Fischer, Ottfried (kann nicht an sich halten)
Letztes Jahr, Sie erinnern sich vielleicht, sah es für eine kurze Weile so aus, als würde Deutschland bald von Doktor Edmund Stoiber regiert werden. Also schickte mich die Redaktion nach Bayern, auf dass ich unseren Lesern in lockerer Folge das Besondere der bayerischen Lebensart erklärte. Ich verfiel auf die Idee, den medial zur Zeit erfolgreichsten Bayern zu befragen: Ottfried Fischer, Kabarettist, Schauspieler, Werbetreibender.
Wir trafen uns in Fischers Stammlokal, einem Italiener in der Münchner Amalienpassage. Er hatte wohl schon gegessen, oder hatte es erst später vor, jedenfalls sass er alleine vor einer großen Wasserkaraffe an einem großen runden Tisch mit weisser Tischdecke. Der Mann ist in Natura wirklich beeindruckend: riesige Körpermasse in weisses Hemd gezwängt, schnaufend, schnaubend, und blaue Augen, die seltsamerweise gleichzeitig stechend wach und abwesend glasig blicken.
Was mir bei der Vereinbarung des Interviewtermins sehr geholfen hat: erst vor kurzem hatte meine Kollegin B. in ihrer Fernsehkolumne auf einer halben Seite den "Bullen von Tölz" gelobt, als eine unerwartet subversive Sendung aus Bayern, und noch dazu auf Sat1. Ich weiss schon, es ist sehr schleimig, aber ich wollte eine angenehme Gesprächsatmosphäre schaffen, und erinnerte Fischer nochmal an dieses lobende Stück meiner Kollegin B. (ich selber habe den "Bullen von Tölz" tatsächlich noch nie gesehen). Er sei ja sehr beliebt in unserer Redaktion, sagte ich, und Fischer ging das herunter wie Öl, Honig, Weissbier, was Sie wollen. Er grinste, schnaubte, freute sich.
Das spornte mich an, dem noch eines draufzusetzen. "Hätten Sie", fragte ich, "vielleicht eine Autogrammkarte dabei, die Sie meiner Kollegin B. widmen könnten? Sie würde sich sehr freuen." Das ging ihm gut rein. Fischer fasste in sein Herrentäschchen und holte eine Autogrammkarte heraus. Dann überlegte er, was er denn meiner Kollegin B. aufschreiben könnte. Er sass da, hatte den Kugelschreiber schon in der Rechten, mit der Linken legte er die Autogrammkarte vor sich auf seinen gigantischen Bauch und fing an zu schreiben.
Und wie Ottfried Fischer dann schrieb, da konnte er nicht mehr an sich halten, so gut gefiel es ihm, dass er einer Verehrerin eine persönliche Widmung dichten konnte, dass diese Verehrerin so schön über ihn geschrieben hatte, er fand es so gut, so geil, so appetitlich, Speichel sammelte sich in seinem Mund, er schrieb, ein dicker Speichelfaden löste sich von seinem linken Mundwinkel, Durchmesser drei, wenn nicht gar vier Millimeter, zog sich lang und immer länger, landete auf seinem Hemd, neuer Speichel, ein klebriger Faden, platschte auf die Autogrammkarte.
Fischer, unbeeindruckt, die Inkontinenz wohl schon gewohnt, wischte sich kurz mit der Serviette ab, wischte die Karte ab, schob sie mir herüber.
Es wurde noch ein sehr interessantes Gespräch, die Kollegin B. hat sich über die Karte tatsächlich sehr gefreut. Und Doktor Edmund Stoiber, Sie erinnern sich vielleicht, ist doch nicht Kanzler geworden.
