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Thema: Abdelaziz, Mohamed (Viermal Präsident Mohamed Abdelaziz)

  1. #1
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    Viermal Präsident Mohamed Abdelaziz, einmal Kulturministerin Mariem Saleek H'mada und das halbe sahrauische Kabinett
    Vorweg
    Morgen erscheint dieser Bericht in anderer, gekürzter Form und mit schönen Fotos versehen in der Titanic (www.titanic-magazin.de). Diese Version aber wurde eigens fürs Forum geschrieben. Sie ist viel länger und enthält mehr Details und grundlegende Informationen. Vielleicht ist sie aber auch langweiliger. Das mag der Leser entscheiden. Ach so: Paparazzt wurde natürlich nach Forumkriterien. Das heißt: Auch wenn der Präsident nicht zufällig vorbeikam, wußte zumindest ich davon vorher nichts. Er stand auch keineswegs auf dem Reiseprogramm.
    Die Berliner Paparazzi können sich außerdem auf einen Westsahara-Abend in der zweiten Septemberhälfte im Café Burger freuen. Mit Musik, Dias und mir.
    Und jetzt geht es los:

    Anfang Juni war ich für eine Woche in der Sahara. Die ersten zwei Tage in den Flüchtlingslagern der Sahrauis in Algerien, rund 30 Kilometer südlich der Oasenstadt Tindouf. Die nächsten zwei Tage in Tifariti, einem kleinen Ort in der Westsahara, der von der Befreiungsfront der Sahrauis, der Frente Polisario, kontrolliert wird. Und zum Schluß in Dhakla, dem südlichsten und größten der vier Flüchtlingslager.
    In der Wüste war es so, wie es sich für eine anständige Wüste gehört: Heiß. Mittags rund 50 Grad im Schatten und ca. 70 Grad in der Sonne. Der letzte Wert kann allerdings bloß geschätzt werden, da keine Temperaturskala der mitgebrachten Thermometer über 50 Grad hinausreichte. Auch Fieberthermometer machten schlapp. Vermutlich war es also noch heißer als 50 Grad. Beweisen kann das aber keiner.
    In Smara, dem ersten Flüchtlingslager, lebte meine Bezugsgruppe im Zelt der sympathischen Frau Gambura. Zu dieser Gruppe gehörten außerdem der weitgereiste Fotograf Kongo-Sebi, die Weltmusik-Dame Simonetta, der irre Praktikant Sven und Gaza-Streifen-Biggi. Wir hatten vor der sog. ³Rezeptionã in Smara inmitten der rund hundertköpfigen deutschen Großdelegation auf instinktive Weise zueinandergefunden und sollten fortan nicht mehr voneinander lassen. Allerdings verloren wir zwei Tage später Biggi an die unglaubliche Hitze, sie wurde sogleich durch Helga, die Mumie, ersetzt. Die Mumie aber hieß so, weil sie immer nur tief eingemummelt durch die Wüste lief. Sie sagte, sie könne die durch den permanent blasenden ultraheißen Föhn verursachte Zugluft nicht vertragen. Den Föhn bekamen wir nie zu Gesicht, aber irgendwo mußten die Sahrauis ihn versteckt haben.
    Die Atmosphäre in unserer Gruppe war erschreckend herzlich, doch nicht ganz ungetrübt. Ein ganz kleines bißchen beneidete ich den irren Praktikanten und Kongo-Sebi, weil sie für den zweiten Tag einen Termin mit Mohamed Abdelaziz hatten. Dieser geheimnisvolle Mann, der Chef der Frente Polisario, ist so etwas wie der Arafat der Sahrauis. Geheimnisvoll ist er deshalb, weil man hierzulande kaum etwas über ihn weiß, und er noch nie einer deutschen Zeitung ein Interview gegeben hat. Der irre Praktikant und sein alter Freund Kongo aber waren von der bedeutenden deutschen Wochenzeitung ³Die Zeitã in die Wüste geschickt worden und angesichts der Bedeutung der bedeutenden deutschen Wochenzeitung hatte sich Abdelaziz bereit erklärt, für ein Interview zur Verfügung zu stehen.
