Streng genommen gehoert diese Geschichte nicht hierher, aber da sie aufzeigt, wohin uebermaessiges Abfahren auf Prominente alles führen kann, poste ich sie dennoch.
Ich war damals achtzehn Lenze alt und ging im Bayerischen auf ein Internat. Ich hatte die Gewohnheit, mir meine Wochenenden in Muenchen zu versuessen, vornehmlich in jenem Tanzlokal, in dem ich auch Allegra Curtis eine Rose uebergab (a.a.O.). Zur damaligen Zeit war dieser Laden noch ein echter Treffpunkt (DJ Michael Reinboth drehte dort erstmals oeffentlich an den Plattentellern), und Muenchen noch ertraeglich. Also stand ich mir dort jeden Freitag und Samstag die Beine in den Bauch, auf der Suche nach einem witzigen Plausch, einem netten Mädchen oder einfach nur nach jemandem, der mir ein Bier zahlt, denn sich vergnuegen geht bekanntlich ins Geld.
So stand ich eines Wochenends mal wieder dumm rum und teilte mir mit fuenf Freunden zwei Bier (wovon man damals ja noch richtig betrunken wurde), als sich uns ein grossgewachsener Mann mit getoenter Brille naeherte, etwa in meinem jetzigen Alter (also fuer uns damals ein Greis). Irgendwie kamen wir ins Gespräch und er stellte sich uns als Michi Finck vor. Ein Raunen ging durch den Freundeskreis: DER Michi Finck etwa, der juengste Spross der Muenchner Bankerfamilie (Bankhaus Merck, Finck und Co.), von dem man damals in der Abendzeitung die verwegensten Nightlife-Geschichten zu lesen bekam? Ich traute mich nachzufragen, und tatsaechlich, er bestaetigte es mit dem noetigen Understatement. Verschwoererisch fuegte er hinzu: 'Meine Freunde nennen mich ÎFinckiâ!'
Fincki wollte uns alle auf ein Bier einladen, was wir uns nicht zweimal sagen liessen. Dann stimmte er ein Lamento ueber seine Bodyguards an, DAS Thema der oberen Zehntausend! Er erzaehlte von einer Quasi-Entführung, als er noch ein Juenglicher war, und daß ihn seitdem seine Aufpasser nicht mehr aus den Augen liessen. Er stoehnte, wie laestig das sei, keinen Schritt ohne lebende Schatten machen zu koennen. Verwundert sahen wir uns um, aber da winkte Fincki ab, heute abend habe er sich endlich einmal absetzten koennen. Er habe das ³Kaeferâs' durch den Lieferanteneingang verlassen, um ihnen zu entwischen, sei incognito hier, daher auch sein legeres Freizeit-Outfit (Holzfaellerhemd, Seidenschal, Jeans, Collegeschuhe). Wir waren beeindruckt.
Das Gespraech mäanderte froehlich vor sich hin, als Muenchens gnadelose Sperrstunde zuschlug und uns aus dem Lokal verwiess. Wir schlugen eine der wenigen moeglichen Alternativkneipen vor, die aber Fincki kategorisch ausschloß, das gehe nicht, da koenne er sich unmoeglich sehen lassen. Statt dessen schlug er vor, ob man sich nicht noch in seiner ÎIncognitoâ-Wohnung in Muenchen-Giesing zusammensetzen wolle, dort habe er genug zu trinken, und auch sonst sei es dort ganz nett. Flux wurde ein Taxi gerufen, und wir fuhren zu viert nach Giesing.
Die Wohnung war in einem recht unspektakulaeren Viertel, und auch das Interieur sah eher maessig aus. Er entschuldigte sich dafuer, er habe die Wohnung noch nicht so lange, und da niemand von ihr erfahren duerfe, sei es ihm fast unmoeglich, sie nett herzurichten. Ich erinnere mich noch, dass auf dem Sims einer großen Schrankwand eine ewig lange Reihe Parfums stand, alle sehr edel. Und auch die Bar war sehr gut bestueckt. Er schenkte großzuegig ein und wir palaverten munter weiter. Schließlich wurden meine beiden mitgekommenen Freunde muede und gingen. Benebelt von einer halben Flasche ÎSouthern Comfortâ, die mir Fincki kredenzt hatte, entschied ich mich, noch zu bleiben.
Wir waren nur noch zu zweit und kamen - nona! - auf Frauen im Allgemeinen und Sex im Besonderen zu sprechen. Ich erzaehlte Fincki ausfuehrlich von einer gerade beendeten Liaison, worauf der seufzend aufschaute und sagte: ³Ich habe noch nie mit einer Frau geschlafen, die mich wirklich liebt'. Ich wollte ihn schon troesten, als er hinzufuegte. ³Mit einem Mann aber schon...'. Jetzt erst fiel bei mir der Groschen. Ich war noch jung damals, sehr jung, und nach vier Jahren Knabeninternat auch schon Einiges gewohnt, aber irgendwie bekam ich Panik. Ich dachte: jetzt sitze ich hier in einer Giesinger Wohnung von der kein Mensch weiß, wo sie ist, meine Freunde sind auch schon lange weg, und ich sitze hier allein mit einem Menschen, mit dem ich ganz sicher keinen Sex haben will!!!
Es war wie in einem schlechten Film. Ich fing an zu stottern, sagte etwas von ³morgen sehr frueh sehr wichtige Verabredung', trank meinen Whiskeylikör aus und stand auf. Fincki sah traurig zu Boden, atmete tief durch und fragte mich, ob er mir nicht ein Taxi rufen solle. Ich nahm das Angebot dankend an.
Das Taxi brauchte eine Ewigkeit. Beim Warten sassen wir uns gegenüber und erzaehlten uns irgend welche Belanglosigkeiten, nur um gegen diese entsetzliche Stimmung anzukommen. Endlich klingelte es an der Tür und Fincki begleitete mich vors Haus. Da fiel mir ein, dass ich gar kein Geld fuer ein Taxi hatte. Nobel sprang Fincki ein und reichte dem Taxifahrer einen Geldschein. Ich stieg ein, in der Tür gab mir Fincki noch einen Kuß auf den Mund, dann fuhr der Taxifahrer los. Ich nannte ihm die Adresse und fuegte etwas hinzu wie: ³Es ist nicht so, wie sie denken', worauf der Taxler lächelte und sagte ³Sicher!'
Ein paar Wochen später sah ich in einem Kiosk die Abendzeitung ausliegen, auf der Titelseite ein Foto von Fincki. Daneben die fette Schlagzeile: ³Dieser Mann gab sich als Finck-Sohn aus! Familie klagt'. Fincki wurde tatsaechlich wegen Hochstapelei verurteilt und mußte eine Zeitlang hinter Gitter. Ich wuensche ihm, dass er heute weiß, wer er ist, und damit leben kann. Denn eigentlich war er ein wirklich netter Kerl.
(Beitrag wurde von rapsak am 06.09.2001 um 16:35 Uhr bearbeitet.)
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