Peter Handke zeigte sich dereinst bei Wien-Besuchen dann und wann im alten Chelsea. Das Chelsea, für die Nicht-Eingeweihten, ist, man möchte es kaum glauben, der Vorläufer des neuen Chelsea und war im 8. Bezirk in der Piaristengasse 1 zu finden, wo das alte Chelsea, ein Hort ungestümen Indie-Gitarren-Rocks und chronischem Alkoholismus, für diese bürgerliche Gegend zu wenig bürgerlich war und sich einen anderen Standort suchen musste. Handke, so viel ist sicher, kam ursprünglich vorbei, um dort seiner Tochter Amina zu begegnen, die im alten Chelsea regelmäßig als DJane wirkte, als dieses Wort noch nicht kreiert worden war. Handke, soviel läßt sich mutmaßen, kam aber bald auch, wenn Amina gar nicht zugegen war, um - soweit die Mutmaßung - das zechende Jungvolk und die neue wilde Musik auf sich einwirken zu lassen und somit quasi sozioliterarisch verwertbare Feldforschung zu betreiben. Wie auch immer: Handke knotzte stets an der Bar, unbewegt, wortlos, keinen Kontakt suchend, einen Buckel machend, irgendwie verängstigt in sich gekehrt und doch dem Szenario in Sympathie verbunden. An einem Abend schließlich geschah das Unfassbare: Ich, von einer nicht mehr zu unterdrückenden Unrast getrieben, stürmte Richtung Pissoir, quetschte mich an Handke vorbei und stieg dem Dichterfürsten dabei auf die Zehen! Sofort war aller Blasenstau vergessen und ich piepste ein mechanisches 'Entschuldigen Sie bitte, Herr Handke!', worauf der Dichter und Denker ein kaum vernehmbares 'grmpft!' erwiderte. Diese mir persönlich gewidmete literarische (Er)Regung habe ich seitdem fest und tief in meinem Hirnkastl gebunkert und dreifach eingerahmt.
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