    Mohamed Abdelaziz ist aber nicht nur der Chef der schlagkräftigen Wüstenguerillatruppe Polisario, sondern gleichzeitig auch Präsident des Staates, für den die Polisario kämpft, der Demokratischen Arabischen Republik Sahara. Der Staat wurde 1976 gegründet, auf dem Territorium der ehemaligen spanischen Kolonie Sahara. Die Spanier räumten das Gebiet ö es liegt genau den Kanarischen Inseln gegenüber auf dem afrikanischen Kontinent ö 1975; Marokko und Mauretanien teilten es anschließend unter sich auf. Spanien aber hatte den Sahrauis vorher die Unabhängigkeit versprochen und so wollten diese die Besetzung nicht dulden. Es kam zum Krieg. Die Polisario konnte Mauretanien schnell besiegen. Das militärisch viel stärkere Marokko aber war nicht so leicht zu schlagen. Nach dem Abzug der Mauretanier besetzte Marokko auch den südlichen Teil der Westsahara und bombardierte die Flüchtlingslager der Sahrauis im östlichen Teil des Landes mit Phosphor- und Napalmbomben. 25.000 Flüchtlinge sollen bei diesen Angriffen umgekommen sein, die restlichen konnten sich über die algerische Grenze retten, wo bis heute rund 160.000 von ihnen leben. Danach baute Marokko ö unterstützt von den USA und anderen westlichen Ländern - eine 2.700 Kilometer lange ³Mauerã, einen Wall aus Geröll und Sand durch die Wüste, um sich und den reicheren Teil der Westsahara vor den Angriffen der Polisario zu schützen. Den wirtschaftlich uninteressanten Rest der Wüste jenseits der Mauer überließen sie den Sahrauis, die diesen Teil ihre ³befreiten Gebieteã nennen. Das ist das Mindeste, was man wissen muß, wenn man wissen will, was für ein Staat das ist, dessen Präsident Mohamed Abdelaziz Präsident ist.
    Interessant ist vielleicht auch, daß die Republik Sahara, die momentan aus nichts weiter als einer provisorischen Hauptstadt und vier großen Flüchtlingslagern auf algerischem Gebiet und einem Stückchen ³befreiterã Wüste besteht, immerhin von etwa 65 Staaten auf der Welt diplomatisch anerkannt ist, z.B. von Kiribati, Tuvalu und meinem Lieblingsstaat Nauru. (Ich traf vor Jahren mal einen Nauruaner in einer Bar in Wien, die kurz drauf wegen Koksdealerei geschlossen wurde ö eine andere Geschichte.) Und daß Mohamed Abdelaziz neben seinem Staatspräsidentenamt auch das des Vizepräsidenten der OAU, der Organisation für afrikanische Einheit, innehaben soll, daß er also wirklich kein Nobody ist, sondern eine mitteldicke Nummer im weltpolitischen Geschehen.
    Der irre Praktikant und Kongo durften also den ganzen Montag mit dem Präsidenten herummachen, während der Rest unserer Gruppe durch die ³Hölle von Smaraã (ARD-³Weltspiegelã eine Woche später) stapfte. Mitten in der Nacht, als wir bereits im Zelt von Frau Gambura vor uns hin ratzten, kamen die beiden Topjournalisten dann zurück, weckten uns, prahlten mit einer Sitzung des ganzen sahrauischen Kabinetts, bei der sie hatten anwesend sein dürfen. Sie schwärmten, was der geheimnisumwitterte Präsident doch für ein netter Kerl sei, sehr leger und ohne Machtattitüde. Natürlich hatten sie auch mit Abdelaziz gespeist, Kamel, Ziege, diverse Sorten Gemüse, Couscous, gekühlte Cola etc., während wir uns mit dem Rest der hundertköpfigen Solidelegation schon den zweiten Tag um ein paar Nudeln mit einem Hauch Kamelfleisch und etwas Wasser hatten prügeln müssen. Als dann Kongo-Sebi nicht aufhören wollte, die im Haus des Präsidenten servierten Kamelfrikadellen zu loben, wurde ich etwas gelb um die Nase.

