Wie ich mit Udo Lindenberg in die Drehscheibe geriet
Diese Geschichte ist schon etwas länger her, sie spielt nach meiner Erinnerung im Jahr 1975. Ich war ein Junge von knapp 15 Jahren, ging in Wiesbaden zur Schule und hörte eines Tages, dass mein Idol Udo Lindenberg zu einer Autogrammstunde in die Rhein-Main-Hallen kam, wo irgendeine Messe stattfand. Ich bin dann da auch hin, nur um ihn mal aus der Nähe zu sehen. Er stand in so einer kleinen Messe-Box hinter einer Traube von Fans und beantwortete Fragen. Udo trug einen Gürtel mit der Aufschrift "Panik", er hatte lange - und schon etwas schüttere - Haare und war noch ohne Hut und Sonnenbrille. Ich fand es damals originell, mir ein Autogramm in mein Lateinbuch geben zu lassen, so schrieb er neben eine Cicero-Abbildung: "Johnny Controletti von damals - Udo Lindenberg". Irgendwie kamen wir dabei ins Gespräch und er fragte mich, ob ich ihn ins ZDF-Fernsehstudio begleiten wollte, er hätte da am abend einen Auftritt. Damals hatte das ZDF in Wiesbaden einige Studios, von wo u.a. das Sport-Studio, aber auch "Die Drehscheibe" gesendet wurden.
So gingen wir zu einem Hinterausgang der Rhein-Main-Hallen, wo ein Taxi wartete, mittlerweile hatte sich auch eine nette junge Dame zu uns gesellt, die im Auftrag seiner Plattenfirma alles um ihn herum organisierte. Wir fuhren also mit dem Taxi zum Studio und unterhielten uns die ganze Fahrt über. Er war sehr interessiert daran, was ich für Musik hören würde, welche Songs von ihm mir besonders gefielen, und ob er demnächst etwas weniger mit Gitarren und mehr mit jazzigeren Bläsersätzen arbeiten solle. Ich war überaus geehrt, dass meine Meinung (pro Gitarren, contra Bläser) für ihn irgendwie von Relevanz schien.
Im Studio angekommen gab es zuerst eine Probe, er sang "Der Malocher aus dem Ruhrgebiet" von der "Votan Wahnwitz"-LP und er fragte mich, ob ich ihm in der Kantine einen Tee besorgen könnte. Ich war etwas enttäuscht, weil Tee nicht unbedingt das Getränk war, mit dem ich Udo Lindenberg gemeinhin in Verbindung brachte, aber er erläuterte mir, auch einer wie er könne nicht pausenlos nur Alkohol trinken. Außerdem müsse er ja noch auftreten und das etwas gereiftere Drehscheibenpublikum von seiner musikalischen Ausdruckskraft überzeugen. So holte ich also Tee, er stellte mich dann später der Drehscheiben-Moderatorin mit den Worten "und das ist Udos Mundschenk" vor. Nach der Probe und vor der Aufzeichnung hingen wir dann noch längere Zeit in der Garderobe ab, ich fragte ihn und die Dame von der Plattenfirma alles mögliche über das Musikbusiness, über das Panik-Orchester, die Single von Steffi Stephan ("Traumbaum"), warum Carl Allaut nicht mehr dabei sei, was aus Backi Backhausen werden würde etc. Dazwischen holte ich immer mal einen neuen Tee aus der Kantine ("Du bist jetzt persönlich verantwortlich, dass die Teeversorgung nicht ins Stocken gerät"). Während der Sendung dann saß ich in der sprichwörtlichen ersten Reihe und fand es obercool, dass Udo während seines Auftritts aus einer Whiskyflasche trank (keine Ahnung, was da wirklich drin war).
Nach getaner Arbeit fuhren wir zu Dritt zum Wiesbadener Hauptbahnhof, von wo aus Udo nach Saarbrücken weiterfahren wollte. Da es noch etwas mit der Abfahrt seines Zuges dauerte, kaufte er am Kiosk eine "Bravo", um zu sehen, ob schon ein Interview mit ihm darin abgedruckt sei (es gab aber nur die Ankündigung für die nächste Ausgabe) Etwas enttäuscht lud er mich ins damals noch existierende Bahnhofsrestaurant ein, er trank ein Bier, ich eine Cola. Dann verabschiedeten wir uns und gingen unserer Wege.
Ich habe mich später immer gern an diesen Tag erinnert, und an Udo als einen überaus netten, zugänglichen und humorvollen Menschen. Es war von ihm als einem damals sehr umjubelten Star sicher nicht zu erwarten, irgendeinem jungen Fan einen so ungewöhnlichen und eindrucksvollen Tag zu bescheren. Es war aber so, und das habe ich bis heute nicht vergessen.