Morales, Evo (schafft's ohne mich)

Es war im März 1999, genauer: es war am 23. März 1999, noch genauer: es war im April 1999, da fuhr ich einmal mehr vom Flughafen El Alto nach La Paz hinunter. La Paz liegt am Boden und an den Hängen eines 700 Meter tiefen Erdlochs, oben von El Alto aus sehen die Hochhäuser aus wie Ameisen. Man steigt in einen Trufi, entrichtet zwei Bolivianos und, heidewitzka, Herr Kapitän, schon geht’s auf der Paßstraße im rasanten Schweinsgalopp holterdipolter immer der Nase nach hinab in den Talkessel. Im Trufi muß man dann zwischen vierzehn und neunzehn Mal „de Alemania“ sagen, denn zwischen fünfzehn und zwanzig Passagiere passen in einen Trufi, ein VW-Bus-großes öffentliches Verkehrsmittel, und sich bei einem Gringo zu erkundigen, woher er komme, ist des Bolivianers idealer Lebenszweck, wie für unsereins Borstenvieh und Schweinespeck.

Bei dieser herbstlichen (Südhalbkugel!) Fahrt im Trufi nun saß mir gegenüber ein Mann, der mich lange unverwandt anblickte und dann höflich fragte: „Entschuldigen Sie – sind Sie nicht Klaus Cäsar?“ Ich nickte bescheiden und bestätigte, jawohl, der bin ich, leibhaftig und in persona. Ich flunkere etwas, in Wirklichkeit war’s ich, der blickte und fragte und der andere war der mit dem Nicken und Bestätigen, und die Frage lautete auch nicht „Sind Sie Klaus Cäsar?“, sondern „Sind Sie Evo Morales?“, aber sonst stimmt die Geschichte aufs Wort. Evo Morales, als Präsident der bolivianischen Cocabauerngewerkschaft eine nationale Berühmtheit, interessierte sich sehr dafür, woher ich komme, ah, Alemania, muy interesante, und dann riß er einen Zettel aus seinem Schreibblock und schrieb mir Ort und Termin der nächsten großen Cocabauerngewerkschaftsversammlung im Chapare, dem Hauptcocaanbaugebiet Boliviens, auf, ich sei herzlich willkommen. Ich sagte zu, aber später besann ich mich darauf, daß ich, bei Licht besehen, recht eigentlich gar kein Cocabauer bin, mithin also fehl am Platze wäre, und so blieb ich der Einladung des netten Herrn Morales fern. Jahrelang hatte ich deswegen ein winziges Gewissensbißchen, aber seit ich vorgestern aus der Tagesschau erfuhr, daß Evo Morales als erster Indio der bolivianischen Geschichte zum Staatspräsidenten gewählt wurde, bin ich beruhigt: Hat er’s also doch noch ohne mich geschafft.

Und, sag, hat er Dir aus seinem Privatplastiktütchen Coca angeboten, oder hattest Du selber welches? Und wenn, was hast Du, als Du die Backe voll mit den Blättern hattest, empfunden?
Ich nämlich scheinbar gar nichts, als ich in der Region war, es schmeckte wie Fischfutter riecht, ich bekam Puddingbeine, aber das war vielleicht, weil ich auch auf 5000 Meter Höhe war nur der Sauerstoffmangel

Cocakauen, Freund Alberto, fördert nicht, sondern mindert den Höhenpudding, deshalb pflegte auch ich stets mein Päckchen zu tragen. Man muß allerdings eine richtige Hamsterbacke davon nehmen und die Blätter gut zerkauen und einspeicheln, so daß ein feuchter Filzklumpen entsteht. Sodann - sehr wichtig - knabbert man dazu ein bißchen von der getrockneten Asche, die man auch bei den Cocaverkäufern erhält. Erst dann bekommt man das richtige taub-stumpfe Zahnarztfeeling im Mund, und als geschmackliche Kopfnote breitet sich etwas Zementiges aus, das vortrefflich mit dem Fischfutter harmoniert. Beim Fußballspielen auf 4000 Metern nutzt das alles aber auch nichts, weil man da ständig über seine Zunge stolpert.