Rene Weller
Am Freitag morgen war in der Bild-Zeitung ein Gedicht von Rene Weller teilweise abgedruckt, ein Gedicht, das Rene Weller im Gefängnis geschrieben hatte. Das Gedicht
an sich war sehr schlecht. Es ging darum, dass es scheiße ist, im Knast zu sein, dass aber
die Ausländer im Knast eigentlich sehr zufrieden sein müssten, denn für die wäre es in
einem deutschen Knast doch immer noch besser als zuhause im Ausland, oder so ähnlich.
Rene Weller war mal ein bekannter Boxer, Fliegengewicht glaube ich, und er wurde
seinerzeit immer „Der schöne Rene“ genannt, weil er einigermaßen gut aussah, braungebrannt, Muskeln, gewinnendes Lächeln usw. Als ich das Gedicht las (ich kaufte
mir sogar nach der Lektüre der Bild die Zeitschrift „Box sport“, denn dort ist das Gedicht in voller Länge abgedruckt), fiel mir wieder ein, dass ich Rene Weller mal begegnete, als ich in der Pubertät war. Und nach dieser Begegnung war ich bestimmt drei Monate unsterblich in ihn verliebt. Ich war 13 oder 14 Jahre alt und in einer Tanzgruppe mit ungefähr zehn oder zwolf anderen Mädchen und drei oder vier Jungen. Diese Tanzgruppe war der städtischen Turngemeinde (TG) angegliedert, und ich war dort schon tätig, seit ich 11 Jahre alt war. Wir hatten auf dem jährlichen „Stiftungsfest“ der TG immer wieder niedliche Auftritte, auch zu Karneval oder ähnlichen Veranstaltungen, und wir waren eine „Klicke“.
In unserer Stadt fand auch manchmal ein großer „Sport- und Presseball“ statt, ich weiß aber nicht, ob jedes Jahr oder nur alle zwei Jahre oder nur alle vier, keine Ahnung! Aber im Jahr meiner Begegnung mit Rene Weller waren WIR, die Tanzgruppe, eingeladen, unseren „Schlumpf-Tanz“, mit dem wir schon ein halbes Jahr vorher auf dem Stiftungsfest der TG, als unheimlich niedlich aufgefallen waren, auf dem SPORT- UND PRESSEBALL abermals zur Aufführung zu bringen. Das war natürlich eine Sensation für uns, denn in so einem offiziellen Rahmen, mit soviel Beachtung, vor soviel Publikum, vor überregionaler Presse usw. waren wir noch nie aufgetreten. Der Ball fand in der großen Stadthalle statt, die TG war entweder an der Organisation beteiligt oder durfte Vorschläge zum Programm machen - wie auch immer, unsere Gruppe war Programmpunkt!
Wir hatten einen eigenen Garderobenraum, aber nicht in irgendeinem Drecksloch, sondern dort, wo auch die anderen Gäste ihre Garderoben hatten, und wir wurden auch sonst wie durchaus ernstzunehmende Menschen behandelt. Wir konnten Getränke fordern, soviel wir wollten, ein Monitor im Raum übertrug die Geschehnisse in der Halle und eine Dame war ganz für uns da und beantwortete Fragen, zeigte uns die Klos und sorgte dafür, dass es uns gut ging.
Der „Schlumpf-Tanz“ war schon damals einigen von uns ein bisschen peinlich, viele von uns waren nicht mehr ganz Mädchen aber auch noch lange keine Frauen, und für den „Schlumpf-Tanz“ mussten wir uns in unförmige blaukarierte Kissen-Kostüme kleiden, und wir trugen rote Schlumpf-Mützen auf den Köpfen, denn der Tanz ging auf ein Lied von Vadder Abraham und seinen Schlümpfen: „Sagt mal, wo kommt ihr denn her?“ - „Aus Schlumpfhausen, bittesehr!“ Einige von uns hätten lieber etwas jazzigeres mit den engeren Satin-Kostümen getanzt, aber man wollte halt den niedlichen „Schlumpf-Tanz“!
Auf dem Monitor konnten wir - so wie es die Aufregung halt zuließ - sehen, wie Carlo Thränhardt und Rene Weller gerade ein Wettrennen mit manipulierten Fahrrädern machten: Die Übersetzung der Fahrrad-Ketten war so geändert, dass die sich halb tottrampeln mussten um überhaupt vorwärts zu kommen, außerdem war das Vorderrad nur etwa 30 Zentimeter im Durchmesser, das Hinterrad dafür fast einen Meter und nicht rund sondern oval, sehr lustig halt!
Sowohl Carlo Thränhardt als auch Rene Weller waren schon Tage zuvor in den Zeitungen als DIE Gaststars angekündigt, dementsprechend bewunderten wir sie auch und waren stolz, in einer Show mit ihnen auftreten zu dürfen.
Unser Auftritt verlief auch reibungslos und mit der gewohnten Routine.
Nachdem unser wohlverdienter Applaus verklungen war, zeigte uns unsere Betreuerin den Weg zurück zu den Garderoben, und ich weiß jetzt wirklich nicht mehr, ob es ein echter Zufall war, oder teilweise doch von irgendwem von uns gewollt, aber ich glaube doch, es war ein ehrliches Versehen, auf jeden Fall stürmten wir noch aufgeregt und erhitzt durch die Garderobentür - und standen in der Garderobe von Rene Weller! Die ersten vier von uns auf jeden Fall, die anderen reckten ihre Hälse noch vom Gang aus!
Er trug einen weißen Bademantel, der am Hals nicht ganz zu war, schaute erst verblüfft, dann sehr nett, und sagte: „Na, so viele charmante junge Damen habe ich aber lange nicht mehr auf einmal in meiner Garderobe gehabt!“ Wir kicherten ein bisschen, entschuldigten uns dann aber, souverän wie Erwachsene, für diesen peinlichen Irrtum. Blieben aber noch ein bisschen dort stehen, zwischen Tür und Angel. Nach ungefähr 10 Sekunden fragte uns Rene Weller, ob er etwas für uns tun könne, Autogramme vielleicht? Er fragte das keineswegs arrogant, sondern eher ein wenig ratlos. Ich nahm ein Autogramm, es war nicht vorbereitet, sondern er schrieb es live mit einem Edding auf eine seiner Foto-Karten.
Dann gingen wir wieder, fanden unseren eigenen Garderobenraum und kicherten und tuschelten noch sehr lange über den gutaussehnden Rene Weller, der uns als „charmante junge Damen“ bezeichnet hatte, obwohl wir genau wussten, wie bescheuert wir in unseren Schlumpf-Kostümen aussahen!