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Thema: Goldt, Max (Max Goldt, das Hämmerchen)

  1. #1

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    Es ist 4 Uhr Nachts, ich sitze mit T-Shirt und nacktem, in einer imaginären Hose befindlichen Po, so wie Gott mich schuf, vor meinem Schreibtisch und streiche verträumt oder müde UHU Kleber auf die Rückseite eines 5 mal 7 cm großen Stückchen Papiers, auf dessen Rückseite bald die Adresse einer Freundin aus den Niederlanden stehen soll. Schon wartet das Brieflein, schon schreit es nach einem Namen, schon will ich es taufen, ihm Sinn und Inhalt geben, streiche über seine Kanten, benetze seine selbstklebenden Stellen mit meiner Satinzunge, da rutscht mir das Papierchen aus der Hand, segelt wie ein Lindenblatt gen Boden und bleibt an meinem Bein kleben.
    Ich nehme das Zettelchen ab und stelle fest: darauf steht eine Geschichte geschrieben.
    Die tippe ich jetzt in den Computer, sie ist lang und für dieses Forum nicht geeignet, aber ich muß sie erzählen, es ist ja schon 5 Uhr.
    Sie heißt ³Max Goldt, das Hämmerchenã.
    1995 kannte ich Max Goldt nur ein bißchen, ich war damals also gewissermaßen ein halber Paparazzi. Er war schon immer einer meiner Helden gewesen, so wie später Tex Rubinowitz (dem ich nur einmal in meinem Leben begegnet bin, bei Max in seiner Wohnung; ich sah ihn für ungefähr 15 Sekunden, er legte eine nasse Badehose - oder etwas, das so aussah - auf die Hi-Fi Box und wollte dann stracks schwimmen gehen, bei 5¡ Außentemperatur). Ich hatte Max einmal mit 15 Jahren, also vor 16 Jahren, bei einem seiner Auftritte eine Kassette mit 4-Spur-Musik zugesteckt, und er hatte mir vier Wochen später einen sehr netten Brief mit lobenden Worten geschickt. Ich hatte ihn auch gelobt, wir haben uns gegenseitig gelobt, von 4-Spur zu 8-Spur.
    1995, also 11 Jahre später, war ich auf eine der berüchtigten Brillowska-Kissing-Parties eingeladen. Mariola Brillowska war die Frau, Charles Kissing der Mann. Die Parties waren, wie gesagt, berüchtigt. Sie begannen immer mit einer guten Idee und endeten in einer Art Schlammschlacht oder mit zerbrochenen (meist von Charles selbstgebauten) Möbeln.
    Beispiel: Die Party begann damit, daß alle Scherenschnitte voneinander machen sollten. Später wurden aber später auch neue Frisuren geschnitten. Danach zogen sich alle Frauenkleider an und tanzten auf dem langen Holztisch, bis der zusammenbrach (Charles baute dann einen neuen).
    Anderes Beispiel: Es gab Eier, wahnsinnig viele Eier, mit Mayonnaise zu essen und dazu Wodka. Keiner hat gekotzt, aber irgendwann waren alle mit Rasierschaum und Nutella beschmiert. Seltsamerweise nicht mit Mayonnaise.
    Nun, auf dieser einen Party, von der ich erzählen möchte, gab es kein Motto. Es waren Kunst-Studenten von Frau Brillowska da (jung) und Freunde von Charles Kissing (alt). Die Mischung war außerordentlich heterogen, und das war gut so. Künstler, Schlingel und Gesocks.
