Wer meinen Beitrag über Rüdiger Hoffman gelesen hat, wird feststellen, dass Bier eine zentrale Rolle in meinem Leben spielt, denn nichts liebt ein Rheinländer mehr, als ein lecker Bierchen - Kölsch vorzugsweise. Sofern nicht vorhanden, gerne auch andere Sorten - nur gut gekühlt muss es sein. Aber kommen wir zur Sache.
Gerade fällt mir beim Sortieren meiner Krims-Krams-Schublade ein Foto in die Hände, welches mein Kumpel und Fotograf Thomas aus Wuppertal im März 1990 geschossen hat. Es zeigt mich mit Gregor Gysi wie er mir vor rund 10 Jahren eine Flasche Bier gemopst hat und mit Inbrunst trinkt.
Gestattet, dass ich meine Gedanken zurück schweifen lasse - zurück in die bewegte Zeit zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung.
Der Osten stand bereits wenige Monate offen und wir sind zum wiederholten Male nach Ostberlin gefahren um die Stimmung im Wahlkampf vor den ersten freien Wahlen zur Volkskammer der DDR am 18 März mitzuerleben. DDR war für uns Terra Incognita und wir waren neugierig auf Leute, Situation, Lebensumstände, zumal wir vom Festland kamen und nicht aus West-Berlin. Berliner waren eher schon mit dem Osten konfrontiert, als ein Rheinländer - liegt in der Natur der Sache.
An besagtem Wochenende sind wir also durch Ost-Berlin marschiert und haben uns die Stadt angeguckt. Dann sahen wir einen Pulk Menschen - Einlass begehrend vor einem Gebäude - wenn ich mich recht erinnere, hiess es 'Haus der Demokratie'.
Wo viele Menschen sind, da gibt es was umsonst. Also haben wir uns in den Pulk begeben. Der Türsteher wollte uns nicht hereinlassen: 'Hier findet gleich eine Pressekonferenz statt. Wir dürfen nur Presseleute reinlassen'.
Daraufhin hat Thomas seinen selbstgemachten Presseausweis gezückt, den er immer und für alle Fälle dabei hat. Thomas gibt sich ab und an als Mitarbeiter von 'Tomato-Press' aus. Eine fette, rote Tomate ziert den Ausweis und machte auf den Türsteher Eindruck. Tomatenpressen waren wohl dort nicht so bekannt. Der Ausweis sah aber toll aus und seriös - in Plastik eingeschweisst. Die grosse silberne Türe öffnete sich und wir gingen herein.
Innen herrschte bereits hektisches Treiben. Vorne im relativ kleinen Saal war ein 5-Meter-Tisch aufgebaut. Mangels ausreichender Stühlen für die Pressefritzen habe ich mich dann einfach nach vorne an den Tisch gesetzt. Wir sind, wie bereits gesagt, den ganzen Tag in Berlin herum gelaufen. Mir taten die Beine höllisch weh und ich musste mich setzen. Wie ein Gottes Geschenk stand zu meiner rechten Hand eine schöne Flasche Bier, Ost-Bier natürlich. Ich habe mich mit meinen Stuhl ein wenig nach rechts bewegt um die Flasche näher zu betrachten.
Durstig zogen sich meine Nerven im Mund zusammen. Grad als keiner guckte habe ich mir die Flasche geschnappt und mit meinem blauen Big-Feuerzeug in Bauarbeitermanier geöffnet - für die Detailisten: Das ging auch mit Ost-Bierflaschen. Während mir also die kühlen Tropfen des edlen Gerstensaftes den Gaumen befeuchteten, setzte sich Gregor Gysi neben mich, wühlte eifrig in Papieren und griff schnurstracks nach 'meiner' Flasche und nahm genauso wie ich ein paar Sekunden vorher einen gierigen Schluck - aus der Flasche direkt in die Kehle.
Als Gysi mich zu seiner rechten nach Absetzen der Flasche wahrnahm, sagt ich mit einem Augenzwinkern 'Wie gut dass ich gerade keine Herpes-Bläschen am Mund habe'. Fragend guckte er mich an und ich erklärte ihm '...dass wir doch Brüder sind und ich mein Bier auch gerne mit Dir teile. Apropos teilen: Haste mal ne Ziggi? ' Daraufhin gab Gysi mir eine Zigarette, glaube es war F6 oder Karo oder so ein Kraut. Er steckte sich auch eine an. Feuer habe ich ihm dann mit meinem blauen Big-Feuerzeug gegeben. Irgendwer hat Herrn Gysi dann schnell eine eigene Flasche hingestellt. Den letzten Schluck, beziehungsweise die letzten Tropfen, die Gysi mir noch dringelassen hat, habe ich dann selbst weggezischt. Rheinländer lassen keine Bierpfütze einsam auf einem Ost-Berliner Pressekonferenztisch stehen. Die Konfereny fing an und Thomas und ich haben uns getrollt.
Tage später fand ich eine Postkarte im Briefkasten - Poststempel 25. März 1990. Thomas, der Fotograf, hat den bewegenden Moment mit der Kamera festgehalten.
Dies war Weltgeschichte im Kleinstformat. Stellt Euch doch mal einen Gregor Gysi mit meinen Herpesbläschen am Mund vor - mitten im Wahlkampf. Vielleicht wäre seine Karriere als PDS-Chef, Abgeordneter der Volkskammer, die Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Einheitsvertrages etc. anders gelaufen. Wer wählt denn schon jemanden mit hässlichen roten Herpespickelchen am Mund ?
(Beitrag wurde von Omas Enkel am 10.10.2001 um 09:55 Uhr bearbeitet.)
Lesezeichen