Presskonferenz, unwillig mit Tante Käthe und Cousin Rolf
Ein Donnerstagnachmittagurlaubstag, regnerisch, langweilig, irgendwie gemütlich.
Eine Tasse Kakao, selbstgemachte Plätzchen von Sina, dumme Menschen im Tevau.
Mitten hinein ins Innerliche, träge plätschernde Geräusche angenehm sinnlos
vertrödelter Minuten plötzlich schrill forderndes Telefonklingeln. Einmal,
zweimal, dreimal ... keine Bewegung, vielleicht geht´s von selbst weg. Nein.
Viermal, fünfmal ... arrgghhh ... ich nehme den Höhrer ab, kurz Stille. Aber nur
ganz kurz, es folgt stakkatoartiges Geschnatter mit eingestreuten Kiekslauten.
Cousin Rolf also, im wahrsten Sinne das, was man gemeinhin unter lästiger
Verwandtschaft versteht. Ende 30, alleinstehend, Beruf Fotojournalist für
irgendein unwichtiges Blättchen, dass sich mit irgendwelchem Frankfurter
Halbprominententratsch mehr schlecht als recht über Wasser hält.
Gut, er ist penetrant, klebrig und seine Auffassung von Frisur, die er mit Gel
über die größtenteils verdorrten Haarwurzeln gekämmt trägt, für einen ästhetisch
empfindenden Menschen per se eine Herausforderung. Doch das Schlimmste an ihm
ist seine Art zu sprechen. Es ist schwer zu beschreiben. Dieses leichte
Übersteuern bei jedem dritten oder vierten Wort, diese erstickten Luftschnapper
zwischendrin und die Geschwindigkeit, besonders die Geschwindigkeit. Ich
konzentriere mich kurz wieder auf das unmelodische Geräusch an meinem linken
Ohr.
"Einmalig ... Samstag ... Superbüffet ... Weiber ... kieks ... bestimmt auch
Autogramme ... was Rang und Namen ... schnapp ... sogar Rudi ... Spitzenspiel
... weißt schon ... vorletzte Minute ... Presskonferenz ... zwei Karten ...
kieks ... grade angerufen. Was sagst du?"
"Ich?", denke ich kurz, leicht erschrocken über die unerwartete Pause und
darüber, dass man nach diesem akustischen Überfall von mir erwartet, irgendetwas
zu kommentieren.
"Ich ... ähh ... warum ...", stottere ich hilflos und leicht schwächlich in die
Muschel.
"Also Samstag dann, 17 Uhr, Interconti ... einmalig ... nicht alle Tage ...
gleich noch Fred anrufen ... selbstverständlich ... schließlich Familie ...
sehen uns dann. Kieks ... klick."
Ich lausche noch ein, zwei Minuten in die plötzliche Stille der toten Leitung.
Dann lege ich auf und mein schockiertes Hirn versucht, den empfangenen
Wortfragmenten einen Sinn zu geben.
Eine Pressekonferenz also, in irgendeinem Hotel und Rolf darf dort
fotografieren. Irgendwas mit Fußball. Ich hasse Fußball. Und ich soll mit.
Nachdem diese Erkenntnis langsam in mein Bewusstsein getropft ist, spüre ich
Unwohlsein in mir aufsteigen.
Hatte ich überhaupt wirklich zugesagt? Eher nicht, aber es würde wohl leichter
werden, die Sache mit Anstand hinter sich zu bringen, als mit Rolf zu
diskutieren. Man konnte mit Rolf gar nicht diskutieren. Er hörte einfach nicht
zu und die Pausen zwischen den Kieks- und Schnapplauten waren einfach zu kurz
für irgendwelche Argumente.
Den Rest des Donnerstagnachmittag und den Freitag über spürte ich immer wieder
dieses ekelhaft kitzlige Gefühl in meinem Magen aufsteigen, wenn die Erinnerung
an meine unfreiwillige Verabredung sich meldete. Aber ich spülte sie mehrfach
erfolgreich mit einem warmen Kakao mit Sahne wieder runter.
Warmer Kakao ist gut für meine Nerven, es ist immer als fühlte ich wieder die
harten Spülhände meiner verstorbenen Mutter auf meinem Arm, wenn die anderen
Jungs mir wieder mal einen schmutzigen Fußball ins Gesicht geschossen hatten und
sie mich tröstete. Aber diesmal half es nicht lange.
Der Samstag kam unweigerlich und die Minuten plätscherten nicht gemächlich
vorüber, sondern sie tickten hämisch wie das Geräusch einer altmodischen
Stoppuhr. Ich kämmte mich, putzte noch einmal die Zähne und zog den schwarzen
Rolli an. Schwarze Rollies wirken irgendwie intellektuell. Vielleicht würde man
mich für eine Art Künstler halten, einen, der experimentelle Kurzfilme dreht.
