    Moderator Avatar von honz
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    Quellsoße

  9. #9
    Moderator Avatar von honz
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    Ihre Homepage auch.

  10. #10
    [Member] Avatar von Herr Cohn
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    Honz, honzen Sie sich doch einen.

  11. #11
    Avatar von Benzini
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    Gutgemeinter Vorschlag fürs passendere Forum schlechte Romananfänge von Benzini:
    - Sein handvoll Lächeln schräges Licht,
    wie heiß sie wurde, verstand er nicht.

  12. #12
    Avatar von lacoste
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    Ach hört doch auf!!! Wenn schon schlechte romane, dann bitte so:
    Leider kenne ich Jürgen W. Möllemann nicht persönlich im Sinne von ³persönlichã, doch wir begegneten uns einmal. Das ist schon länger her und Herr Möllemann wird sich sicher nicht mehr daran erinnern, dafür aber ist mir diese Begegnung umso nachhaltiger im Gedächnis verblieben.
    Herr Möllemann regiert die Stadt Münster aus dem Untergrund, das muss man wissen, um diese Geschichte verstehen zu können, selbstverständlich gibt es pro forma einen Stadtrat und all dieses überflüssige Gedöns in Münster. Das interessiert aber niemanden, am allerwenigsten mich selbst!
    Wie auch immer...
    Herr Möllemann ist seit Jahr und Tag der Anführer einer äußerst bösen und brutalen Motorrad-Bande die sich den schreckliche Namen ³Eyteen-Devilsã auf die Lederjacken gepirst hat und besonders nachts, wenn alle schon schlafen, mit einem Höllenlärm durch die Straßen braust, Schaufenster einschlägt unf Feinkost-Läden ausraubt! Die Beute verteilt er dann unter den Bedürftigen der Stadt, besonders zu Weihnachten!
    Kein Wunder also, dass Herr Möllemann in Münster fast wie ein Heiliger gehandelt wird und großes Ansehen genießt!
    Wie oft habe ich als Kind sein Bild gemalt??? Ich weiß es nicht mehr!!!
    Im Kindergarten machten wir aus frisch gesammelten Kastanien Möllemann-Figuren, als zusammenbaubarer ³Möllemannã zog er später in unsere Partykeller ein und nahm so wohl ö bei Garry Glitter und Queen und Suzi Quatro - auch die ein der andere Joint-Nase mit, während wir uns knutschend Kaugummis im Haar verteilten, um uns später verschämt nicht mehr ins Gesicht blicken zu können. Ich bin halt mit Herrn Möllemann großgeworden und ich bereue es nicht!!! NIEMALS, aber auch wirklich NIEMALS könnte ich mich der Meinung meiner Vorfahren anschließen, die noch immer behaupten, Jürgen W. Möllemann sei gar kein echter Münsteraner, sondern nur ein Zugezogener. Ein Zugezogener, wie Steffi Stephan übrigens, der weltberühmte Musikproduzent, aber das ist eine andere Geschichte und die ist schon woanders erzählt worden!
    Aber zurück zum Thema DIESER romantischen Retro-Geschichte!!!
    Die brutale Möllemann-Motorrad-Bande brauste also die Straßen entlang und ich stand 13-jährig am Fenster und schaute ihr sehnsuchtvoll nach. Um dann in einen tiefen Schlaf zu fallen und Folgendes zu träumen:
    Herr Möllemann ist in eine Felsspalte gefallen und kommt nicht mehr raus!!! Er schreit um Hilfe!!!
    Da erwachte ich! Was für ein schrecklicher Traum!!!! Noch heute graust es mich bei der Erinnerung!!!
    Zehn Jahre später stand Jürgen W. Möllemann leibhaftig vor mir! Im Wolfgang Borchert Theater!!! DER Jürgen W. Möllemann, ER!!!!!!!! Kurz vorher hatten wir mit den Grünen einen kleinen Streit über Subventionen gehabt, in dem ich einen miesen Trick anwendete, für den ich mich heute noch beachtlich schäme:
    In meiner Funktion als Betriebsrat des Theaters lockte ich den Großmeister der Grünen in einen Kneipen-Hinterhalt, machte ihn betrunken, kolportierte hinterher ALLES was er gesagt hatte an die Lokal-Zeitung und Schwupps ö war der schönste Streit im Gange!!! Alle Zeitungen voll!!!!! ALLE Parteien waren dabei!!
    Nur drei Tage später kam Jürgen W. Möllemann mit seiner Frau Carola in die Vorstellung. Der erste FDP-Besuch!!! Wir spielten ³Unser Dorf soll schöner werdenã, einer von der CDU war auch da, Herr Strässer von der SPD auch, nur die Grünen schmollten noch, PDS und sowas gibtâs in Münster nicht!
    Bis hierher eigentlich alles nicht brichtenswert, AAAAABER:
    Herr Möllemann beeindruckte mich auf exorbitante Weise: Er verzog sich in eine Ecke des Foyers, rauchte eine Zigarrette und ließ seine Frau den peinlichen small-talk mit dem Intendanten machen. Als der Intendant aber wirklich ZU peinlich wurde, kam Herr Möllemann hinzu, und sagte ein paar Sachen, woraufhin sich der Arschloch-Intendant verzog!!!
    Als die Vorstellung dann anfing, warf ich Herrn Möllemann einen Blick zu, den wir bis heute nicht verstanden haben.

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