Vor einigen Jahren fassten beherzte Gemüter den Entschluss, in Saarbrücken Poetry Slams zu veranstalten. Solche Wettbewerbe standen größeren und berühmteren Städten gut zu Gesicht, und jedermann fand die Idee schön. Ich auch, und so war ich bei der, wie sich später heraus stellte, vorletzten Veranstaltung dieser Art als Besucher dabei. Es war eine gelungene Premiere, von der Decke des Cafés „Ubu Roi“ - ein schöner Ort, er sieht aus wie auf dem Bild von Edward Hopper - tröpfelte es hinab auf die sich drängenden Menschen. Draussen war es warm und dunkel, drinnen rauchten alle, und dunkel war es auch, denn einzige Lichtquellen waren die Theke und die Leselampe für die Autoren.
Der Wettbewerb war in vollem Gange, als Jochen Senf, Fernsehkommissar, in seinem behäbigen Tatort-Gang heran schlenderte und einen neugierigen Blick durch die Scheibe warf. Er war allein, trug einen cremefarbenen Mantel über einem dunklen Pulli und sah aus, wie der Saarländer sich einen Saarländer gern vorstellt, wie ein Mann, der das Leben auf gelassene Art und Weise zu genießen versteht, unaufgeregt und freudvoll. Viele Saarländer sind wirklich so, und der Umgang mit ihnen ist sehr wohltuend. Senf verkörpert diesen Typus deutlich besser als andere saarländische Prominente. Es wird ihm hier allerdings nachgesagt, eine Diva zu sein, hochfahrend und versoffen. Ob dieser Ruf gerechtfertigt ist, weiss ich nicht. Zumindest wirkt er real genauso wie im Fernsehen, nur sein beträchtlicher Körperumfang kommt im wahren Leben mehr zur Geltung.
Jovial lächelnd trat er an die Tür, offenbar in der Absicht, einzutreten. Dies wurde ihm von dem eigens für diesen Abend eingesetzten Türsteher verwehrt; nach Veranstaltungsbeginn kam niemand mehr rein. Dass Senf sich nun sichtbar ärgerte und dennoch Einlass begehrte, muss die Divenlegende nicht unbedingt stützen. Er echauffierte sich ganz gesittet, achtete bei dem kleinen Streit darauf, die Stimme nicht zu sehr zu erheben, um den Vortragenden nicht zu stören, machte aber ein böses rotes Gesicht. Die Diskussion selbst habe ich nicht mitbekommen, doch es sah nach einem partiellen Einlenken des Türstehers aus, und zwar derart, dass Herr Senf nach Ende des laufenden Vortrags (jeder Teilnehmer hatte sieben Minuten) hineinschlüpfen dürfe. Ich verstehe nicht viel von Körpersprache, doch die Reaktion von Jochen Senf erschien mir ablehnend und missbilligend: Er drehte sich abrupt um und ging seiner Wege. Im Gehen riss er in routinierter Geste empört den rechten Arm hoch, es ist anzunehmen, dass er dabei schimpfte. Wahrscheinlich fährt er – im Gegensatz zu Kommissar Palü – eher Auto als Fahrrad.
Jahre später, im vergangenen Mai, sah ich Jochen Senf wieder, diesmal bei der Arbeit für einen neuen Saarbrücker Tatort. Bislang hatte ich nur einen solchen gesehen, der war nicht gut, aber ein Freund rief an und sagte, wenn ich in zwei Stunden bereit sei, bekäme ich eine Statistenrolle. Das schien mir interessant, ausserdem gab es 40 Euro. Die Aufnahmen gingen dann von halb acht abends bis nachts um drei. In der Szene verdächtigt Kommissar Palü seine Freundin des Fremdgehens, und vor den Aufnahmen holte Jochen Senf immer wieder tief Luft und stieß sie mit einem lauten, hohen „Hmmmmm... hmmmmmmm“ wieder aus. Gegen Mitternacht wurde für die Statisten ein kleines Buffet aus schrumpeligem Obst, alten Keksen, lauwarmem Kaffee und Mineralwasser errichtet. Als wir, lechzend nach Nahrung und Erfrischung, zu dem klapprigen Tischlein eilten, warf uns die Darstellerin der Freundin des Kommissars Blicke voller Verachtung und Abscheu zu.
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