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Thema: Stockhausen, Karlheinz

  1. #1
    Member Avatar von rapsak
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    Eine Geschichte zum Tage:
    Kuerten, ein 5000-Seelen-Dorf im Bergischen Land, hat in ihren Gemeindegrenzen zwei prominente Bewohner zu verzeichnen: die allseits bekannte und beliebte Fußballerlegende Bernd Schuster (ein klaeglicher Trainer) und den etwas weniger bekannten und beliebten Komponisten Karl-Heinz Stockhausen. Irgendwann aber hatte sich dessen Weltruhm selbst bis in die Gemeindeverwaltung dieses vertaeumten bergischen Doerfchens herumgesprochen und man beschloss, auch ihm das zuzuerkennen, was man bei dem famosen Balljungen Schuster schon laengst getan hatte: ihm die Ehrenbuergerschaft zuzuerkennen.
    Stockhausen war geruehrt, und weil Bernd Schuster, sich seinerzeit mit einem jaehrlich stattfindenden Benefiz-Fussballspiel bedankt hatte, tat es ihm unser Komponist auf seine Weise gleich und versprach, ab nun jaehrlich ein gagenfreies Konzert in der oertlichen Gemeindehalle zu geben. Mit gequaelten Gesichter nahmen die Gemeindevaeter das Angebot an.
    Meine damaligen Schwiegereltern wohnen ebenfalls in der kleinen Gemeinde Kuerten und so ergab es sich, dass ich bei einem dieser furchtbaren Enkelkind-Vorfuehr-Besuchen im Gemeindeblaettchen von dem Konzert las und sofort beschloss: da muss ich hin! Die Schwiegereltern uebernahmen das Babysitten und schon waren wir auf dem Weg.
    Die Gemeindehalle Kuerten verhält sich zu einem Konzertsaal, der diesen Namen verdient, wie die Stadthalle Pforzheim zur Radio City Music Hall. Doch davon hatte sich der Komponist nicht beirren lassen und legte selbst Hand an beim Aufhaengen etlicher Tuecher, zum Zwecke der optimierteren quadrophonischen Entfaltung seiner Klangwelten, bis der Gemeindesaal enldich das unverwechselbare Flair einer Schulaula beim Abiturabschlussball hatte.
    Da dies nun der unumstrittene Hoehepunkt des kulturellen Lebens der Gemeinde war, fand sich tout Kuerten ein, und alle hatten sich ganz besonders schick gemacht: die Damen in sehr weiten, gross gebluemten Kostuemen und pastellfarbenen Jacketts mit Goldknoepfen darueber, die Herren in ihrem Hochzeitsanzuegen aus den fruehen Sechzigern Jahren. Dazu trug man ausgesprochen gesundes Schuhwerk in diversen Beigetoenen.
    Das Konzert fing auf die Minuten genau an, darauf hatte der Gemeinderat wohl besonderen Wert gelegt. Stockhausen hielt einen kurzen, liebenswuerdigen Einfuehrungsvortrag und stellte seine Mitstreiter an den Instrumenten vor. Dann begann er damit, seine voellig enthemmte Tongebilde furchtlos auf die Zuhoerer loszulassen. Die waren nun durch all die Konzerte der Jahre zuvor schon sichtlich an Einiges gewoehnt. In der Pause hoerte ich Saetze wie: ÎZum Glueck isset ja diesmal nimmi so laut wie dat letzte mal.â Oder ÎNä, also, dat mitti dicke Saengerin, dat haet mer sogar janz jut jefallen.â Es war Musikerlebnis pur, fernab von jeglicher feuilletonistischer Vorbildung, einfach Klasse. Ich habe die Veranstalltung genossen wie selten, die Pause, ja selbst die Zeiten vor und nach der Tonorgie haben mich begeistert. In diesem fast familiaeren Umfeld habe ich mich sogar getraut, den Meister himself nach dem Konzert anzusprechen, um ihn fuer diesen unvergesslichen Abend zu danken.
    Stockhausen ist ein herrlich schrulliges, liebevolles Wesen, ganz versunken in seiner eigenen Klangwelt, besessen von sich und seinen Ideen. Dieser Abend brachte mich letzlich dazu, ein paar Jahre spaeter extra nach Leipzig zu fahren, um mir seine Oper ÎFreitagâ aus dem Zyklus ÎLichtâ anzusehen, das gewagteste und eindruecklichste, was ich je in einem deutschen Operhaus zu sehen bekommen habe. Stockhausen rules!
    Nun lese ich heute in der Zeitung, dass die Gemeinde Kuerten ihrem Edelbuerger Karl Heinz aus Anlass seiner Aeusserungen zur Aesthetik der Terroranschlaege in den USA den Ehrentitel wieder aberkennen will. Vielleicht haben die bergischen Buerger nach gut 15 dieser Konzerte festgestellt, dass ihre Liebe zur modernen klassischen Musik doch nicht so grenzenlos ist und waren froh, dass Stockhausen selbst den Vorwand geliefert hat, ihn endlich loszuwerden. Schade drum. Nie wieder Atonales in der Gemeindehalle Kuerten. Das hat er nicht verdient. Vielleicht haette er seine Aeusserungen doch besser in dem von Wrobel dafuer vorgesehenen Strang posten sollen.


