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Thema: Schmidt, Helmut (und sein musikalischer Sachverstand)

  1. #13
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    Schmidt, Helmut spielt

    Erwachsenen Kindern meiner Generation, die ohne Not die Schlüssel zu den Häusern ihrer Eltern besitzen, haftet doch ein wenig der Ruch des Ewigen Kindes an. Das bin ich wohl auch, und es ist nicht vergleichbar mit dem, was heute unter dem Namen „Hotel Mama“ in den Medien auf- und abdekliniert wird.

    Ich habe mich also entschlossen, auf die liberale Aufforderung meiner schönen Mutter hin, vor Weihnachten oben im Norden vorbeizuschauen. „Es werden Freunde da sein, Kind. Es wird Dir gefallen. Dein Professor kommt ja ohnehin nicht los von seinem Apparat, also kannst Du doch weg, ich bitte Dich.“ Das einen Satz abschließende „ich bitte Dich“ ist einer der ganz wenigen Rückstände, die das Wienerisch meines Vaters in Ihrer Sprache hinterlassen hat. Ich habe gesagt, „Danke, Mama, vielleicht schau ich vorbei.“

    Von dieser vorweihnachtlichen Vorbeischau kehre ich soeben zurück. Und was ich erzähle von da oben, ist eine anrührende Sache:

    Ich komme ans Haus und höre schon unten an der Einfahrt, dass endlich wieder mal jemand den gravitätischen alten Flügel im Gartensalon bespielt. Das Instrument ist ein Erbstück, wunderlich geschnitzt, jährlich gestimmt, nie mehr gespielt. Aber heute. Alte Fuge, würde ich sagen. Bach vielleicht, ich bin Banausin, wie man weiß.

    Ich lasse meinen Mantel, den Koffer und die Taschen im Foyer und gehe auf Zehenspitzen nach hinten, um an der Glastür zu sehen, wer da spielt. Das Haus ist offenbar menschenleer. Die Freunde vielleicht draußen am See? Es ist ein recht schöner Tag für die Jahreszeit. Ich komme an die Tür und versuche um die Ecke zu sehen. Es ist mir schon als Kind nie gelungen. Auch jetzt nicht, also muss ich entweder in den Garten um von der Terrasse zu sehen oder ich versuche den alten Türentrick: Ganz fest gegen die Klinke lehnen, runterdrücken, die Klinke unten halten und den Druck gegen den Türflügel loslassen. Mit ein bisschen Glück öffnet sich dann die Tür ohne Klicken und mit noch mehr Glück quietschen auch die Angeln nicht. Das Glück ist mit mir. Ich stecke den Kopf durch den Spalt und sehe am Flügel einen weißhaarigen Mann, schräg von hinten. Dennoch ist die Frisur unverkennbar. Ich habe das schon als Mädchen unglaublich gefunden – dieser Scheitel! Oben am Klavier ein Aschenbecher mit einer brennenden Zigarette.

  2. #14
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    es ist zweifellos ein Versäumnis der Flügelbauer, den Aschenbecher bei der Konstruktion des Instruments nicht einzuplanen. Auch bei den Konzertharfen wären Modelle denkbar, die über einen an der Säule befestigten ausschwenkbaren Aschenbecher verfügen, der sich jederzeit der Bewegung anpaßt und daher immer im Lot ist.
    Ansonsten: ein Hauch von echtem Neid durchzieht mein nikotingelbes Gemüt, liebe Norma L. Ach! Hätte man doch dabei sein können! Man hätte auch den "um-die -Ecke-Guck" Gymmick endlich mal brauchen können, den ich mir mal im ZKM gekauft habe.
    Nur das Banausinnentum, das kann ich Ihnen nicht wirklich abnehmen.
    Sonst aber die schönste Weihnachtsgeschichte, die man sich wünschen kann.

  3. #15

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    Das stümmt, Frau Maisch. Ich geh das denn auch direkt mal blau-machen (so sagte man doch früher hier, oder?)

  4. #16
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    Endlich keine brennenden Kippen mehr in der Hosentasche!
    I didn't try to be primitive, I just had bad microphones.

  5. #17
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    Das alte Instrument, liebe Frau Maisch, kommt Ihren Wünsche weitgehend entgegen. Ich befürchte allerdings, dass die Vorrichtungen original eher für Kerzen, à la rigeur für Trinkgläser verwendet wurden. Für Aschenbecher waren sie wohl nicht gedacht. Man könnte sie aber darauf platzieren. De facto war der bewusste Aschenbecher sogar darauf platziert, allerdings war die Vorrichtung nicht über die Tastatur hin ausgeschwenkt.

    Soviel ist jedenfalls sicher: wenn man den Flügel im vorderen Teil oben aufklappt, erscheint nicht nur in der Mitte ein bemerkenswert in allerlei geschnitzten Arabesken durchbrochener und aufklappbarer Notenständer, sondern an dessen Seiten lassen sich von eigenen Gelenken aus auch zierlich gedrechselte Tellerchen über die Tastatur ausschwenken.

    Es gibt darüber hinaus, wenn mich meine kindliche Erinnerung nicht trügt, irgendwo auf der Seite neben einem Vorderbein des Flügels eine Messingröhre, in die ein großer Kandelaber auf einem Schwenkarm geschoben werden kann. Der Kerzenhalter wird von einer geschnitzten Figur getragen, die meine kindliche Phantasie betreffend verführerischer Weiblichkeit nachhaltig inspirierte. Es war dies eine Undine, eine wahre Lorelei, ein bisschen in der Art, wie man sie am Bug mancher alter Schiffe sieht. Da der Flügel aus recht hellem Holz gemacht ist, eignete dieser Figur in meinen Kinderaugen, zumal im Kerzenschein, eine unheimliche Lebendigkeit – die schlangenartigen Locken, die glänzenden Schuppen am anmutig geschwungenen Fischschwanz der Dame, von ihrem holden Busen gar nicht zu reden. Ich muss meine Mutter fragen, ob es diesen Flügelfortsatz noch gibt. Ich habe ihn seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen.

  6. #18
    Avatar von Alberto Balsam
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    bevor Sie fragen, mit allem möglichen rechnen, auch dass die Melusine verheizt wurde, hilft den Schock prophylaktisch zu minimieren

  7. #19
    Abebe Lowumbo Avatar von joq
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    "à la rigeur" wurde hier noch nie geschrieben, und was immer auch passieren mag, allein hierfür mag Norma L. gepriesen werden.
    More gin in teacups

  8. #20
    [Member] Avatar von Kunta Kinte
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    Mit der richtigen Schreibweise wird man dann aber doch fündig.

  9. #21
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    Es fehlt das u, à la rigueur, natürlich. Ich würde es im Übrigen mit "zur Not" übersetzen. Jedenfalls ist dieser Ausdruck ein Relikt der Pariser Jahre, der zwischen meiner Mutter und mir mit dieser Bedeutung verwendet wird. Wir sprechen es, soweit ich beurteilen kann, korrekt aus, was das Französische betrifft.

    Dass die Melusine (danke für das Wort, Alberto Balsam!) verheizt wurde, glaube ich nicht. Eher wird sie nur zu abendlichen ballähnlichen Veranstaltungen verwendet, um eine Ahnung davon zu geben, was die Damen unter ihren schulterfreien langen Roben verbergen könnten.

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