    Am nächsten Tag bretterten wir in Jeeps Richtung Rabouni, der provisorischen Hauptstadt der Republik. An einem mitten in der Wüste angelegten Garten namens Thamek wurde Station gemacht. Der alte Obergärtner trug ein T-Shirt mit der Aufschrift ³Pizzeria Amigoã. Er erklärte uns, daß zu jedem Lager ein Garten gehört, um wenigstens ein Teil der Flüchtlinge mit frischem Obst und Gemüse zu versorgen. Ansonsten leben die Sahrauis in den Lagern seit 25 Jahren von kaum mehr als Reis, Nudeln und Dosenthunfisch, die von internationalen Hilfsorganisationen wie beispielsweise medico international geliefert werden. medico international muß hier stehen, denn medico international hatte die ganze Reise organisiert und das Flugzeug in die Wüste gechartert. Dafür wurden alle mitreisenden Journalisten moralisch verpflichtet, den Namen medico international wenigstens einmal zu erwähnen. Zwingen kann medico international natürlich keinen, doch ich tue es gerne. Ja, ich erwähne den Namen medico international nicht nur einmal, sondern gleich sieben Mal. Medico international. Medico international wird mich dafür lieben. O, das war schon medico international Nummer acht. Ach was, neun. Jetzt istâs aber gut.
    Auch der Garten machte einen guten Eindruck. Ich glaube, das tut jeder Garten in der Wüste. Zwischen wenigen größeren Strauchakazien und kleinen Dattelpalmen standen hauptsächlich Zwiebeln, die gerade geerntet wurden. Und mitten unter den Erntehelfern erblickte ich plötzlich ihn, den geheimnisvollen Präsidenten Mohamed Abdelaziz persönlich. Er trug eine einfache olivgrüne Uniform ohne irgendwelche Rangabzeichen. Ich hätte ihn sicherlich nicht als Präsidenten identifiziert, wenn ich ihn nicht vor der Abreise gegoogelt hätte. So aber kannte ich sein Foto von der Homepage eines Saharafotografen. Ein Hoch auf das Internet, das uns Wissensvorsprünge verschafft, sogar in den allertiefsten Wüsten.
    Zu seiner Uniform trug der Präsident eine Halbglatze, eine achteckige Brille, einen Kinnbart und einen tarnfarbenen Deppenhut, so wie ihn sich auch der Trainer Klaus Schlappner oder deutsche Touristen im Urlaub gern auf den Kopf setzen. Einen solchen Hut trug von den Sahrauis sonst keiner, er gilt wohl in der Sahara nicht als Ausweis von Deppentum, sondern einziges äußeres Zeichen präsidialer Macht. Kaum hatte der Präsident die durch seinen Garten stapfenden Deutschen erblickt, ließ er die Zwiebelernte Zwiebelernte sein und eilte zu ihrer Begrüßung. Wir waren sehr geschmeichelt, denn zu Hause verkehren wir nicht so oft mit echten Präsidenten. Einige begannen, um den Präsidenten herum zu scharwenzeln. Einer gab ihm die Hand und meinte, er sei auch Präsident: Präsident der deutsch-sahrauischen Freundschaftsgesellschaft nämlich. Das freute den Präsidenten ehrlich, und er parlierte mit jedem, der ihn ansprach, freundlich auf Französisch oder Spanisch. Dann sah er den irren Praktikanten mitten in der Gruppe, was seine Freude verdoppelte. Gleich schlug er diversen Leuten auf die Schulter, gestikulierte etwas herum und machte Witz, die ich nicht verstand, weil ich weder Spanisch noch Französisch noch Hassanija-Arabisch spreche. Aber alles lachte.