    Ich hatte eine Superidee. Ich kaufte für die beiden stadtbekannten Streithähne Brillowska und Kissing (sie stritten sich manchmal so heftig, daß die Nachbarn oder die Tochter die Polizei riefen) beim Scherzartikelladen ³Fahnenfleckã 3 Plastikkeulen, Modell Steinzeit. Ich hoffte, daß es zu einer Prügelei kommen würde. Ich sollte recht behalten.
    Die Party fand im alten B-K-Atelier in der Ifflandstraße statt, dort wo ich ein Jahr später als angeblich neuer Untermieter den Gerichtsvollzieher und eine unangenehme Truppe von Yuppies und Star-Rechtsanwälten wieder nach Hause schicken sollte. Der Gerichtsvollzieher hieß, ich schwöre beim Barte meiner Großmutter, Johnny Krautwurst. Aber das ist eine andere Geschichte.
    Max Goldt war auch da. Frisch nach Hamburg gezogen, warf er sich schon mitten ins pralle Leben, überrumpelte zum Beispiel einen anwesenden Zauberkünstler und alten Schulfreund von mir mit einem heißen Zungenkuß. Bitte, daß mir keiner zürne, auch nicht Max, daß ich das erwähne, denn Max tat es öffentlich, und das war okay, denn sein Motto ist ³Askese und Exzessã, wie er mir einmal verriet. Es steht eingemeißelt auf seiner Seele Klingelschild.
    Der Abend schritt mühelos voran und der Raum begann zu schwanken, die Stimmen wurden lauter, die Reden hitziger. Ich weiß nicht mehr genau, was den Auslöser gab, jedenfalls begann irgendwann jemand Gebrauch von einer eben jener Plastikkeulen zu machen. Der erste Hieb blieb nicht folgenlos und binnen 60 Sekunden prügelten alle mit allem auf allen herum. Wer keine Keule zur Hand hatte, schnappte sich eine der vielen Plastikwasserflaschen, manche kühnen Gestalten griffen gar zu Holzknütteln. Das Atelier hatte sich in einen Saloon verwandelt, in dem Menschen wild aufeinander eindroschen. Es war einer jener ENTFESSELTEN Zustände, die man in solcher Form nur selten erlebt, vielleicht nur einmal alle 7 Jahre, also nach jeder Häutung. Alle Gäste rannten fortwährend im Kreise um mehrere Zeichentische in der Mitte des Zimmers herum, man wußte nicht mehr, wer Jäger war und wer Gejagter.
    Mitten unter ihnen: Max Goldt, mit besessenem, etwas angsteinflößenden Gesichtsausdruck. Ebenfalls wild dreschend. So wie alle anderen reagierte er die Wut vergangener Jahre ab.
    Nach der Prügelszene gingen einige nach Hause, andere hingen schlaff auf ihren Stühlen herum, der Mob war müde.
    Nur einer war noch hellwach: Max. Er kniete auf dem Boden und suchte etwas.
    Wir gaben ihm ein Brettchen, ein Hämmerchen und Nägel. Und bald darauf sah man ihn mit
    weit ausladenden Bewegungen die Nägel in das Brettchen schlagen. Er nagelte das Brettchen am Boden fest. Ganz fest.
    Sein Gesicht spiegelte eine seltsame Mischung aus oben beschriebener Besessenheit und dem Ausdruck hysterischer, kindlicher Freude wider. Die Augenbrauen waren bis zum physisch Machbaren hochgezogen, der Mund zu einem breite ³Uã verzerrt. Ich habe Max Goldt danach noch oft getroffen, aber nie sah ich ihn so von purem Glück durchflutet wie an jenem Abend.
    Wir nannten ihn nach diesem Abend eine Zeitlang ³das Hämmerchenã.

