Smith, Robert (sortiert seine Finger)
Eines dieser unendlich droegen Kundenbindungs-Gespraeche, Koeln-Deutz, Radisson-Hotel, begruenter Innenhof, 24.06.04 nachmittags. Kunde erzaehlt selbstverliebt von laufenden Projekten und wird von uns tollgefunden, er ist ja der Kunde. Der Blick schweift ab, eine dunkle Gruppe schiebt sich in den hellen Innenhof wie eine graue Gewitterwolke. nur irgendwie heiterer. Dieses Schluffige, dieses verwaschene Schwarz ihrer Klamotten, ihr Bierkonsum und ihr Gelächter laesst mich aufmerken, Assoziationen verweben sich in meinem Kopf mit Erinnerungen, Gesichter kommen mir bekannt vor - das sind The Cure! Die, die erstaunlicherweise IMMER NOCH da sind, immer noch rumtouren und deren Saenger Robert Smith seit ca. 20 Jahren genau gleich aussieht. Ich kann ihn nicht erspaehen, den Frontmann, muss mich auch auf den Kunden konzentrieren, bloed.
Einige Minuten spaeter spaehe ich nochmals hinueber zu dem Grueppchen, und da sehe ich diese so charakteristische Silhouette, die man spaetestens seit dem "Boys don't cry"-Plakat sofort mit dieser unverwechselbaren Stimme und dem roten Schmiermuendchen in Verbindung bring. Robert Smith sitzt in einem grau-schwarzen Sackgewand auf einem Holzstuhl, ohne roten Lippenstift, wohlgemerkt, mit irgendwie Girlie-esken Perlenkettchen um den Hals, einem vor lauter Verfilztheit schimmernden schwarzen Haarschopf, sehr weiß und aufgeschwemmt in der Anmutung. Sein Mund sieht aus, als haette der Zahnarzt diese Speichelsaugwatte darin vergessen, seltsam deformiert, leicht offenstehend. Robert Smith spricht nicht, mit niemandem. Ab und an wirft er einen Blick zu seinen Begleitern, ein scheues Laecheln zuckt kurz durch die Speichelsaugwatte, dann schaut er wieder auf seine dicklichen Finger, die er bedächtig zu sortieren scheint. Er verwurschtelt die Finger beider Haende erst miteinander, wie zu einem unheimlichen Gebet geformt - dann verkehrt er die Prozedur wieder. Ich kann ihn nicht die ganze Zeit anstarren, der Kunde balzt um Aufmerksamkeit, soll sie bekommen.
Kurz darauf gehen wir, ich schaue nochmals kurz in Richtung Dark Wave-Idol, das sich immer noch mit seinen Extremitaeten beschaeftigt.
Eine Woche spaeter sehe ich zum ersten mal mein Patenkind, Oskar. Wie er so selbstvergessen im Kinderwagen liegt und mit seinen Haenden spielt, erinnert er mich sehr stark an eine Ikone der 80er Jahre. Ich beschließe, den Eltern nichts davon zu sagen.