Mein Taxi stoppte auf dem Parkplatz vor dem Hotel. Noch während ich das Geld für
den Fahrer herauskramte, sah ich ihn schon. Er stand vor dem Eingang des Hotels,
trug einen furchtbaren, cremefarbigen Anzug, eine rote Krawatte und redete grade
wild gestikulierend auf eine unglücklich wirkende, kleine Frau im grauen Mantel
ein. Als ich ausstieg, traf mich sein Blick und er winkte dramatisch in meine
Richtung. Die kleine Frau sah erleichtert aus.
Entschlossen ging ich auf ihn zu, versuchte, seinen Redeschwall bestmöglich zu
ignorieren und fasste ihn am Arm, um ihn zur Tür herüberzuziehen.
"Komm jetzt, Rolf, es ist gleich fünf."
Der Raum war im Erdgeschoss, ein paar hohläugige Journalisten drückten sich
bereits auf diese seltsamen Stühle mit dem klappbaren Tischchen davor, manche
mit Notizblöcken, andere mit riesigen Kameramonstern und Fototaschen aus
Kunstleder.
Rolf befreite sich gleich am Eingang von meinem Griff und stürzte sich auf
irgendeinen Bekannten, wobei er wieder in seine hektische Gestik verfiel. Ich
atmete hörbar auf und stellte mich im hinteren Teil des Raumes an eine seitliche
Wand. Durch eine Tür ganz links konnte ich das Büffet sehen, das nach der
Pressekonferenz auf die Journalisten wartete. Naja, das Übliche. Häppchen mit
Kochschinken und halben Weintrauben, leicht angetrocknet, kalter Schweinbraten,
lustige kleine Partybrötchen mit Sesam oder Mohn, verdächtig aussehender
Nudelsalat, eine halbierte Dekorationsananas.
Nach zehn Minuten kam eine bedeutungsvoll wirkende Bewegung in die braunen und
schwarzen Lederjacken, Zopfpullover und fiesfarbigen Sakkos. Man setzte sich.
Der Raum war inzwischen ziemlich voll geworden. Ungefähr 15 Meter vor mir befand
sich das behelfsmäßig wirkende Podest mit einem etwas besseren Stuhl, einem
Mikrofonständer und reichlich Kabelgewirr.
Plötzlich Blitzgewitter, ich schließe reflexartig die Augen. Als ich sie wieder
aufmache, ist der Stuhl bereits besetzt von einem im grellen Licht etwas blass
wirkenden Herrn mir sehr grauer und sehr geschmackloser Frisur und irgendwie gar
nicht zu ihm passenden, grauen Boss-Anzug.
Das also ist er, der Nationaltrainer, das angestrebte Vorbild der deutschen
Jugend, der Sympathieträger von Sendungen wie "Ran", die ich nur vom Hörensagen
her kenne.
Die kleine, unglückliche Frau vom Eingang erteilt den Journalisten die
Frageerlaubnis. Bitte fragen Sie mich nicht, um was es ging, es fielen Worte wie
"Abseitsfalle", "Flügelspiel", "Libero", "Vertragsverlängerung" oder "rotgelbe
Karte in der zweiten Hälfte".
Rudi war gut. Er wusste auf alle Fragen ausführlich zu antworten, lächelte in
die Blitzlichter, ohne zu zwinkern und brachte die beflissene Meute mehr als
einmal zum Lachen. Er schien sich sehr wohl zu fühlen. Ich nicht. In der
vordersten Reihe sah ich etwas Cremefarbiges. Glücklicherweise war es ziemlich
laut, so konnte ich nicht hören, was er seinem Nachbarn ins Ohr zu schreien
schien. Nach einer halben Stunde war es plötzlich vorbei, "Tante Käthe" längst
irgendwo im Gewirr unter- und weggetaucht und die aufgeregt plappernde Meute
drängte bereits zum Büffet, um sich der Häppchen und des Nudelsalates
anzunehmen.
Ich blieb an meiner Wand stehen, sehnte mich nach warmem Kakao und nach meiner
Couch. Rolf war nirgends zu sehen. Als der Raum sich schon größtenteils geleert
hatte, fiel mein Blick auf die gegenüberliegende Wand.
Da stand sie, wirkte noch kleiner als zuvor und noch unglücklicher. Sie schaute
zu mir. Ihre Augen waren dunkelgrün und als sie bemerkte, wie ich sie anstarrte,
leuchteten sie kurz auf. Dann kam sie herüber.
"Sind sie vielleicht Künstler? Ich liebe ja experimentelle Kurzfilme."
"Ich auch. Hätten Sie vielleicht Lust auf eine Tasse warmen Kakao ?"
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