Zitat:
Der Rowohlt Verlag hat – genau wie Hachette – Ronan Farrows Buch Durchbruch. Der Weinstein-Skandal, Trump und die Folgen veröffentlicht. Es handelt davon, wie erdrückend die Beweislage in solchen Fällen sein muss und wie viel investigative Hartnäckigkeit und institutionelle Unterstützung nötig sind, wenn die Aussagen der von sexualisierter Gewalt Betroffenen nicht immer wieder als unglaubhaft abgetan werden sollen. Die Unschuldsvermutung, auf die sich die Befürworter der Veröffentlichung in den letzten Tagen immer wieder berufen haben, gilt nicht nur für Woody Allen, sie gilt auch für Mia Farrow und führt daher nicht weiter. Das Argument "So genau weiß man das doch nicht, wahrscheinlich lügt die Frau, weil sie sich rächen will" ist formal dasselbe wie "So genau weiß man das doch nicht, wahrscheinlich lügt der Mann, weil er es nicht gewesen sein will".
Ronan Farrow hat seine Position gegenüber Hachette dargelegt und ist von den Angestellten des Verlags darin unterstützt worden. In Deutschland gibt es diese Möglichkeit für ihn nicht. Das ist einer der Gründe, warum wir uns als Autorinnen und Autoren des Verlags an Rowohlt gewendet haben. Das Verhältnis zwischen Verlag und Autor geht über eine Geschäftsbeziehung hinaus, darauf weisen die Verlage selbst gern hin, und es gibt hier keine neutrale Haltung. Der Rowohlt Verlag kann nicht Farrows Buch aus der – wie ich hoffe – Überzeugung heraus veröffentlichen, dass es ein richtiges und wichtiges Buch ist, und dann gegen den ausdrücklichen und übrigens auch leicht vorhersehbaren Wunsch Farrows die Woody-Allen-Autobiografie verlegen. Das sieht für mich danach aus, als wolle man den Kuchen haben und ihn auch essen. Ich dachte eigentlich, die öffentliche Debatte der letzten Jahre hätte zu einem Umdenken geführt, zu mehr Aufmerksamkeit dafür, für wen und gegen wen man mit so einer Veröffentlichung Stellung bezieht. Im Kontext der Diskussionen der letzten Jahre lässt sich die Entscheidung für Allen kaum anders lesen als "So, jetzt ist die Weinstein-Mode aber mal vorbei, zurück zur Tagesordnung", und das finde ich falsch oder zumindest, wie Stephen King es bei Twitter ausgedrückt hat, "fucking tone-deaf".
"Die Unschuldsvermutung, auf die sich die Befürworter der Veröffentlichung in den letzten Tagen immer wieder berufen haben, gilt nicht nur für Woody Allen, sie gilt auch für Mia Farrow und führt daher nicht weiter."