    Unter der Strauchakazie, an der sich diese Szene abspielte, stand auch die dicke sahrauische Kulturministerin in dem sariähnlichem Gewand, das alle sahrauischen Frauen tragen. Ihr ³Sariã war orange, auch das macht sich in der Wüste immer gut. Die Kulturministerin war trotzdem schlecht gelaunt. Sie schaute mürrisch aus der Wäsche, wahrscheinlich weil alle nur um den Präsidenten herumtanzten und sie niemand beachtete. Ich glaube, ich war der einzige, der sie fotografierte, was ihre Laune sichtlich nicht besserte. Ihr Gesichtsausdruck schien zu sagen: Ich bin die sahrauische Kulturministerin, aber Du, deutsche Flitzpiepe, kennst nicht mal meinen Namen. Wetten? Wette verloren, Frau Mariem Saleek H'mada. Womit dies sicher der einzige Beitrag unter den Hunderten ist, die über diese Reise erscheinen, in dem der Name der einzigen Ministerin im sahrauischen Kabinett erwähnt wird.
    Nach ein paar Minuten war die Audienz beim Präsidenten beendet. Ein paar Uniformierte bedeuteten uns, daß wir die Biege zu machen hätten. Der irre Praktikant aber und Kongo-Sebi durften noch etwas bleiben. Der Präsident marschierte zurück ins Zwiebelfeld, weil Kongo noch ein paar Fotos von ihm beim demonstrativen Zwiebelernten machen wollte. Ich nutzte die Unachtsamkeit der Präsidentenbewacher, lief Kongo hinterher und mache ebenfalls zwei schöne präsidentische Zwiebelerntefotos. Kongo sagte, ich sei ein Leichenfledderer. So heißen in der Fachsprache der global operierenden Fotografen die Leute, die ihren Kollegen ganz unverfroren die Motive wegknipsen. Er war aber nicht wirklich böse, denn schließlich gehörten wir zur selben Bezugsgruppe. Und mit der darf man es sich unter den mörderischen Wüstenbedingungen niemals verscherzen.
    Am Ende aber vertrieb man mich doch aus dem Garten Thamek. So bekam ich nicht mehr mit, wie der Präsident die stellvertretende Deutschlandgesandte der Polisario in einen Berg frisch geernteter Zwiebeln schubste ö aus Spaß. Das konnte man später in der bedeutenden deutschen Wochenzeitung ³Die Zeitã nachlesen: exklusiv im Artikel des irren Praktikanten. Seine letzte exklusive Beobachtung, denn von nun an gehörte der Präsident uns allen.
    Bevor wir auf einer Pressekonferenz auch noch größere Teile des sahrauischen Kabinetts kennenlernten, mußte noch die zweitgrößte Hühnerfarm Afrikas besichtigt werden. Rund zwanzigtausend Hühner halten die Sahrauis vorbildlich in kleinen Käfigen, was zu einigem Gegackere in der Delegation führte. Nach der Inspektion des Stalles schmeckten mir die gelegentlich als Beilage zu den Nudeln servierten Spiegeleier noch mal so gut. Die Kabinettsmitglieder auf der Pressekonferenz waren der Kooperations- und der Gesundheitsminister. Als Dreingabe erschienen noch der Parlamentspräsident und der Direktor des Kabinetts des Sahrauischen Roten Halbmonds. Sie erklärten, die Versorgungslage in den Flüchtlingslagern sei dramatisch. Das war psychologisch nicht sehr geschickt. Schließlich hatten wir den ganzen Tag nur Berge von Eiern und Zwiebeln zu Gesicht bekommen.
    Der Abend brach an, die Sonne ging unter, langsam kühlte es ab, auf angenehme 40 oder 35 Grad. Wir brachen auf und bretterten mit unseren Jeeps dreihundert Kilometer durch die Wüste in die befreiten Gebiete. Auf der Fahrt lernte sich unsere Kleingruppe noch besser kennen. Der irre Praktikant erzählte von seinem einstigen Leben als Autonomer der dritten Generation, Kongo erzählte von seinem einstigen Leben als Autonomer der zweiten Generation und ich von meinem einstigen Leben als Maoist und jetzigem als professioneller Joschka-Fischer-Hasser. Die Weltmusikdame Simonetta war etwas zu nett zu unserem Fahrer Sidi, was später noch zu einem Mißverständnis führte. Nur Helga, die Mumie, schwieg. Sie saß eingemummelt und inzwischen auch schwer erkältet ganz hinten im Wagen direkt über der Hinterachse und vegetierte vor sich hin. Nur manchmal, wenn Sidi einmal wieder mit achtzig Sachen über eine der wüstentypischen Felsformationen kachelte, gab es einen lauten Knall. Dann war der Kopf der Mumie gegen das Jeepdach geknallt.
