Jana Pallaske in den Mühlen der Provinz
Wer Saarbrücken verstehen will, kann sich der Stadt von drei Punkten aus nähern: entweder von der verranzten Trostlos-Kneipe „Bingert“ im Nauwieser Viertel. Oder vom sogenannten „Staden“, einem grasbewachsenen Uferstück der Saar, wo man zwischen bekifften Schülern und windjackenbewehrten Rentnern auf Bierbänken sitzt und begleitet vom steten Rauschen der gegenüberliegenden Stadtautobahn Weihenstephan-Hefeweizen vom Fass trinken kann. Funktioniert aber nur im Sommer. Oder eben vom Flughafen Saarbrücken-Ensheim. Allen drei Orten ist gemeinsam, dass man dort ein Konzentrat saarländischer Befindlichkeiten und Lebensgefühle verabreicht bekommt: (1): Man kennt sich oder kennt zumindest jemanden, der einen kennt. (2): Die Wege sind kurz, und alles ist etwas kleiner als gewohnt. (3): Ja heißt nein.
Es war ein dunkler Montagmorgen im Januar, ich fuhr in einem muffigen Taxi zum Flughafen. Um die „Waaaaaaaaas, Saarbrücken hat nen Flughafen???“-Zwischenrufer zu besänftigen: Ja. Nein. Jedenfalls nicht so richtig. Er ist halt sehr, sehr mickrig. Die Wege sind kurz. Und man kennt sich. Ich hatte mal vor Jahren an einer Flughafen-Führung teilgenommen. Die dauerte exakt 18 Minuten, und wir bekamen sogar die Personaltoiletten der Technischen Betriebszentrale gezeigt. Wenn der Führer nicht gehinkt hätte, wäre die Sache sogar locker in 12 Minuten zu schaffen gewesen. Die „technische Ausstattung“ des „Towers“: naja, sagen wir mal so - an meiner Stereoanlage sind mehr Knöpfe. Und eine KSA 250 ist ja nun nicht gerade verspielt in Sachen Features.
Architektonisch folgt der Saarbrücker Flughafen der pseudopostmodernen Verkehrskathedralen-Optik im Zeitalter des mildtätigen Hedonismus: viel Stahl, Glas, sichtbare „Strukturen“. In der Höhe hat der Saarbrücker Flughafen durchaus Bundesliga-Format; die Grundfläche allerdings ist den marktüblichen Dimensionen dieses Bundeslandes angepasst: alles überschaubar. Sehr überschaubar. Die Wege sind kurz. Wenn sich die Glastüren der Empfangshalle öffnen, braucht man ungefähr 3 Schritte, um zum Check-in-Schalter zu kommen. Angenommen, das Schalke-Unikum Charly Neumann oder jemand mit vergleichbarem Bauchumfang müsste in Saarbrücken einchecken, dann würde er knapp vor der Glastür stehen müssen, um sein Ticket vorzuzeigen.
Die Warte“halle“ ist so gut wie voll, als ich den Flughafen betrete: ein lärmiges Rudel extravagant gekleideter Menschen quiekt aufgekratzt vor sich hin. Einige halten ein Gebilde in der Hand, das wie eine misslungene Skulptur aussieht: eine blaue Neonröhre, in Form eines stilisierten Herzens gebogen, ist bedrohlich windschief auf einen schwarzen Plastiksockel montiert worden. Klar, denke ich: Max Ophüls Preis. Die seltsame Lampe ist sowas wie der saarländische Oscar. Die Regisseurin Iva Svarcova ist mit ihrer kamelhaarfarbenen Eleganz der ruhende Pol der Gruppe, um sie herum flirren 5 Jungschauspieler. Ein wenig abseits, auf einer der beiden Bänke des Saarbrücker Flughafens, sitzt Jana Pallaske – sichtbar erschöpft, sie hatte wohl am Abend zuvor in der „Garage“ den Preis der Interfilm-Jury für alaska.de etwas zu heftig befeiert. Sie trägt eine Fetzenjeans, einstmals weiße Leinenturnschuhe, ein dunkles laaaaaaanges Sweatshirt und eine abgescheuerte kurze Lederjacke mit Plaste-Optik. Trotz ihrer unverkennbaren Erschöpfung sind die Jana-Pallaske-Bambiaugen groß wie Parkverbotsschilder: mit sanften Bewegungen des Kopfes sucht sie die Umgebung ab, studiert die 3 Werbeplakate in der Wartehalle. Dann bleibt ihr Blick auf mir hängen, ich lächele kurz und sage: „Hi. Hast gut gespielt in Alaska. Echt klasse.“ Sie wird ein wenig rot und murmelt „Uuuuuh, danke.“ Unser zartes Kommunikations-Pflänzchen wird allerdings jäh erdrückt durch die Ankunft eines schlaksigen jungen Mannes mit wüst gestepptem blassroten Anorak. Er trägt eine gelbbraun getönte Vierecks-Kassenbrille aus Metall, sein Mund steht ein wenig offen, und man sieht eine leicht zuckende Zungenspitze zwischen abenteuerlich ausgerichteten gelblichen Zähnen hervorlugen. Kurz: er sieht aus wie jene Typen, die in den Bahnhofs-Pressezentren immer solche Publikationen wie „Der Schienenbus“ kaufen. Er lässt sich direkt neben Jana Pallaske fallen, fixiert mit seinem Blick kurz die Trophäe, schaut dann in die Parkverbots-Augen und fragt: „Ei was bischd dann Du für enns?“ („Ja, wer bist Du denn?“ – Videotext-Untertitel auf Tafel 150).
