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Thema: Rubinowitz, Tex (auf der Weihnachtsfeier)

  1. #1
    Avatar von Goodwill
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    Ich habe Text Ruabinowitz getroffen, und in meiner Erinnerung lief das ungefähr so ab:
    Die Weihnachtsfeier war schon in vollem Gange, als ich dazu stoßen durfte. Als erstes beschlugen meine Brillengläser und ich blieb erst mal stehen, um nicht in den Weinkeller des Lokals zu stürzen oder dem Verlagsgeschäftsführer in die Arme zu laufen. Den hätte ich wahrscheinlich sofort gewürgt, so finster war meine Laune.
    Der ÈFalterÇ, so hieß das kleine feine Wiener Wochenblatt, musste in jenem Jahr nämlich wie immer sparen. Es war so um 1994 herum. Das Wort optimismus schrieb man gerade wieder mal klein. Nachdem man das ganze Jahr über schon am Zeilengeld gespart hatte, musste man sich beim ÈFalterÇ zum Jahresende treu bleiben. Ich schätze, es hatte eine Redaktionskonferenz gegeben, auf der die Frage debattiert wurde: Wo spart man im Dezember am sinnvollsten? Natürlich an der Weihnachtsfeier für die Mitarbeiter. Deshalb durften ich und die anderen ÈFreienÇ erst ÈspäterÇ kommen. Nachdem die Festangestellten südamerikanisch getafelt und getrunken hatten. Es hieß, wir Dazukommenden könnten dann immerhin noch umsonst was trinken.
    Ich setzte mich an einen Tisch, an dem schon andere Menschen saßen und versuchte an Christbaumkugeln zu denken. Oder an was anderes Fröhliches, um irgendwie in Stimmung zu kommen. Mir gegenüber saß jemand Ð zumindest in meiner Erinnerung - mit einer klobigen, verkleinerten Woody-Allen-Brille. Wenn ich heute, in Anbetracht der Aufgabe als Tex-Rubinowitz-Chronist zu wirken, daran zurück denke, dann taucht vor meinem inneren Auge unweigerlich dieser Cowboy auf, der in der Fernsehwerbung für ÈTV SpielfilmÇ in Zeitraffer durchs Bild hoppelt. Leute, wenn ihr wissen wollt, wie Tex Rubinowitz aussieht Ð genau so! In meiner Erinnerung jedenfalls.
    Aber ob ich mich auf die verlassen kann? Wir kamen an jenem Tisch ins Gespräch. Zwei Deutsche. Mitten auf einer österreichischen Weihnachtsfeier, mitten in Wien hatten wir automatisch ein kleines Getto gebildet. Um uns herum der geschmeidige Singsang aller möglichen österreichischen Dialekte. Und wir spachen zackiges Deutsch. Ich beklagte mich bei dem mir unbekannten Gegenüber über das harte Los, vom ÈFalterÇ nicht mal zu Weihnachten in Naturalien bezahlt zu werden. Er sagte, er sei trotzdem glücklich und zufrieden. Ich meckerte über das harte Los, als ÈPiefkeÇ in Wien zu leben und sich nur schwer über Wasser halten zu können. Er schwärmte davon, wie leicht es ihm hier gefallen sei, Fuß zu fassen. Er erzählte, er käme aus der nordeutschen Provinz (Hannover, Braunschweig oder so ähnlich) und fände Wien großartig. Der Mann war mir ein sympathisches Rätsel. Ein Mensch, der alles leicht nahm, der sofort jede Menge Freunde gefunden hatte und beruflich scheinbar erfolgreich war. Wie das? Der wirklich sehr sehr dicke Hermes Phettberg legte ihm im Sich-vorbei-zwängen kurz die Hand auf die Schulter meines Gegenübers und die beiden wechselten ein paar verschwitzte Worte. Ein Adelsschlag.
    Dann begann irgendjemand eine unwichtige Rede zu halten und danach starteten die Kulturredakteure ihre Show: Wenn ich mich recht erinnere, stiegen der Theaterkritiker Roland Koberg und der ÈFalterÇ-Literatur-und-überhaupt-Papst Klaus Nüchtern barfuß auf zwei Stühle, die auf dem Tisch standen und ließen ihre Zehen rhythmisch auf der Sitzfläche schnackseln (oder knacksen). Der Applaus war der Vorführung entsprechend euphorisch. Danach sang Koberg noch ÈDanke für den schönen TagÇ kletterte bei jeder Strophe auf der Tonleiter nach oben bis sich seine Stimme mehrfach überschlug und zumindest für diesen Abend auf der Strecke blieb.
    Ich war begeistert. Dann kam meine Redakteurin an unseren Tisch. Aber statt sich um mich zu kümmern, umgarnte sie ÈTähäxÇ. Mir dämmerte jetzt, wer da saß: Ein Mensch, der mit Hilfe von nicht sehr ausgetüftelten Kugelschreiber-Zeichnungen, die aber immer irgendwie recht komisch waren, berühmt geworden war. Sogar in der ÈZeitÇ hatte schon einen Artikel über ihn gestanden. Zum Glück hatte ich den nicht gelesen. Irgendwie kam ich mir nun blöd vor. Jedenfalls war meine Unbefangenheit hinüber. Ich war froh, dass sich die Redakteurin dann auch noch mit mir beschäftigte, als ÈTäxiÇ nicht so auf sie ansprang wie sie auf ihn. Beim großen Stühlerücken und in der nun langsam überschwappenden Stimmung verschwand Tex Rubinowitz bald darauf an den Tisch der Wichtigen, wo man ihm zur Begrüßung fast die Schulter zu Brei schlug.
    Aber wahrscheinlich war alles ganz anders, als in meiner biervernebelten Erinnerung.

  2. #2
    attention whore
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    eine schoen erzaehlte geschichte. warum kann ich sowas nicht?

  3. #3
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    Eine schön erlebte Geschichte. Warum kann ich sowas nicht?

  4. #4
    Moderator
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    eine schön erinnerte Geschichte. Warum kann ich sowas nicht?

  5. #5
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    Eine schön erzählte Banalität. Warum kann ich das nicht?

  6. #6
    Hobel Avatar von Ignaz Wrobel
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    Eine geschickt erlebte Schönheit. Ich kann sowas auch, wenn ich gut drauf bin.

  7. #7
    Avatar von O de Cologne
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    von einem erfolgreichen adretten zufriedenen jungen mann berichtet. warum kann ich nicht so sein wie der?

  8. #8
    Avatar von slowtiger
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    Eine schön erlebte Geschichte. Warum komme ich nicht darin vor?

  9. #9
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    Eine Geschichte mit schönen Kommentaren. Warum fällt mir nie so einer ein?

  10. #10
    Avatar von Herr Genista
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    Schöne Geschichte.
    Kommentare erscheinen.
    Ich schweige verschämt.

  11. #11
    Avatar von Elli Kny
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    Herr Genista, ihr Kommentar ist beschämend schön.

  12. #12
    Moderator Avatar von Ruebenkraut
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    Ja wirklich, warum kann ich nicht so beschämend schöne Kommentare schreiben?

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