Ich lebte mal in Muenchen. Das moege man mir verzeihen, es wird auch nicht wieder vorkommen. Muenchner bezeichnen ihre Schloesser- und Biergartenansammlung gern als noerdlichste Stadt Italiens. Ein Witz! Erstens scheint die Sonne dort statistisch geprueft weniger als in Hamburg, zweitens ueberfahren Muenchner Taxifahrer ungeruehrt Hunde, ich habâs selbst gesehen. Gibt es so was etwa in Italien? Eben!
Da ich kein Skifahrer bin, wollte ich mich durch Tennis ein wenig fit halten. Ich verabredete mich mit einem Arbeitskollegen in einem Tenniscenter am Georg-Brauchle-Ring. Das ist so eine Art Stadtautobahn durch den Olympiapark, ueber die das vierzylindrige Verwaltungsgebaeude von BMW wacht. Hier gilt: Traue keinem unter 100. Mit auswaertigem Kennzeichen und nur 60 Stundenkilometer fahrend wirst du schnell zum Hassobjekt der ach so weltoffenen Einheimischen.
Mein Kollege kam und kam nicht. Ich stand unnuetz im Vorraum der Tennishalle herum. Die gehoerte, wie ich bald erfuhr, dem Kapitaen des deutschen Daviscup-Teams, dem Jugoslawen Niki Pilic. Draussen fuhr ein schwarzer Mercedes-Gelaendewagen vor, ich konnte es durch die verglaste Eingangstuer sehen. Heraus sprang, in einen blauschwarzen Fallschirmseide-Sportanzug gewandet, Boris Becker.
Die blasse Miene versteinert, mit rotblondem Dreitage-Bart und die Sporttasche ueber die Schulter geworfen, fegte er geradezu herein. Es war das Jahr, in dem Becker das Wimbledonfinale gegen Michael Stich verloren hatte. Mir kam, selten genug, eine kuehne Idee: Wenn mein Kollege nicht erscheinen sollte, ob ich wohl Boris kurz mal um eine Lehrstunde frage? Die mir angeborene Schuechternheit sowie meine Hoeflichkeit liessen mich zoegern.
Becker war laengst in einem verglasten Buero, das zum Schlaeger bespannen genutzt wurde, verschwunden. Ich tat etwas, was ich nie zuvor getan hatte. Ich folgte einem mir persoenlich wildfremden, aber prominenten Menschen. Ich ging hinter dem Leimener Monegassen, der gerade erst in Muenchen die singende Fotografentochter Barbara Feltus kennen gelernt hatte, her in den Glaskasten. Keine Ahnung, welcher Teufel mich geritten hatte.
Hoeflich erlaeuterte ich mein Anliegen, in der offenen Tuer stehend. Boris starrte mich an. Sicher, ich war voellig bescheuert und machte mich gerade zum Affen, aber Versuch macht kluch! Er haette erst letzte Woche mit einem Amateur gespielt, entgegnete Becker, und einmal in der Woche muesste reichen. Dann verwies mich ein Angestellter des Glasbueros.
Ich hasste mich dafuer. Aber ich sank noch tiefer. Als Becker, sichtlich nicht nur von einer Grippe verschnupft, wieder herauskam und in den Sportshop des Tenniscenters ging, trabte ich hinterher und startete einen zweiten Versuch. Diesmal sagte er gar nichts, dafuer komplimentierte mich sein damaliger Trainer, ein Tscheche namens Tomas Smid, unhoeflich hinaus.
Mit eingezogenem Schwanz schlich ich aus dem Center. Wie konnte ich nur? Wer war ich denn? Ich habe seitdem nie wieder einen Tennisschlaeger in die Hand genommen. Auf dem Weg zu meinem Wagen sah ich kurz in den schwarzen G-Klasse Mercedes von Becker. Auf dem Beifahrersitz lagen zwei unbenutzte Pizza-Hut-Servietten und eine leere Pizzaschachtel.
Mein Kollege hatte uebrigens einen Auffahrunfall auf dem Weg zur Tennishalle.
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