Zitat von Helsinki
„Ein Parlamentarier ist kein Grüßaugust!“ Das hat Dieter Wiefelspütz mal in einer Talkshow gesagt und ob er überhaupt das Zeug zum Grüßaugust hat, weiß ich nicht.
Bernhard Vogel ist kein Parlamentarier mehr. Er ist ehemaliger Ministerpräsident, u.a. von Thüringen und sozusagen Ehrengast auf dem Sommerfest der thüringischen Staatskanzlei in Berlin. Ich bin nur normaler Gast. Man braucht eine schriftliche Einladung und einen gültigen Personalausweis. Ein Regenschirm wäre auch gut. Ich bin nicht häufig auf solchen Festen und meine Erwartungen gingen in Richtung fliegende Canapées, charmante Begleitung, dezentes Rahmenprogramm und gutes Wetter. Stattdessen regnet es und ich bin allein. Die Mohrenstraße ist abgesperrt. Um die Landesvertretung herum ist eine Wagenburg aufgebaut, aus Thüringer Rostbratwurstbude, Öttinger Bier, Pfannkuchenhaus, Nordhäuser Doppelkornstand, bisschen Tourismus, eine kleine Bühne und ein MDR-Radiosendewagen. Die Bierbänke sind nassgeregnet.
Die meisten Leute tragen Regenschirme oder richtige Regencapes. Sehr viele sind auch nicht da. Ich trinke ein Öttinger Weizen, dann stelle ich mich an der Bratwurstbude an. Danach trinke ich noch ein Bier und messe den Parcours ab. Das Treiben auf der Bühne wird kaum beachtet. Ministerpräsident Althaus hält eine Rede, ein MDR Abteilungsleiter wird zum Thema 10 Jahre Kika und Bernd das Brot befragt, dann spielt eine Musikband aus Weimar.
Unter einem Zeltpavillon unterhält sich Bernhard Vogel mit Peter Hahne. Hahne sieht anders aus, als im Fernsehen, schlechter. Bernhard Vogel sieht aus, wie Bernhard Vogel. Brille, Frisur, freundlicher Unterbiß.Er könnte aber auch eine Bernhard Vogel Plastikmaske tragen. Jemand im Bernd das Brot Kostüm hat mich ja auch eben umgerannt. Vogel parliert in kleinen Grüppchen, lächelt Leuten zu und lässt sich spontan umringen und fotografieren. Dabei ist er ein äußerst freundlicher und würdiger Grüßaugust.
Die Musiker aus Weimar haben die Bühne mittlerweile verlassen und stehen nun direkt vor dem Publikum. Kaum beachtet spielen sie ihr Repertoire, konsensfähige Gassenhauer. Dazwischen sagen sie die Stücke an.
Von da, wo Bernhard Vogel steht bis zum Ausgang muss er zwischen Band und Bühne vorbeigehen. Das ist ungefährlich, denn gerade wird ein Stück angesagt. Aber der Ansager sieht ihn kommen und bezieht ihn ein. Das sei ja ein besonderer Augenblick, dass hier just der Landesvater a.D. komme, freundlicher Applaus, gütiges lächeln Vogel, und deshalb werde man nun dessen Lieblingslied spielen. „Schuld war nur der Bossa Nova.“ Die Erwartung versickert. Vogel geht dann schnell. Ganz allein ohne Begleitung.
Er ist übrigens noch Vorsitzender der Konrad Adenauer Stiftung, außerdem hat er drei Wohnsitze. Von überall da, wo er gerade nicht ist, wird ihm täglich per Kurier dahin, wo er gerade ist, die Post gebracht.
Gegen acht Uhr bin ich gegangen. Fast hätte ich noch einen Caipirinha bestellt, aber ich habe den Nordhäuser Doppelkorn Fake rechtzeitig erkannt. Meine Zielperson habe ich auch getroffen. Ich möchte den Kontakt erneuern. Wir haben uns im Vorbeigehen kurz die Hand gegeben, er nuschelt Fragmente
meines Namens. Ich habe mit der Hand einen Telefonhörer geformt und an den Kopf gehalten.