Hoppala - jetzt habe ich die ganze Geschichte in der Überschrift erzählt. Da bleibt mir nichts, als die Rahmenbedingungen zusammenzukehren und anbei niederzuschreiben.
Ich besuchte mit meinem Freund Olaf Angies Nightclub in Hamburg - eine Zerstreuung, die uns beide immer wieder entzückte, aber auch in unterschiedlichem Ausmaß der Betriebsstörung im Geldautomaten näher brachte ("zur Zeit keine Auszahlung möglich").
Für Wiener: Angies Nightclub ist EIGENTLICH ein ganz wunderbarer Schuppen, der im Dachgeschoss des nicht weniger lobenswerten Schmidt's Theaters untergebracht ist und den man nur von Mitte November bis Mitte Januar (oh: Jänner) meiden muss. Dann nämlich ist er verseucht von Weihnachtsfeiern, was im Einzelnen bedeutet: links und rechts tanzen Männer, die sich (Film friert auf Nahbild ein) daran erinnern, was sie einmal gewogen haben, was sie einmal gelebt, gewollt, gemocht und strikt abgelehnt haben. Dieser Gemütszustand ist eine schmerzhafte Ambivalenz aus Beinahe-Extase und Schwermut und hat oft Spätfolgen.
Ansonsten ist Angies eine feine Bar mit großartiger Livemusik und Getränkepreisen, die immer und immer wieder das gleiche alberne Kichern auslösen.
Die Band steht mitten im Jugendstil-Dachgeschoss, und es ist mir mehr als einmal passiert, beim Tanzen ungewollt und unrhythmisch auf das große Crash-Becken zu klopfen.
Die Musikrichtung ist EIGENTLICH Mainstream von unakzeptierbarer Sorte. Viel Al Jarreau, Stones und so'n Zeug. Aber immer mit einem subversiven Touch. Immer auch die Erlösung: Ein Lied, das keiner kennt und auf das alle abfahren (New Radicals, Steely Dan zum Beispiel).
Während einer gewagten Roachford-Adaption stellte sich Nick Cave hinter Olaf, um ein Bier zu kaufen. Ja, erinnerte ich mich blitzartig, Nick-Cave-Konzert, heute, Alsterdorfer Sporthalle sogar, hatte doch gerade den Hit mit Kylie Minogue. Hinten saß dann auch ö geduldig ö ein halbes Dutzend Groupies. Herr Cave sah wirklich gut aus. Ich muss mal anfangen, Drogen zu nehmen.
Exkurs: Hanseaten und Friesen. Eines muss man jetzt wissen: In Hamburg genießen Promis die höchste Stufe der Ignoranz, ein Verhalten, das über bloßes Vorbeischauen weit hinausgeht. In Hamburg DARF man einen Promi nicht ansehen, sonst kommt sofort ein Helfer und schraubt einem ein Pinneberg-Kennzeichen ans Auto.
Dies Verhalten kann man noch steigern. Olaf, der Student, und ich kommen aus Nordfriesland. Dort ist man nah dran, das gesprochene Wort vollkommen abzuschaffen. Eine typische Begegnung nach einer mehrmonatigen Trennung läuft dort ab wie folgt: Nordfriese 1: "Un sons?" - Nordfriese 2: "...". Ich schwör's, da sind alle Informationen drin.
Ende Exkurs. Schlussfolgerung für Nick Cave: Nordfriesen in Hamburg sind nicht nur höfliche Paparazzi, sie sind überhaupt keine, sie erzeugen einen metaphysischen Ignoranzschirm. Das allerdings hilft auch manchmal nix.
Zum Beispiel bei Nick Cave. Lange hatten wir ihn in einer wiederum peinlichen Art ignoriert. Der Laden wurde langsam leer, wir nicht. Jenseits des Nordfriesentums findet sich irgendwo ein Hauch von Ausgelassenheit und Kontrollverlust, und genau dorthin hatten wir die Reise gebucht.
Gegen fünf tanzten wir gemütlich Pogo. Und nun zeigte sich, dass es nicht immer die Paparazzi sein müssen, deren Initiative gefragt ist, um eine Headline wie die obige zu ermöglichen. Nick Cave trat zwischen uns, legte die Arme um unsere Schultern, und wir tanzten zu dritt eine Art Sirtaki, während die Band eine uptempo-Version von "I can't get no satisfaction" spielte, was uns ansonsten eher zum Hinsetzen verleitet hätte. Der Tanz war ziemlich anspruchsvoll, weil Nick Cave eine stilistisch vollendete Arsch-runter-Beine-hoch-Messlatte auflegte. Die Groupies wachten allmählich auf.
P.S.: Es gibt natürlich keine Fotos, aber die Geschichte ist wahr.
P.P.S.: Zwei Wochen später trafen wir unter den selben Umständen Verona Feldbusch. Kein Sirtaki.
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