Bereits im zarten Alter von fünfeinhalb Jahren hatte ich meinen ersten Einsatz als höfliche Paparazza: da wurde ich nämlich von meinem Vater zum Gewerkschaftstag mitgeschleift, da meine Mutter Grippe hatte und ihre Ruhe brauchte. Weil dieser Gewerkschaftstag an einem Samstag stattfand, hatten die Gewerkschafter vor der Halle allerlei Schuldgefühlkompensationsveranstaltungen für Kinder auf die Beine gestellt. Schliesslich sollte Papi Samstags ja eigentlich mir gehören. Also wurde ich von netten Gewerkschaftstanten mit Zuckerwatte vollgestopft und mit Dritte-Welt-Perlenarmbändern nur so überhäuft.
Solchermassen bestochen muckte ich dann auch nicht, als ich schliesslich mit Vattern in die Tagungshalle gehen musste. Dort allerdings , direkt am Eingang, fand gerade ein Fototermin statt, mit Volker Hauff, dem damals noch zukünftigen* Minister. Und der, ganz Profi, fackelte nicht lange und griff sich sofort das erstbeste Kind, um es lächelnd in die Kamera zu halten. Der geneigte Leser errät es schon: Es handelte sich bei dem Kinde um meine Wenigkeit.
Herr Hauff war sehr nett, er half mir beim in-die-Kamera-winken und drückte und herzte mich allenthalben, gerade so, als wären wir alte Freunde oder ich doch zumindest das Kind eines alten Freundes. Er schenkte mir sogar einen roten DGB-Lolli. Mich beeindruckte das alles ungemein.
Mittlerweile war mir von all der Zuckerwatte recht übel, aber trotz wiederholten in-die-Wange-gekniffen-werdens und Blitzlichtgewitter übergab ich mich erst, als alle Fotos geschossen und wir wieder aus der Halle raus waren. So rettete ich Volker Hauffs Anzug noch im Vorschulalter. Wenn das nicht höflich war, weiss ich auch nicht.
*Angabe ohne Gewähr
PS: Vielleicht ist Volker Hauff ja verjährt und gilt gar nicht mehr. Dann tuts mir leid, dass ich hier so in die epische gegangen bin.
(Beitrag wurde von oha am 05.03.2001 um 00:52 Uhr bearbeitet.)
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