    Kurz vor Morgengrauen erreichten wir Tifariti, einem Ort, den die Marokkaner einst per Bombardement dem Erdboden gleichgemacht hatten. Heute steht hier nichts weiter als eine große, von der Saharasolibewegung aus dem Boden gestampfte Schule. Schüler gibt es keine, denn aus Angst vor Angriffen der Marokkaner lebt die sahrauische Zivilbevölkerung fast ausschließlich in den Lagern hinter der algerischen Grenze. In der Schule durften wir knappe zwei Stunden schlafen, bevor wir mit ³Jalla, Jallaã-Rufen (etwa: Los, Los!ã) brutal geweckt und sofort wieder hinaus in die Wüste gefahren wurden. Hier warteten ein paar ein paar hundert Polisario-Soldaten und ö der Präsident.
    Die Soldaten standen um ein mitten in der Wüste errichtetes Denkmal im Halbkreis herum und zeigten uns, was sie alles hatten: ein paar Panzer, ein Kamel, einen PC, eine Stalinorgel, Bastelarbeiten (z.B. Miniaturpflüge, Stempelkarussells und Krimskramskästchen) und selbst geerntete Zwiebeln. Plötzlich kam auch der Präsident dazu, schlenderte an einer angetretenen Ehrenformation vorbei und legte am Denkmal einen Kranz für die Polisariomärtyrer nieder. Der Kranz war der winzigste Kranz, den ich je gesehen hatte, ungefähr so groß wie ein Suppenteller, weil es eben in der Wüste nicht viel Kranzbastelmaterial gibt. (Außer Zwiebelstrünken, aber das zu benutzen, wäre wohl pietätlos.)
    Nach der Kranzniederlegung begann ein Manöver. Zusammen mit dem Präsidenten baute sich unsere Gruppe auf einem Hügel auf und beobachtete fachmännisch, wie Panzer, Flaks, Stalinorgeln und Jeeps in Keilformation vorstießen und dabei dicke Löcher in die Wüste schossen. Geübt wurde der Sturm auf die marokkanische Mauer, denn die Polisario hat vor kurzem den Waffenstillstand mit Marokko aufgekündigt. Das ist nicht ganz unverständlich. Vor rund zehn Jahren hatte sich die Polisario mit Marokko darauf verständigt, unter Aufsicht der Uno eine Volksabstimmung über die Zukunft der Westsahara durchzuführen. Jetzt aber, da seit mehr als einem Jahr die Wählerlisten für ein Referendum vorliegen, will Marokko von einer Abstimmung nichts mehr wissen. Der Grund: Die Marokkaner gehen davon aus, daß die Polisario das Referendum gewinnt. Der Westsahara soll nur noch eine begrenzte Autonomie innerhalb des Königreichs eingeräumt werden.
    Seit Neuestem unterstützt auch die Uno diesen Plan. Immerhin wohnen im besetzten Teil der Westsahara mittlerweile rund 300.000 Marokkaner, die unter einer Polisario-Regierung keine Staatsbürger würden. Gäbe die Polisario aber den Marokkanern die Staatsbürgerschaft, wählten sie den Anschluß an Marokko. Die Polisario könnte sich dann sie Selbständigkeit abschminken. Das macht die Lage in der Westsahara so vertrackt.
