Sommer 1976. Meine Eltern haben die hippieske Idee mit der Ente nach Griechenland zu fahren . Meine Erinnerungen an die Fahrt sind nur noch bruchstückhaft: Der Motor überhitzt auf dem Wurzenpass, Lastwagen zählen gegen die Langeweile auf dem Autoput durch Jugoslawien, verrostete Autowracks in smaragtgrünem Wasser in Griechenland. Eine Woche im Auto ö eine Tortur für einen Achtjährigen. Doch am Ziel, der kleinen Sporaden-Insel Skopelos, erwartet uns ein kleines Hotel mit Feigenbäumen im Garten. Zikaden zirpen unablässig, die Luft riecht nach Rosmarin - ein kleines Paradies.
Damals war mein großes Vorbild Jacques Cousteau. Wenn seine Tierfilme im Fernsehen liefen, durfte ich länger aufbleiben, ich hatte ein Modell von Cousteaus Schiff Calypso (mit extra Haikäfig) und meine Mutter, eine Buchhändlerin, versorgte mich immer mit allen 'Was ist Was'- und 'Kinder Kosmos'-Büchern, die irgendwas mit Meeresthemen zu tun hatten. Auf der langen Fahrt nach Skopelos konnte ich mir aber leider nicht mit meinen neuen 'Kinder Kosmos ö Tiere an Strand und Meer' die Zeit vertreiben, weil mir beim Lesen im Auto immer schlecht wurde. Also saß ich eines vormittags im Hotelgarten (aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatten wir Vollpension und sind immer erst nachmittags zum Meer) und schaute mir die Bilder im Buch genau an, in der Hoffnung, die Tiere am Strand oder beim Schnorcheln auch mal in Natura zu erleben. An einem der ersten Tage sprach mich ein freundlicher Mann mit rötlichem Fusselbart an und fragte, was ich da für ein tolles Buch hätte. Mir viel sofort seine seltsame Physiognomie auf: Auch unter dem weißen Wallegewand zeichnete sich sein massiger Rumpf und Bauch gut ab, aber Beine und Arme waren im Verhältnis ganz spinnig, wie bei einer Figur aus einem Asterix-Comic. Offensichtlich interessierte sich der Mann auch für Meeresgetier, also lieh ich ihm das Buch aus. Er versprach es, in ein paar Tagen zurückzugeben.
Als der lustige dicke Mann weg war, kam mein Vater ein wenig aufgeregt zu mir und meinte, dass sei der berühmte Sänger Ivan Rebroff gewesen. Dann machte er noch ein paar abfällige Bemerkungen über dessen musikalische Meriten ö mein Vater stand damals mehr auf Pink Floyd. Es stellte sich heraus, dass Rebroff in der Nähe ein Haus hatte (er ist mittlerweile Ehrenbürger von Skopelos) und dass er öfter zum Mittagessen in unser Hotel kam, immer in Begleitung von einer Schar von Jünglingen. Wenn ich mich recht erinnere, hat er auch einmal im Speisesaal auf Anfrage für alle Anwesenden ein Lied gesungen (natürlich umsonst, da sollte sich Herr Angeli mal ein Beispiel dran nehmen). Ich bekam mein Buch schon am nächsten Tag zurück mit einer langen Widmung auf der inneren Umschlagseite. Ein bisschen war ich ja sauer, dass dieser fremde Mann mein schönes neues Buch vollgeschmiert hatte, aber wir haben uns noch ein paar mal nett über Fische und Muscheln unterhalten. Mein Vater hatte uns dabei immer fest im Blick, ich glaube, er hielt Rebroff für einen üblen Lustmolch.
Als wir später in der Schule griechische Mythologie durchgenommen haben, habe ich mir Rebroff immer als Reinkarnation von Dionysos vorgestellt. In meiner Erinnerung hat er jetzt auch immer so einen mit Efeu und Weinreben umrankten Stab in der Hand. Aber eigentlich habe ich seit vielen Jahren nicht mehr an die Geschichte gedacht, bis ich letztens beim nächtlichen zappen über ein Interview mit Rebroff gestolpert bin, dass ungefähr aus der Zeit unseres Zusammentreffens stammte. Ich war ziemlich baff mit welcher Souveränität der 'Einmann Kosakenchor' auf die 'Enthüllung' des Interviewers reagierte, er, Rebroff, sei gar kein Russe, sondern in Berlin geboren. Achelzuckend stellte Rebroff, offensichtlich Warhol-geschult, das ganze Authentizitätskonzept des Journalisten in Frage und reklamierte das Recht, sich nach seinen Vorstellungen selber zu erfinden (ok, seinen Geldbeutel wird er dabei auch nicht vergessen haben). Dennoch: ein zu Unrecht vergessener Identitätsverwirrer in der Tradition der großen Yma Sumac. Auf jeden Fall war der Mann 1976 definitiv cooler als Pink Floyd.
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