Pallaske, irritiert: „Ääääh, das ist der Max-Ophüls-Preis, für’n Film.“
Anorak: „Bischd Du Schausbielerin?“
„Ja. Du auch?“
„Joh.“
„Ja?“ – großes Erstaunen, noch weiter aufgerissene Augen.
„Joh. Ich menn: nää. Ich kennen en Schauschbieler. Lutz hääscht der. Ich glaab, der iss doh am große Theater in Saarbrigge. Do iss der, glaab ich.“ (Ja. Nein. Ich kenne lediglich einen Schauspieler namens Lutz, der ist nach meiner Kenntnis am Staatstheater engagiert).
„Ahja, am Theater“
„Kennschd Du den net?“
„Nö.“
„Ei, den muschd Du doch kenne. Du bischd doch aach Schausbieler“.
„Nee, ich bin in Berlin“
„Ah, dann kennschd Du den gar net?“
„Nee.“
Eine weitergehende Heinzbeckerisierung von Jana Pallaske wird vom Krächzen eines Lautsprechers verhindert: „Passagiere nach Berlin – bitte begeben Sie sich zum (Pause) Flugsteig“. Jana Pallaske springt auf und sieht mich hilfesuchend an: „Zu welchem denn?“ Ich, heldenhaft: „Zu dem da hinten. Es gibt nur einen hier.“ Wir trotten nebeneinander zum Gate, eine Bordkartenkontrolle findet nicht statt, weil der entsprechende Mitarbeiter damit beschäftigt ist, die Antenne seines Funkgeräts wieder zu befestigen. Wir steigen in einen spärlich mit Sitzplätzen ausgestatteten Bus ein. Warten. Die Zeit verstreicht. Der Fahrer macht keinerlei Anstalten, die Türen zu schließen, geschweige denn loszufahren. Zum Glück steht der Heinz-Becker-Verschnitt am anderen Ende des Busses. Der Fahrer erhebt sich langsam von seinem Sitz und geht zurück ins Flughafengebäude, was Jana Pallaske mit einem heftigen Aufstöhnen sowie mit einem weithin hörbaren „Watt issn ditte?“ quittiert. Wieder warten, die Mehrzahl der Anwesenden schaut betreten zu Boden.
Nach fünf Minuten dann erscheint der Fahrer, klettert auf seinen Sitz und schließt die Türen. Allerdings sollte noch dauern, bis er endlich, endlich losfährt. Denn irgendwie spürt der Busfahrer, dass er hier ganz schön prominente Leute an Bord hat. Filmschaffende. Die wollen natürlich „gehämelt“ werden, wie man im Saarland sagt: umschmeichelt. So greift er zum Bordmikro, legt das Spiralkabel zu einer Schlagersänger-Schlaufe und pustet ins Mikro. Ein ohrenbetäubendes Rauschen bringt die Busfenster zum Zittern. „Hört man mich?“ „Oooooooh shit“ – Jana Pallaske. „Liebe Passagiere, herzlich willkommen hier – am Flughafen Saarbrücken. Ihre Maschine geht – gleich. Isch bringe Sie jetzt zum Flieger.“ Dann lässt er den Motor an & beschallt den Bus üppig mit irgendwelcher Schnulzenmusik von SR3 Saarlandwelle. Los geht’s, endlichendlichendlich. Erst nach rechts um die Ecke, dann schätzungsweise 30 Meter geradeaus. Stop. Motor aus, Türen auf. „Was is‘n jetzt passiert? Kaputt, oder was?“, fragt Jana Pallaske mich ungehalten. „Nö. Wir sind da. Dort steht unser Flugzeug“, antworte ich und deute auf den CityJet vor uns. Jana Pallaske, empört: „Dit is doch Verarsche hier. Verarsche is dit, jawoll“. Der Busfahrer zuckt mit den Schultern. Immer dasselbe mit den Nicht-Saarländern.
An Bord: ich sitze neben Iva Svarcova, Jana Pallaske hat ihren Platz eine Sitzreihe vor mir. Nach einer schier endlosen Sicherheits-Vorführung rumpelt das Flugzeug über die Startbahn und fliegt eine Rechtskehre über Saarbrücken. Dann eine Durchsage: „Ganz herzlich hier willkommen an Bord des Fluges Eurowings xxx nach Hamburg....“ – „Shit. Shit. Shiiiiiiiiiiiiiiiiiiiit!!!!!!!“ Jana Pallaske spricht, Verzeihung: kreischt aus, was alle denken. „...Verzeihung, nach Berlin....“ – „O Mann ist das scheiße hier. Ich will weg, echt!“. Später hat sie mir angeboten, Ihr Bordfrühstück zu essen, aber die durchgeweichten Brötchen waren beim besten Willen nicht mein Fall. Unsere geplante Flugzeit unterbieten wir um 5 Minuten, und der Pilot fliegt kurz vor der Landung in Tempelhof eine dekorative Kehre über dem St.-Jacobi-Friedhof. Immer wieder ergreifend. Carpe diem.
Dann, als wir gelandet sind und Jana Pallaske die himmelhohe Halle des Flughafens betritt, dreht sie sich noch einmal kurz zu mir um, schenkt mir ein strahlendes Lächeln, bewegt den Oberkörper ruckartig einige Male vor und zurück, geht mit wiegenden Schritten in die Knie und vollführt mit dem rechten Arm eine Sägebewegung, während sie mir zuruft: „Ich steh auf Berlin!!!!“. Seitdem mache ich das auch immer so, wenn ich nach Berlin komme, obwohl dann alle immer ganz blöd gucken.