Erwachsenen Kindern meiner Generation, die ohne Not die Schlüssel zu den Häusern ihrer Eltern besitzen, haftet doch ein wenig der Ruch des Ewigen Kindes an. Das bin ich wohl auch, und es ist nicht vergleichbar mit dem, was heute unter dem Namen „Hotel Mama“ in den Medien auf- und abdekliniert wird.
Ich habe mich also entschlossen, auf die liberale Aufforderung meiner schönen Mutter hin, vor Weihnachten oben im Norden vorbeizuschauen. „Es werden Freunde da sein, Kind. Es wird Dir gefallen. Dein Professor kommt ja ohnehin nicht los von seinem Apparat, also kannst Du doch weg, ich bitte Dich.“ Das einen Satz abschließende „ich bitte Dich“ ist einer der ganz wenigen Rückstände, die das Wienerisch meines Vaters in Ihrer Sprache hinterlassen hat. Ich habe gesagt, „Danke, Mama, vielleicht schau ich vorbei.“
Von dieser vorweihnachtlichen Vorbeischau kehre ich soeben zurück. Und was ich erzähle von da oben, ist eine anrührende Sache:
Ich komme ans Haus und höre schon unten an der Einfahrt, dass endlich wieder mal jemand den gravitätischen alten Flügel im Gartensalon bespielt. Das Instrument ist ein Erbstück, wunderlich geschnitzt, jährlich gestimmt, nie mehr gespielt. Aber heute. Alte Fuge, würde ich sagen. Bach vielleicht, ich bin Banausin, wie man weiß.
Ich lasse meinen Mantel, den Koffer und die Taschen im Foyer und gehe auf Zehenspitzen nach hinten, um an der Glastür zu sehen, wer da spielt. Das Haus ist offenbar menschenleer. Die Freunde vielleicht draußen am See? Es ist ein recht schöner Tag für die Jahreszeit. Ich komme an die Tür und versuche um die Ecke zu sehen. Es ist mir schon als Kind nie gelungen. Auch jetzt nicht, also muss ich entweder in den Garten um von der Terrasse zu sehen oder ich versuche den alten Türentrick: Ganz fest gegen die Klinke lehnen, runterdrücken, die Klinke unten halten und den Druck gegen den Türflügel loslassen. Mit ein bisschen Glück öffnet sich dann die Tür ohne Klicken und mit noch mehr Glück quietschen auch die Angeln nicht. Das Glück ist mit mir. Ich stecke den Kopf durch den Spalt und sehe am Flügel einen weißhaarigen Mann, schräg von hinten. Dennoch ist die Frisur unverkennbar. Ich habe das schon als Mädchen unglaublich gefunden – dieser Scheitel! Oben am Klavier ein Aschenbecher mit einer brennenden Zigarette.
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