Das Schönste an dem Lampenladen sind die Beben. Man ahnt sie bereits in der Anpirschphase. Das Herz klopft. Und es wird unweigerlich schneller, wenn das erste Grollen durch die Mauern stampft. Empfindsamen Geistern stellen sich die Nackenhaare auf, wenn schließlich die Ganzkörperbrause aus Schall und Erschütterungen rundum niedergeht. Die Teleskoparme der Büroleuchten beginnen zu schwingen. Die Hängefluter schlingern sachte. Etliche der besonders magersüchtigen Stehlichter geraten lärmtrunken ins Schwanken. Dann ist die S-Bahn auch schon vorbei gerumpelt.
Die vier Backstein-Gewölbe am Berliner Savignyplatz sehen von Außen aus wie ein Aquarium für geheimnisvolle Lichtquellen. Hinter den großen Glasscheiben: Zighundert tentakelnde Design-Objekte, die im Wesentlichen aus Glühbirnen und raffinierten Ideen bestehen. Ein paar exquisite Möbel stehen dazwischen und ein paar Menschen. Manche haben sogar schon einen Zwinkertick. Sie sprechen so leise wie Museumskuratoren. In Wirklichkeit sind sie die Verkäufer.
Mitte November 1998. Eine neue Politikergeneration hatte die Wahlen gewonnen aber noch nicht wirklich an den Schalthebeln der Macht Platz genommen. Ich hatte zum Geburtstag Geld von meinen Großeltern bekommen aber mir dafür noch nichts wirklich Vorzeigbares geschenkt. Berlin sollte bald wieder Regierungssitz werden. Meine Küche sollte mit einer zusätzlichen Lampe heller werden. In der neuen Mitte wuchsen immer pompösere Bauten in den Himmel; Baustelle und Schaustelle in einem. In der Steckdose über meinem Herd wollte ich das praktische Modell ÈGlühwürmchenÇ platzieren; Stecker, Schalter und Lampe in einem.
Nach dem Bezahlen trat ich lichtsatt und wohlinformiert über die neuesten Beleuchtungstrends wieder aus dem Lampenladen ins Freie. Ich hatte mehrere Beben genossen. Es war schon sehr dunkel. Unter dem Arm trug ich mein ÈGlühwürmchenÇ, in der Tasche eine Ersatzglühbirne. Küche, ich komme. Doch gemach: Neben einem mittelgroßen, kerzenhaltenden Baum aus verwegen gewundenem Draht erschien mir Jürgen Trittin. Unwild und hinter Glas, wie in einem riesigen Fernseher. In der Erinnerung kommt er mir heute seltsam kleinkarriert vor. Ich hoffe, es war nur das Sacko.
Trittin hatte seine Arme ausgebreitet, hielt sich an einem Stehpult fest und betrachtete sich im nach Innen spiegelnden Schaufenster. Das Stehpult hätte ein Bauhaus-Entwurf sein können: Einfach, klar, silbrig. Der werdende Umweltminister knipste ein Lächeln an. Dann wieder aus. Er trat einen Schritt zurück, kräuselte die hohe Stirn, beugte sich vor, schien etwas zu suchen. Einen Knopf, um die Höhe zu verstellen? Das Manuskript für sein neues Leben als Minister? Ein Preisschild? So ganz war er mit dem Ding nicht einverstanden. Wieder ran ans Pult. Sein Körper machte Kikeriki. Lächeln an, Lächeln aus, dann wieder an, weil er mich draußen in der Dunkelheit bemerkt hatte. Scheuer Blick aufs Pult, schlendernder Abgang ins Ladeninnere.
Ob er sich das Silberding gekauft hat, weiß ich nicht. Monate später stand es immer noch im Schaufenster und bebte.
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