    (Beitrag wurde von rapsak am 21.09.2001 um 16:25 Uhr bearbeitet.)

  2. #2
    Avatar von James Dean Brown
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    Vielleicht haben den Meister die Gemeindehallen-Konzerte selbst angeödet und er sah in seiner Äusserung die einzige, verzweifelte Möglichkeit, sich elegant von diesen Pflichtübungen zu befreien?

  3. #3
    Avatar von Hilde
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    Mensch rapsak, ist das eine schöne Geschichte.
    Vorallem die unerwartete Begeisterung für das örtliche Publikum, ich war fast gerührt.
    Umso trauriger der Schluss, dass die Gemeinde doch wieder den Bogen hinkriegt zum vertrauten Klischee.

  4. #4
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    Ganz wunderbar rapsak. Bisher war mir Stockhausen die Lebensweise und Misanthropie betreffend immer als eine Art Thomas Bernhard erschienen, aber Bernhard als Zeremonienmeister einer Lesung in Gmund ist wohl kaum denkbar.

  5. #5
    Hobel Avatar von Ignaz Wrobel
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    Ja, toll beschrieben die ländliche Atmosphäre, inklusive 'gesundem Schuhwerk'. Tatsächlich haben die Leute dort auf die Musik vermutlich wesentlich spontaner reagiert als ein vorgebildetes Großstadtpublikum. Beziehungsweise, um bei den Klischees zu bleiben: Als ein bildungswilliges 'Mittelstadtpublikum'. Mit Schrecken denke ich an gewisse Karlsruher Opernaufführungen zurück, nicht wegen der Qualität, sondern wegen der Teile des Publikums, die wild entschlossen waren, alles gut zu finden, für das sie extra den Anzug aus dem Schrank geholt hatten. Schade um das Ende, aber: Was Hamburg recht ist, kann einem Dorf natürlich nur billig sein. Jeder möchte eben zur Zeit 'ein Zeichen setzen'. Bin gespannt, ob Stockhausen das auch noch tut, vielleicht in Form einer großzügigen Spende an die Opfer. Ansonsten bleibt ihm wohl nur, auszuwandern, um im Supermarkt noch bedient zu werden.

  6. #6
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Wunder-, wunderschöne Geschichte. Eine Perle. Sehr honzig.
    ------------------
    'd'oh!'

  7. #7
    Remember
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    Oh, gerade Stockhausens Äußerungen hier http://www.alles-bonanza.net/forum/s...&threadid=2937 gelesen, wahrscheinlich muss er wirklich auswandern.

  8. #8
    Avatar von cosmokramer
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    Herrliche Geschichte!
    Insbesondere die Publikumsbeschreibung.
    Apropos Publikum: http://www.alles-bonanza.net/forum/s...&threadid=1049
    , da Stockhausen ja auch eher unter Kunst als Musik läuft...

  9. #9
    Avatar von MC Hausmacherleberwurscht
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    Ich war jung, es war in Donaueschingen, mit meinem Gitarrenlehrer. Die Musiktage, in der asbestgeschwängerten Atmosphäre der Donaueschinger Stadthalle. Gerade hatten wir 'Stück für 19 Schlagzeuger, sieben Sängerinnen und einem Techniker' von einem älteren Herrn aus England hinter uns - dieser übrigens unterbrach das einstündige kompositorische Meisterwerk nach eine halben Stunde und fing von vorne an, weil ein Mädchen in der ersten Reihe ausgerechnet in einer völligen Stille-Phase einen Yoghurt-Becher klangvoll öffnete. Danach also saß das Symphonieorchester des Südwestfunks aus Stuttgart bereit und auch Herr Stockhausen hatte sich ne Pulle Sprudel bereitgestellt und fing auch gleich an. Atonal gings daher und ich fand alles ziemlich fürn Arsch und ärgerte mich käseweis, weil ich just in diesem Moment Lee Mayors Stuntmenabenteuer im ZettDeeEff verpasste. Und da bekam ich doch noch was zu lachen. Der mit den großen Kesselpauken im Orchester hatte die ganze Zeit rumgehockt. Plötzlich spang er auf und haute atomschlagmäßig auf die Felle. Direkt vor seinen Pauken war ein Hornist eingenickt (ohne Scheiß). Der fiel jetzt vom Stuhl, schimpfte wie blöd. Paukenmann lachte und zuckte die Schultern, Stockhausen nahm nen Schluck aus der Pulle und der Satz wurde wiederholt.

  10. #10
    Moderatorin Avatar von Frau H aus B
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    Zwei gute Geschichten in einem Strang! Daß es sowas noch gibt heutzutage!
    Nur eins habe ich nicht begriffen, Leberwurst: Schilderst Du einen regulären Konzertabend oder eine Probe? Und was war Dein Part bei dem Ganzen?

    (Beitrag wurde von Frau H aus B am 21.09.2001 um 19:18 Uhr bearbeitet.)

  11. #11
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    Geändert von lola lernt (28.09.2002 um 09:08 Uhr)

  12. #12
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    Geändert von lola lernt (28.09.2002 um 09:07 Uhr)

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