Vor drei Jahren muss es gewesen sein, da stand in München der Landtagsabgeordnete Hans Wallner (CSU) vor Gericht: Der Mann hatte, so der Verdacht, für über 20.000 Mark von seinem Büro-Anschluss aus den telefonischen Geschlechtsverkehr ausgeführt, in manchem Fall über fünf Stunden am Stück. Ich sollte für eine kleine Zeitung darüber berichten und war zum Prozessauftakt extra früh im Justizgebäude an der Nymphenburgerstrasse - denn wie zu erwarten war, wollten sehr viele Journalisten und Bürger dem peinlichen Verfahren beiwohnen. Und tatsächlich: nachdem ich von drei verschiedenen, offenbar pressefeindlichen Justizbeamten durchs ganze Haus geschickt worden war, erkannte ich den gesuchten Gerichtssaal schliesslich daran, dass sich bereits eine halbe Stunde vor Öffnung über fünfzig Menschen vor der Tür drängelten. Ich wartete geduldig. Doch als ich endlich zum Eingang vorgedrungen war, wollte mich der Justiztürsteher nicht hineinlassen: ich hatte meinen tragbaren CD-Spieler dabei, und solches Gerät gilt vor Gericht offenbar als geeignet, um damit Aufnahmen zu machen - was verboten ist. Diskutieren half nichts, mit dem Ding durfte ich nicht rein. Ich musste den CD-Spieler also irgendwo deponieren. Aber wenn ich danach zurückkäme, wäre sicher kein Platz mehr frei gewesen. Also bat ich eine kleine Frau um die Fünfzig, die hinter mir anstand, um Hilfe: ob sie mir nicht einen Platz freihalten könne? Zuerst schien sie erzürnt ob meiner Bitte, blickte mich tadelnd über ihre randlose Brille an - und sagte dann, zu meiner Überraschung, dass sie es tun würde. Ich spurtete also los, fand aber keinen Spind, klopfte schliesslich an der Bürotür eines Jugendrichters (die müssen doch für so etwas Verständnis haben) - und tatsächlich, kein Problem, bei diesem netten Mann durfte das Gerät bleiben.
Im Gerichtssaal hatte ich dann einen Platz in der ersten Reihe der Zuschauerbänke, direkt neben der strengen, freundlichen, kleinen Frau. Und ein Problem mit der Platzwahl hatte diese sicher nicht gehabt. Auf der Schreibfläche vor ihr prangte ein Schild, auf dem stand: 'DER SPIEGEL'. Ich schluckte erstens einen großen Klumpen Ehrfurcht herunter und stellte zweitens erstaunt fest, dass sich Frau Friedrichsen keinerlei Notizen machte. In einer Verhandlungspause suchte ich das Gespräch mit ihr, aber mein Einstieg war so peinlich ('Sind Sie Frau Friedrichsen? Ich lese immer ihre Artikel'), dass sie sich sogleich davonmachte.
Hans Wallner (CSU) ist dann übrigens nach sechs Monaten Verhandlung wegen Betrugs zu drei Jahren auf Bewährung verurteilt worden.
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