Ort: Wien Schwechat, Zeit: Freitagnachmittag. Ein halbvoller Bus auf dem Weg zum Flugzeug nach Berlin. Allerhand schwerarbeitende Anzugträger, eine Familie, Einzelpersonen. Da steigt eine Künstlerin in den Bus, ja, es muß eine Künstlerin sein. Schwarzer Samtrock, lammfellgefütterte Rupfenjacke, sonderbarer Schmuck, lila Tücher um fuchsrote Lockenpracht, Goldgehänge, rote Lippen, getuschte Augen. Eine Schönheit, zwar schon älter, aber doch. Nachmittäglich verträumt und nicht ganz bei der Sache schweift mein Blick herüber. Entlegene Gedanken: Malerin auf der Durchreise? Kunsttöpferin am Weg zum Kreativkurs? Unbekannte Dichterin?
Der Bus bremst scharf, das Flugzeug ist erreicht. Ein letzter Blick auf die Schönheit. Sie ist in Begleitung einer blassen, unscheinbaren Frau mit dunkler Baskenmütze und tiefem, schwarzgefärbten Pony. Uninterressant.
Aber irgendwoher kenn ich die. Im Gedränge komme ich hinter ihr zu stehen. Und was klebt da auf ihrem schmuddeligen Lederrucksack? Ein kleiner Zettel: Friederike Mayröcker, Wien, Adresse (aus Gründen der Diskretion hier nicht vermerkt). DIE Mayröcker!?! Aber warum klebte der Zettel da? Um meinen Blick endlich mal abzulenken?
In Berlin wurde Frau M. von mehreren wichtigen Kulturhausleitern in Beschlag genommen und hinweggeführt.
Aber wer war die schöne Unbekannte in Mayröckers Begleitung?
Lesezeichen