    Dem Chef aller Sahrauis, dem Präsidenten, aber schien diese Vertracktheit nichts auszumachen. Gut gelaunt wie immer beobachtete er seine kleine Operettenarmee beim Herumballern, herzte zwischendurch seine gute Freundin, die in unserer Delegation mitgereiste, übertrieben weißgewandete SPD-Europabundestagsabgeordnete Margot Kessler (aka Sahara-Margot), schlug dem vorbeihastenden irren Praktikanten auf die Schulter und ließ sich von mir aus Meterdistanz fotografieren. Dann machte es einen großen Knall, in der Wüste spritzte eine über zwanzig Meter hohe Sand- und Geröllfontäne und irgend jemand erklärte, die Polisario-Truppen hätten soeben ein fettes Loch in die ³Mauerã gesprengt. Damit war das Manöver noch gerade rechtzeitig beendet, ziemlich genau gegen 13 Uhr. Am Nachmittag nämlich wird in der Wüste nicht gekämpft, da halten auch die verfeindetsten Gegner Siesta.
    Am Abend kam in unsere Schule nach Tifariti - wer? Genau, erraten, war auch nicht schwer: der Präsident. Er wollte uns das sahrauische Nationalmuseum zeigen, das in einem Trakt der Schule untergebracht ist. Mittlerweile aber hatte der Mann nicht nur seine geheimnisvolle Aura verloren. Wenn wir ehrlich waren, wurde er langsam etwas lästig. Man stelle sich vor, Johannes Rau tauchte zweimal täglich bei einer sahrauischen Reisegruppe auf, die in Deutschland unterwegs ist; die Leute verlören jeden Respekt. Vornehmlich die Journalisten in der Gruppe ließen also den Präsidenten in seinem Museum allein, fläzten sich noch etwas auf ihren Siesta-Matrazen und diskutierten miteinander das, worüber Journalisten am liebsten diskutieren: Über Journalismus im allgemeinen und im besonderen darüber, daß die Situation für den freien und kritischen Journalisten in Deutschland immer beschissener wird.
    Irgendwie mußte der Präsident gemerkt haben, daß ihm zuviel Präsenz nur schadete. Am nächsten Tag jedenfalls ließ er sich nicht blicken. Abdelaziz scheint also nicht nur ein uneitler und freundlicher Präsident zu sein, sondern dazu noch ein hochsensibler. Ohne den Präsidenten fuhren wir zu einem kleinen Hügel, den wir in gebückter Haltung erklommen, um dem Marokkaner kein Ziel zu liefern. Dann spähten wir hinüber zur zehn Kilometer entfernten Mauer. Der Marokkaner schoß nicht, obwohl Sahara-Margot mit enervierender Stimme Marokko von hier oben scharf kritisierte.
    In der Nacht wurde einmal mehr nicht geschlafen, sondern durch die Wüste gebrettert. Diesmal sollte es existentiell werden. Auf den 400 Kilometern nach Dhakla erzählten wir uns alles. Der irre Praktikant sprach über das Hodenbaden, eine Verhütungsmethode, die in seiner Männergruppe propagiert und angeblich auch praktiziert wurde, Kongo über das effektive Verprügeln von Neonazis und ich vom BND. Das heißt, ich erzählte, mir sei von kompetenter Seite erzählt worden, daß auf einer Reise wie dieser mindestens ein Mann vom BND mitfährt. Sofort wurde ich verdächtigt, der Mann zu sein. Simonetta war wieder etwas zu nett zu Sidi und Helga, die Mumie, vegetierte auf der Hinterachse vor sich hin. Als die Fahrt gar nicht mehr aufhören wollte, wurde ich hysterisch, denn langsam gingen unsere Wasserreserven zur Neige. Die anderen kratzte das wenig. Auf einen BND-Mann mehr oder weniger käme es wohl nicht an. Die Mumie fürchtete sowieso nur die Zugluft, und murmelte, nicht umsonst wüßten die Mayas, daß der Wind die Krankheiten bringe. Das hatte die Mumie aus erster Quelle, denn vor langer Zeit hatte sie die ganze Nicaragua-Soli-Tour rauf und runter mitgemacht. Als dann mitten in der allerdunkelsten Nacht die Fahrer plötzlich anhielten und mitten auf einem 1000 Quadratkilometer großen Fußballplatz (ohne Linien) darüber zu streiten begannen, wo es denn jetzt langgehe, glaubte ich uns verloren.