    (Beitrag wurde von Felix Kubinski am 23.04.2001 um 16:12 Uhr bearbeitet.)
    (Beitrag wurde von Felix Kubinski am 23.04.2001 um 16:16 Uhr bearbeitet.)
    (Beitrag wurde von Felix Kubinski am 24.04.2001 um 02:40 Uhr bearbeitet.)

  2. #2
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    Die Geschichte ist gut, nur etwas stört, dass Du sie nackt geschrieben hast, das ist ein Gesetz hier, schreibe gerne nachts, schreibe jedoch nie nackt, ausserdem hab ich immer Plastikeulen gelesen

  3. #3

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    Ach Tex,
    nachts nackt schreiben beflügelt mich, aber erst nach 4 Uhr, wenn ich zu halluzinieren beginne. Hätte Gott mich so nicht geliebt, hätte er mich mit T-Shirt und angewachsenem Suspensorium in die Wiege geworfen. Was ist denn am Nacktsein so unschön? Nur weil 'nackt' in 'beknackt' enthalten ist?
    Vielen Dank aber für Deine Reaktion. Ich glaube, Du bist der einzige hier, der meine Geschichten liest (s. Mike Krüger).
    Felix
    P.S.: Hast Du noch nie nackt was geschrieben....wirklich NOCH NIE?
    (Beitrag wurde von Felix Kubinski am 23.04.2001 um 16:09 Uhr bearbeitet.)
    (Beitrag wurde von Felix Kubinski am 23.04.2001 um 16:10 Uhr bearbeitet.)

  4. #4

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    Das Wort 'nacktem' habe ich mit Sternchen zensiert. Jetzt sieht es aber irgendwie obszöner aus als vorher...
    Ich werd's bestimmt bald wieder reintun.

  5. #5

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    Hab jetzt die Sternchen vor 'Po' auch weggenommen. Sieht noch seltsamer aus.
    Habe jetzt keine Zeit mehr, muß arbeiten.
    Es gibt wichtigere Dinge.

    Werde bestimmt wieder was reintun-

  6. #6
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    Lange Geschichten sind gut und wichtig, weil der Autor auf der Strecke auf Touren kommen kann. Auch diese hier ist höchst vergnüglich und interessant (Max Goldt möge mir verzeihen, wenn er anderer Meinung ist). Es ist nun leider schwer, aus einer langen Geschichte einen Anknüpfungspunkt herauszufiltern, so dass die langen Geschichten rasch absinken, wohingegen kurze mal eben rasch 50 Resonanzen erhaschen. Die Welt ist ungerecht!

  7. #7
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    Hat Goldt das Brett wirklich auf den Fußboden genagelt? Dann können die ja anschließend das Atelier wegwerfen oder wahlweise jahrelang über das Brettchen stolpern.

  8. #8
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    Dass ich so gegen das Nacktschreiben wetterte, liegt daran, dass der grösste Teil der Belegschaft hier (ich) sehr prüde ist. Ich bin auch FKK Gegner, es ist natürlich, Kleider zu tragen! Mich hat mal einer (auch ein Pap-Beiträger, seinen Namen nenne ich nicht), angerufen, der gleichzeitig schiss. Ich will das nicht, ich will Prüdesse und Etikette, please! Wir hatten hier auch mal einen, der andauernd furzte und rülpste.
    Schön kann das Wort HATTEN klingen.

  9. #9
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    wer gibt mir einer erklärung für die brettnagelerei, hab ich was überlesen oder ist es ein kryptisches zeichen. weshalb hat max g. denn jetzt genagelt. oder wenn oder was?

  10. #10
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    Warum er nagelte, ist rückblickend doch völlig belanglos. Wichtig ist, dass er mit großer Freude nagelte. Im Zweifelsfall nagelte er ein Zeichen für den Frieden in der Welt.

  11. #11
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    herr kubinski soll ruhig nackt schreiben..mir gefällt das. ich habe mal nackt mit einem brett und einer bohrmaschine herumfuhrwerkt. DAVON ist in jedem falle abzuraten.
    in meiner klinik ist schon so manches prominente hinterteil an mir vorbeigeschlurft (die krankenhauskittel bleiben auch in meinem etablissement keinem erspart) und aus mir ist auch etwas geworden.

  12. #12
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    Nacktheit ist obszön, Bettyford ist keine Maßgeblichkeit hier, die ist grad verliebt, da macht man solche Dummheiten. Frage: Was sagt eigentlich Gerald dazu?

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