Herr Benrath muss sich konzentrieren und Herr Holtzmann schaut finster
Sitze hier in Tromsø und hoere im NRK 1 (erstes norwegisches Radioprogramm) zu meiner Verwunderung eine Gedenksendung zu Ehren des "Wundergeigers" Helmut Zacharias, der im Fruehjahr verstorben sein soll. Aha. Das ist der Nachteil, wenn man auswandert: man bekommt nicht mehr mit, wer so stirbt und wer nicht. Waehrend ich leicht melancholisch geworden, meine beginnende Angina wechselweise mit Aspirin und Pfirsichkuchen bekaempfe, grueble ich darueber nach, ob es den Schauspieler Martin Benrath noch gibt. Der muesste doch schon gut ueber achtzig sein, nicht wahr? Nicht zufaellig denke ich akkurat an ihn, sondern weil ich mit ihm, Mitte der Achtziger mal eine Begegnung hatte.
Es begab sich folgendermassen:
Es muss 1985 gewesen sein, mein vorletztes Jahr als Student in Muenchen und in den Kammerspielen gab es diese spottbilligen Studentenbilletts, die den einzigen Nachteil hatten, dass man sie grotesk frueh abholen musste, weil sie sonst in den freien Verkauf kamen. Also Vorstellung um 20.oo Uhr. Karten spaetestens um 17.30 abgeholt. So weit, so gut. Mit dem Billett in der Tasche stand ich nun auf der Maximiliansstrasse und sann, wenn nicht gerade ueber den Sinn des Lebens, so doch vielmehr ueber den zu ueberbrueckenden Zeitraum nach. Irgendwie ziellos begann ich Richtung Schumann's zu gehen. Es nieselte leicht und mir entgegen kam ein mittelgrosser Mann in Hut und Trenchcoat. Der Gehsteig war durch ein Baugeruest verschmaelert, so dass es zwei Personen gerade moeglich war, aneinander vorbeizugehen.
Gewohnheitsmaessig wich ich zur Strasse hin aus, der Mann hatte jedoch den gleichen Gedanken. Nunmehr bemerkte ich, dass er leicht nach vorne gebeugt vor sich hinmurmelte und erst aufblickte als wir schon fast auf gleicher Hoehe waren. In dem Augenblick, als ich erkannte, dass es sich um Martin Benrath - den Hauptdarsteller des heutigen Stueckes - handelte, wichen wir beide in Richtung des Baugeruestes aus um sofort wieder die Strasse anzupeilen, nachdem wir die Aussichtslosigkeit des Unterfangens erkannt hatten. Jeder kennt diese Situation: diese trotteligen Trottoir-Taenze, die einem scheinbar ewig gleichem Muster folgen. Wenige Sekunden lang ist man einer unbekannten Person, gleichsam magisch verbunden und kann dem nicht entrinnen. Der Mime jedoch - sein konzentriertes Repetieren unterbrechend - fixierte mich kurz und warf mir ein: "Beide links jetzt!" hin. Eine Millisekunde nur sann ich drueber nach, ob er nun ausschliesslich "sein Links" meint (das ja "mein Rechts" gewesen waere...), um mich doch sogleich Richtung Baugeruest zu bewegen und siehe da: er nahm die freie Spur am Randstein entlang! Und weg war er. Gluecklich diese doch immer etwas peinlichen Episoden schadlos ueberstanden zu haben, setzte ich meinen Weg fort, nur um kurz darauf einem extrem finster dreinblickenden Thomas Holtzmann zu begegnen, dessen Wege ich aber gluecklicherweise auf einem normalbreiten Gehsteig kreuzte und mir somit ein zweiter entwuerdigender Buergersteig-Step erspart. Auch Herr Benrath schien durch diesen Vorfall nicht weiter in seiner Schauspielkunst beeintraechtigt und gab eine tadellose Vorstellung diesen Abend, soweit mir dies erinnerlich ist. Das Stueck jedoch und seine Rolle darin ist mir vollkommen entfallen, jedoch nicht unsere kleine Begegnung in der Maximiliansstrasse.
Und dunkel glaube ich mich zu erinnern, dass Martin Benrath vor nicht allzu langer Zeit verstorben ist. Oder irre ich mich? Kann mir jemand weiterhelfen? Vielen Dank.
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