    Schließlich erreichten wir doch Dhakla. Die Jeeps hielten zwanzig Kilometer vor dem Lager und bildeten eine kreisrunde Wagenburg. Für eine Stunde durften wir uns in den Kreis legen und auf dem Wüstenboden schlafen. Decken hatten wir nicht. Weil aber irgend jemand vergessen hatte, die Fußbodenheizung auszuschalten, schlief es sich sehr angenehm.
    In Dhakla, das in einem Talkessel liegt, war es noch einmal zehn oder zwanzig Grad heißer. Dazu zogen jeden Nachmittag Wolken auf ö Wolken! ö und es wurde schwül. Anschließend tobten Sandstürme. Jetzt zeitigten der dauernde Schlafentzug und die Hitze erste Ergebnisse: Wir begannen zu phantasieren. Kongo sah silberne Ameisen, der irre Praktikant fliegende Wildschweine und ich direkt vor mir ein vollständig bepacktes Kamel. Erst als ich aufsprang, um es zu fotografieren, bemerkte ich, daß es nicht da war. Der Fahrer Sidi wollte mit Simonetta spazieren gehen und sie unterwegs zu seiner zweiten Frau machen, aber auch er hatte sich bloß etwas eingebildet. Helga versuchte, einem Sahraui das deutsche Wort ³Schlitzohrã beizubringen, kurz danach bekam sie einen Schwächeanfall und wäre nun fast wirklich mumifiziert worden. medico-Thomas irrte stundenlang und kreideweiß mit einer Dose Aprikosen in den Händen durchs Lager und suchte einen Dosenöffner, bis er zusammenklappte. Ein war Puls nicht mehr zu fühlen, bis einer auf die Idee kam, die Dose aufzustechen und ihm den Aprikosensirup einzuflößen. Das war seine Rettung. Ein älteres Delegationsmitglied wurde gefunden: mit 41,8 Grad Körpertemperatur. In einer halbtägigen Prozedur kühlten ihn sahrauische Ärzte wieder auf 37 Grad herunter. Dann betraten Lalla und Mariam unser Zelt. Kongo und ich dachten, jetzt seien wir gestorben, denn beide waren von überirdischer Schönheit. Sie waren aber echt. Sofort verliebte sich Kongo in Lalla und ich in Mariam. Wir beschlossen das Zelt nie mehr zu verlassen.
    So saßen wir denn im Zelt herum, ließen uns von unseren Liebsten in spe Tee reichen, schmachteten sie an und machten schon weitreichende Pläne für die Zukunft, als uns mal wieder wer in die Quere kam? Och nö, nicht der schon wieder, doch, doch: der Präsident. Denn es war der Tag der Märtyrer, der Präsident wollte eine Rede halten und wir mußten noch mal raus aus dem Zelt und rein in den größten Versammlungssaal der Sahrauis, um sie anzuhören. Zum ersten Mal war Abdelaziz sehr ernst. Auf einen Tisch gestützt sagte er Sachen wie ³Tod auf dem Schlachtfeld der Gerechtigkeit ist ein Tod zur Verteidigung erhabener Prinzipien, zu den auch die Werte zählen, die uns unsere Religion lehrtã und ³daß das sahrauische Volk für sein edles Ziel bereit ist zu sterben.ã Ich wartete darauf, daß der Präsident gleich wieder ein paar Witze machen, irgend jemand vom Podium schubsen und dann sagen würde: ³Alles nur Spaß!ã Doch das geschah nicht.
