Es geschah heute. Heute um 16.12 bis 16.54 in Berlin. Ich war bei meinem Frisör Oliver Weidner in der Auguststraße. Wir besprachen die Eröffnung der Zweigstelle der 'Walther von Goethe Foundation Reykjav’k' in eben seinem Frisör-Laden, als der Isländer J—n Atlasson mit seinem Fahrrad vor dem Fenster stoppte und das Geschäft betrat. Er hatte einen Zollstock dabei und markierte die Stelle, wo zur Eröffnung der Zweigstelle im Frisör der isländische Botschafter sprechen wird. Dort nämlich wird J—n eine kleine Bühne aus Paletten bauen. Der Botschafter Ingimundur Sigfusson hat nämlich fest zugesagt, meine neugegründete Foundation im Frisör mit einer Rede zu eröffnen.
Nachdem J—n die Ecke vermessen hatte, gelüstete uns nach einem Kaffee. Das naheliegenste Café ist quer über die Ecke in der Tucholskystraße. Es heißt Culinero und ist berühmt für seine guten, selbstgebackenen Kuchen und irgendwie kein Neue-Mitte-Schickeria-Café. Eher klein, gutsortiert, freundlich und liebevoll. Wir betraten die Lokalität und bestellten Apfeluchen mit Mandelsplittern. Plötzlich sagte Oliver etwas murmelnd zu mir: 'Guck mal da, Joschka Fischer.' Ich beugte mich unaufällig nach vorn und tatsächlich: da saß er. Joschka Fischer. Nun wollte ich die richtige Balance zwischen hoeflichen-paparazzitum und Respekt vor Privatsphäre aufrecht erhalten und genehmigte mir insgesamt nur vier bis fünf verstohlene, unauffällige Blicke.
Joschka Fischer saß mit einem etwas hageren Herren am zweiten Tisch am Fenster, lehnte sich gelegentlich im Stuhl etwas nach hinten. Er schaute ziemlich ernst drein. Immer wenn ich vorsichtig herüberblickte, war er nicht am Sprechen. Ich vermute, er entspannte sich. Doch setzte er mehrfach eine blaue Baseballcap auf und ab. Warum, war nicht zu ergründen. Einmal zog er sie so tief ins Gesicht, dass ihn niemand hätte auf beiläufigem Fuße erkannt.
Nun habe ich Joschka Fischer ja erst vor drei Tagen einen persönlichen Brief geschrieben. Eben weil er als Außenminister der allerhöchste Dienstherr der Goethe-Institute ist und die mir ja mit Klage drohen. (siehe www.geysir.com) Aber das hätte ich nicht gemacht, da hinzugehen und zu sagen: 'Hallo, ich habe Ihnen erst vor drei Tagen einen Brief geschrieben. Und nun sitzen Sie hier. So ein Zufall aber auch!'
Nein, das wäre sehr unhöflich. Der Außenminster kann in Berlin in Ruhe seinen Kaffee trinken und seinen Streuselkuchen verzehren und alle tun so, als ob das völlig normal wäre. Naja, viellleicht nicht ganz. Die beiden blonden aufgedonnerten Frauen neben uns wechselten zum leeren Tisch neben Joschka Fischer just in dem Augenblick, da sie ihn erspähten. Wechselten aber so, als ob sie lieber am Fenster sitzen würden und nicht an der Garderobe. Es könnte natürlich sein, dass sie das auch ohne Außenminister gemacht hätten.
Schließlich bezahlten wir unsere Zeche und gingen ganz natürlich und völlig unverkrampft, ohne den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland auch nur einen Blick zuzuwerfen aus dem Café. Als ich mein grünes Fahrrrad aufschloss und damit auch das blaue von J—n Atlasson, glaubte ich einen kurzen Moment lang zu bemerken, dass Fischer die Szenerie aus dem Fenster betrachtete. Er saß direkt mit Fensterblick: Ein Isländer und ein Deutscher, ein blaues und ein grünes Fahrrad und nur ein einziges Fahrradschloss.
(Beitrag wurde von Wolfgang Mueller am 17.04.2001 um 23:03 Uhr bearbeitet.)
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