Mungo Jerry - Ein Tag im Frühsommer
Mein Freund Ray rief an. Er sei in Düsseldorf und habe sein Flugzeug verpaßt. Das nächste ginge erst in einer Stunde und ob ich ihn am Münchner Flughafen so gegen eins abholen könne. Ray war mit seiner Band auf Tournee durch Deutschland, zusammen mit Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich und den Searchers. Der Tourenplan war natürlich optimal organisiert: 8.5.1985 Bochum, 9.5. Oberammergau, 10.5. Aachen......
Da Ray einen neuen Plattenvertrag für zwei Singles bei Mercury (Phonogram) in Deutschland hatte und die Jungs von dieser Firma zunächst etwas reger waren als die anderen sonst, hatten sie für den 9. nachmittags einen Fernsehtermin in München organisiert. Der Sender hieß Musicbox, war der Vorläufer von Tele 5 bzw. DSF, residierte noch im ZDF-Gebäude in Unterföhring und durfte jeden Tag eine Stunde lang auf der Frequenz von SAT1 senden. Das dürfte das letzte Mal gewesen sein, daß Ray eine neue Single im Fernsehen vorstellen konnte. Auch wenn später neue Platten rauskamen, durfte er seitdem im Fernsehen immer nur seinen größten Hit aufführen - andauernd im ZDF-Fernsehgarten, im Äquivalent der ARD und bei diversen Oldieshows von Thomas Gottschalk, vor allem natürlich "in der Sommerzeit", wenn es schön warm war. Beim Sender waren wir auch eigentlich verabredet gewesen, damit wir zusammen nach Oberammergau fahren konnten. Die anderen Bands und auch die Jungs von Rays Band mußten mit dem Bus reisen. Ray durfte wegen des Fernsehtermins fliegen. Und jetzt hatte er sein Flugzeug verpaßt.
Machte aber nichts. Die Sendung fing erst um 15 Uhr an. Das Studio war etwa drei mal drei Meter groß, wirkte aber auf dem Fernsehschirm größer. Aufgebaut war eine kleine dreistöckige Tribüne, auf der sich einige Kinder gelangweilt räkelten, die sich gerade auf einem Klassenausflug beim Fernsehen befanden und jetzt als Dekoration dienten. Vorn in der Mitte saßen Annette Hopfenmüller - die Moderatorin der Sendung - und Ray. Rechts neben der Trbüne an der schwarzen Wand war eine frühe Singlehülle mit dem Bild der Originalband angeheftet - damit die Kamera zwischendrin zwecks Abwechslung mal diese ins Bild nehmen konnte. Regisseur war Jochen K. - später Chef von tm3. Sein Blick wechsete andauernd zwischen Ray und dem Cover der Single. "War der eigentlich damals schon mit dabei?" Nun, es fehlten halt die gigantischen Koteletten und die Afro-Frisur. "Und jetzt alle raus!" Bis auf die Akteure und die Kameraleute waren eigentlich schon alle raus. Nur ich stand da noch an die Wand hinter der Kamera gelehnt so rum, ganz beeindruckt von der Geschäftigkeit. Es war das erste Mal, daß ich ein Fernsehstudio von innen sah, und ich wollte schon dabeibleiben.
"Wer bist Du denn?" blaffte Jochen K. mich an. "Ich bin sein Manager." Was anderes fiel mir in diesem Moment nicht ein. "OK, der darf bleiben. Das ist der Manager - oder so." Das galt der Crew. Die Show fing an. Anscheinend war aber nichts abgesprochen. Annette Hopfenmüller wirkte ziemlich locker und doch professionell, mußte Ray aber immer wieder zurückhalten aufzuspringen, um mit dem Playback anzufangen. Sie hatten halt kein Zeichen vereinbart, mit dem Frau Hopfenmüller anzeigem konnte, daß ihre deutsche Ansage und Übersetzung nun zu Ende sei. "Play For You My Drum" hieß der Song Ray tat so, als ob er Gitarre spielte und dabei sang. Vor seiner Brust hatte er ein Gestell mit einer Mundharmika daruf. Ich weiß nicht, ob es auffiel, aber als das Mundharmonikasolo anfing und Ray nun beide Bände zum Mund hochriß, fiel diese aus der Halterung zu Boden. Und Ray hielt nun die Hände vor seinen Mund und spielte das Mundharmonikasolo ohne Mundharmonika. Als dann per Laufschrift der Bandname eingespielt wurde, der jetzt schon seit etwa dreißig Jahren nach dem Aufbrechen der originalen Band Ray als Künstlername dient, schrieben die ihn mit A anstatt mit U, so daß er sich eher wie die tropische Frucht anhörte anstelle des Namens einer Katze aus der Romanvorlage zum Musical Cats. Alle waren froh, als es vorbei war.
Den Namen Oberammergau hatte Ray schon ziemlich bald vergessen. Das Konzert am Abend war eine Veranstaltung von Radio Brenner, die den Goldenen Brenner an Leute wie Paul Breitner, Rosi Mittermaier und Leute mit ähnlichen Verdiensten verliehen. Die Kriterien blieben mir verborgen. Die drei Bands dienten nur zum musikalischen Rahmen. Ray und seine Band machten den Anfang. "Good evening ...äh .... äh" - und zu seinem Bassisten gewandt - "Where are we? What is it called here?" Der Bassist wußte es aber auch nicht so genau. "Äh... Ummagumma."
Oberammergau ist nicht besonders groß. Und die Oberammerhalle war spätnachmittags auch leicht zu finden. Schwieriger erwies sich die Suche nach dem Hotel. Auf die Frage nach dem Hotelnamen erwiderte Ray so etwas, das ich als "Hotel Sammlauer" verstand. Ich wohnte gerade vier Monate in Bayern und war der bayrischen Sprache noch nicht mächtig, aber das "er" am Ende klang für mich typisch bayrisch. Eine Adresse hatte Ray nicht, aber Oberammergau war ja auch nicht groß. Wir fuhren fast alle Straßen des Ortes mehrfach ab, fragten die halbe Einwohnerschaft und fast alle Touristen. Niemand kannte das Hotel Sammlauer. Eine Telephonzelle mit Telephonbuch haben wir auch nicht gefunden. Die Zeit drängte. Als ich nicht mehr weiter wußte, fragte ich Ray, ob er nicht doch irgendetwas Schriftliches hatte. Er kramte dann nach einiger Zeit einen etwas verknitterten Zettel hervor, auf dem die Namen der Hotels auf der Tournee verzeichnet waren.
Ray ist Engländer. Und seine damaligen Deutschkenntnisse beschränkten sich nach eigenen Angaben auf "Schaschlik und Pommes Frites" und auf - wie sich später beim Konzert heraustellte - "now alles, alles klutschen!" und "Händs in de Lüft".
Das Hotel hieß "Zum Löwen".
