...oder unangenehme Lokalprominenz
Ein Sanitärgroßhändler lieferte Waren größerer Menge an eine russische Firma. Sehr zum Unwohlsein des Sanitärgroßhändlers war der Geschäftspartner aus dem Land der Birke nun in der unangenehmen Lage, seine Rechnung nicht zahlen zu können. Einzige Möglichkeit: Ein Naturalienaustausch. Sanitärartikel gegen eine große Anzahl russischer Armeeschlauchboote. Auf diese Weise gelangte das Schlauchboot erst in die Auslagen eines Sanitärfachhandels, von dort weiter in den Besitz meines Vaters und am Tage vor dem ersten Mai in meine gierigen Finger, die schon immer zugriffen, wenn ein Schlauchboot in der Nähe war. Das Schlauchboot übrigens ist tarn-grün, verfügt über lediglich zwei Luftkammern und sieht aus, als wäre es mit Fahrradflickzeug zusammengeschustert. Hinzu kommen kyrillische Schriftzeichen am Bug, die dem Wasservehikel den gewissen exotischen Chique verleihen.
Es ist nun also der erste Mai, die Sonne scheint und ein paar Reste des Martini-Huhns vom Vorabend schreien nach Picknick. Ein willkommener Anlaß, das Schlauchboot russischen Fabrikats auszuprobieren. Meine Frau S. und ich pumpen also das russische Boot mit Luft voll und setzen es an der Poppenbüttler Schleuse ins grünliche Nass der Alster, die ganz nebenbei auch dem gelblichen Getränk, dass wir zu uns zu nehmen gedachten, den Namen leiht (Alsterwasser also. Anderswo heißt es 'Radler'). Die Alster ist ein kleiner Fluss, der im flachen Grün Schleswig-Holsteins entspringt, einen Urwald und später Hamburg durchquert, um schließlich in der Elbe zu verenden. Hübsch ist dieses Flüsschen an vielen Stellen. Etwa an der Poppenbüttler Schleuse, von wo aus wir in Richtung Alsterquell paddelten (etwa halbes Fußgängertempo). Wir paddelten und paddelten, tranken Alsterwasser und machten uns Gedanken über S's derzeitiges Arbeitsthema: Die Komödie deutscher Seele 'Vor dem Ruhestand' von Thomas Bernhard. Ein Stück, dessen Protagonist Höller ein Altnazi ist, der nach Kriegsende ein paar Jahren 'Kellerexistenz' absitzt, um in der Folge wieder als Richter zu arbeiten. Frau S prägte das schöne Wort vom 'privaten Nazi' und so redeten wir über Gesocks und deutsche Befindlichkeiten, als uns ein schneidiges Holzkanu entgegenkam. 'Das da ist doch der eklige Richter Schill', sagte ich zu S, die rückwärtig zur Fahrtrichtung saß. Tatsächlich: es war der eklige Richter Schill, eine Haider-ähnliche Person, der als 0-Toleranz-Richter erster Kajüte bekannt wurde und vor einiger Zeit unter die Parteiengründer ging. Mit Frau und Kind kanutete er die Alster hinab, als sei er auf Stichwort in Mission 'Unmenschen - menschlich gesehen' unterwegs. Die Strömung begünstigte jedenfalls das Tempo der vorbildlichen Kleinfamilie und so verging die Begegnung mit dem privaten Schill sehr schnell: Mir sprang obiger Ausspruch aus dem Mund, da fuhr er auch schon vorbei, belegte aber meine fesche Spiegelsonnenbrille, das russische Schlauchboot, die Alsterwasserdose in der einen und die Zigarette in der anderen Hand mit einem evtl. erstaunten, hoffentlich abschätzigen Blick. Ich schickte ihm einen eisenharten Westernblick durch die Spiegelbille und wäre ausnahmsweise gerne unhöflich geworden. Nur, es fiel mir nichts ein.
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