Im Frühling 1998 war ich mit meiner gutmütigen Freundin und zwei untereinander sowie mit uns befreundeten Familien, plus deren Brut, im schönsten Restaurant der Welt, der Kronenhalle, die alleine schon die Reise nach Zürich wert ist. Bereits beim Hinsetzen bemerkten wir, dass in einem der Alkoven in der Nähe unseres Tisches Udo Jürgens in Gesellschaft von zwei jüngeren, adrett gekleideten Herren speiste. Promipräsenz wird von uns Einheimischen nur kurz und möglichst unauffällig registriert, und zwar nicht unbedingt nur aus höflichem Paparazzentum sondern weil wir Schweizer uns erstens was darauf einbilden, dass zum Beispiel die Tina Turner und der Michael Schuhmacher bei uns wohnen und wir sie deshalb natürlich möglichst unbehelligt sein lassen wollen und zweitens der Herr Jürgens, geb. Bockelmann, in Zürich wohnt und einem deshalb eh dauernd über den Weg läuft.
Als die drei Kinder unserer Freunde nach langem Gequengel endlich ihre respektiven Schnitzel, Nudeln, Breichen und wir unseren Braten hatten, stiess mich einer der Väter an und sagte leiseheut ist glaub FestivalÎ, denn soeben hatte Roberto Blanco durch die Hintertür den Saal betreten. Er trug einen intensiv leuchtenden roten Veston und seine Haare schimmerten schwarz, braun und grau zugleich. Im Schlepptau hatte er eine aufgetakelte Blondine, die einen künstlichen Fellmantel mit Leopardenmuster trug und die ich ihres Alters wegen als die Ehefrau oder Schwester einstufte und nicht als die Mätresse. Ohne jedes Brimborium begaben sich Herr und Frau Blanco zu Tisch. Sie hatten den beim Haupteingang - mit dem unterschriebenen Calder-Photo und dem gezeichneten Joyce-Porträt; wir sassen unter dem grossen Miro, ausser dem ältesten Jungen, Carlo, der lag bereits schlafend darunter. Da das Blancopaar beim Eintreten eigentlich freien Blick auf die Gesellschaft Jürgens- jedoch keine Miene verzogen hatte, kamen wir nach diskreter Beratung zum Schluss, dass zwischen den beiden Unterhaltungstitanen (beide katholisch, nicht?) wohl böses Blut geflossen sein musste. Vielleicht war ja Roberto neidisch, dass Udo mehr Omas mobilisieren kann? Oder verübelte Udo dem Roberto dass dessen Autogrammpostkarte in einer der Vitrinen in der Bodeguita del Medio steht, seine aber nicht? Bevor wir unsere Schlagerfehdentheorien weiterspinnen konnten war aber der kleine Paolo davongewetzt um sich mit wildfremden Leuten anzufreunden. Schade, dass er nicht zu Jürgens oder Blanco gewatschelt war, denn sonst hätte man sofort hinrennen können; und den Kurzen hochzuheben und ein Gespräch im Sinne von Ja-ja, die kleinen Rangen, ha, ha, verzeihen Sie bitteÎ anzuzetteln und daraufhin ein prominentes Verbrüderungslächeln einzufangen, wären eins gewesen. Kurz nachdem hingegen der Racker wieder eingefangen war, bemerkten wir, dass die Blancos fertig gegessen hatten und ohne bei Digestif oder Cigarre zu verweilen ihre Rechnung beglichen. Und siehe da: Hatten sie beim Reinkommen den Autor von Unterm Smoking GänsehautÎ noch plump übersehen, wurde beim Hinausgehen, offenbar initiiert von Herrn Jürgens, doch noch Augenkontakt geknüpft. Darauf folgt die herzlichste und brüderlichste Begrüssung der zwei alten Sängerknaben, die erst durch mehrfache Wangenküsse zum Abschluss kam. Das rührte mich doch seltsam ans Herz. Es kam mir vor als küssten sich hier zwei - zur Begrüssung und zum Abschied in einem - im Wissen, dass die Götterdämmerung ihres Metiers nicht mehr weit ist.
Meine besinnliche Simmung nahm dann aber schnell wieder ab, als bei unserem Aufbruch die Kleinste meiner Freunde einen milchigen Kotzstrahl auf die an der Gardeobe hängenden Kaschmirmäntel kleisterte.
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