    Ich weiß nicht mehr genau, was nach der Rede passierte. Alles ging sehr schnell. Dunkel erinnere ich mich, wie ich an einem Getränkezelt stand, und immer wieder meine Münzen zählte, ohne auf die erforderliche Summe zu kommen. Ich konnte nicht mehr sprechen. Versuchte ich es, verknäulten sich mir die Worte im Mund. Mit einem Mal war ich mitten in einer unüberschaubaren Menge Sahrauis, aus der plötzlich Helga emporschoß. Sie saß auf einem Kamel und lachte, das erste Mal auf der ganzen Reise. Ich sah, wie ein riesiges Thermometer nach dem anderen platzte, im Takt zur sahrauischen Nationalhymne. Dann sah ich mich mit einem schwarzen sahrauischen Turban. Neben mir stand Mariam. Glocken läuteten und wir heirateten in einer viertürmigen Moschee aus Zitronensorbet. Ich verstand mit einem Mal, warum sich der irre Praktikant selbst irre nannte. Und ich wußte plötzlich ganz genau, wer von uns der BND-Agent war. Dann wurde wieder Jeep gefahren, ein großer silberner Vogel senkte sich über der Wüste, es wurde sehr kalt und zum ersten Mal seit einer Woche schlief ich wirklich ein.
    Als ich wieder aufwachte, stand ich in Frankfurt auf der Straße vor einer Plakatwand. Von der Wand grinste Margarete Schreinemakers, sie warb für ³Big Dietã. Ich dachte: Huch, und dann: Die sollte man auch mal in die Wüste schicken. Kurze Zeit später wurde das gemacht.
    Christian Y. Schmidt

  2. #2
    Embedded Senator Avatar von DerCaptain
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    Lieber Herr Schmidt,
    das ist eine sehr schöne Geschichte. Alles drin: Hodenbaden (gabs hier da nicht auch mal nen Strang drüber?), Präsidenten und der BND. Klasse.
    ------------------
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    (Beitrag wurde von DerCaptain am 26.07.2001 um 17:12 Uhr bearbeitet.)

  3. #3
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    Oh, I just love this sort of stories!

  4. #4
    Member Avatar von google
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    Die Liga für Gerechtigkeit verleiht ihrer Solidarität mit der Frente Polisario Ausdruck und wuchtet.
    (Beitrag wurde von google am 27.07.2001 um 02:02 Uhr bearbeitet.)

  5. #5
    Member Avatar von Maigret
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    Man wäre gern dabeigewesen, in der Wüstenhitze, und hätte den Agenten gejagt und den Präsidenten. Bilder von der Fremdenlegion tanzten einem vor Augen, wenn man das las, der Vater hatte noch eine Uniform im Schrank gehabt. Er war nun auch tot.
    Man selbst konnte dort nicht mehr hin, die gerechte Sache unterstützen oder Morde verhindern oder aufklären. Es war in dieser Wüste zu heiß für den Kreislauf. Gut daß jemand anderer für einen hinging und dann auch davon berichtete.

  6. #6

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    Hoch, hoch! Präsident Mohamed Abdelaziz!

  7. #7
    Hobel Avatar von Ignaz Wrobel
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    Eigentlich ja Thema haarscharf verfehlt, Herr Ypsilonschmidt, zufällig waren ihre Begegnungen ja nicht gerade und verdammt lang war's auch. Aber bei einer so schönen Reisebeschreibung drückt man schon mal ein Auge zu!

  8. #8
    [Member] Avatar von Herr Cohn
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    Diese Geschichte wuchte ich kurzerhand hoch, denn sie ist viel zu gut für eine langsame Entropie irgendwo ganz unten im Juli.
    @ Herrn Wrobel: Ich bin ja man ziemlich neu hier und will kleine Brötchen backen. Aber feiern Sie doch diese Geschichte! Wenigstens jetzt. Sie ist lang, genau wie eine Fahrt durch die hinterste Wüste. Erst nach dem Lesen wird klar, wie unglaublich anstrengend so was ist und mit wie wenig die Leute da leben müssen. Die 'Frente Polisario', das Wort habe ich noch halb im Ohr, aus den Siebzigern. Unglaublich, aber die gibt es immer noch. Wie lange die Leute da schon überleben! Unsereiner fläzt dagegen gemütlich & isst ein Zitronensorbet nach dem anderen. Sie auch, Herr Wrobel!

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