-
Manche Jobs kommen bei oberflaechlicher Betrachtung wie gerufen. Zum Beipiel, wenn der Mann des Herzens zu beschaeftigt ist mit schraegen Partituren und Maharishi-Juengertreffen, um Geld heranzuschaffen, die Jobs fuer Studentinnen gerade mal wieder knapp sind, und man ausserdem nichts lieber als ganz weit weg will vom Kerl und den Kalamitaeten des gemeinsamen Alltags. In einer solchen Lagen klingt das Angebot, aushilfsweise einige Reiseleitungen zu uebernehmen, erst einmal recht attraktiv.
Hinterher ist man dann klueger und weiss, dass Reiseleiter eine Erwerbstaetigkeit ist, deren Spassfaktor vernachlaessigbar gering ist. Lassen Sie mich nur soviel sagen, was man aus deutschen Fernsehserie wie ãSterne des Suedensä kennt, hat mit den banalen Beschaeftigungen echter ReiseleiterInnen kaum bis keine Aehnlichkeit. Schon gar nicht Mitte der 80er Jahre und im groessten Entwicklungsland dieses Planeten. Und erst recht nicht, wenn es sich beim Klientel um mittel- bis richtig alte Kulturreisende handelt, die zwischen Oslo und den Osterinseln bereits ãalles gemachtä haben und Gruppenreisen mit Inbrunst hassen.
Mitte der 80er war Individualtourismus in der VR China nur sehr eingeschraenkt moeglich. Bildungsbuerger, die China auf ihrer Liste abhaken wollten ãbevor Kreti und Pleti hier einfallenä fuegten sich also inâs Unvermeidliche, buchten brav Rundreisen und nahmen in Kauf, mit voellig Unbekannten Doppelzimmer zu teilen.
Mein damaliger Aushilfsarbeitgeber war ein in Kronberg/Ts ansaessiges Unternehmen, das sich auf Chinarundreisen fuer hoehere Einkommensklassen spezialisiert hatte, und so hatte ich haeufiger Unternehmer, Banker, Zahnaerzte und wohlhabende Kuenstler in den Gruppen. Diese Gruppen setzten sich ueberwiegend aus ruestigen alleinreisenden Damen sowie Ehepaaren zusammen, von welchen stets mindestens 3 in festzementierten Beziehungskrisen und entsprechenden Dauerstreits steckten. Zwei bis fuenf AlkoholikerInnen waren ebenso die Regel wie die zwei bis drei maennliche, selbsternannte Alpha-Tiere, die verbissen und meist eher duemmlich um die Anfuehrerschaft des Rudels rangen. Daneben oder in Personalunion Allergiker, Gerauesch- und Geruchsempfindliche, Reinlichkeitsfreaks, Esoteriker, sowie fanatische Anhaenger der deutschen Fruehstueckskultur.
Allesamt voellig verwoehnt und in der Erwartungshaltung, in China den gewohnten 5- Sterne-Standard vorzufinden, waren die Kunden ab dem 3. Reisetag meist voellig frustriert und ergingen sich in nahezu pausenlosen Klagen. Fuer die Reiseleitung bedeutete das 16-Stunden-Tage und eine Bandbreite an Herausforderungen, die vom Organisieren von Alkohol- und westlichen Nahrungmitteln und der heimlichen Beschaffung von Landestoechtern fuer ethonologisch interessiertere Herren, ueber Klokastenreparaturen und Kofferschleppen bis hin zu naechtlichen Streitschlichtungen und psychologischer Betreuung reichte.
Die lausige chinesische Organisation (angeblich doppelt ueberbuchte Hotels, die dann nach umfaenglicher Bestechung ploetzlich doch Zimmer frei hatten, kaputte Busse, nicht auffindbare und/oder voellig kenntnislose lokale Reisefuehrer, keine Koffertraeger, miserable Kohlgerichte statt der versprochenen Krabbenspezialiaeten, usw., usw,) machte die Bespassung der Anspruchsvollen nicht eben leichter. Manchmal allerdings versagte auch die eigene Organisation bzw. die Nerven der aus Deutschland mitgebrachten Reiseleitung. So hatte eine Parallellgruppe, in der sich u.a. Inge Meysel befand, ihren Reiseleiter derartig heruntergemacht, dass er sich nach der ersten Woche entnervt absetzte und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Fortan hatte ich zwei Gruppen am Hals und somit fuer 7 Tage auch Frau Meysel zu betreuuen. Details jener Woche zu berichten, verbieten die Regeln dieses Forums.
Allerdings hatte die urspruengliche, noch nicht erweiterte Gruppe die bekannte Schauspielerin bereits seit dem allerersten Reisetag neugierig beaeugt, wann immer sich die Gelegenheit dazu ergab. Ein Bild, dass sich den Reisenden wahrscheinlich so eingepraegt haben duerfte wie mir:
Platz des Himmlischen Friedens, unweit des Mao-Mausoleums. Es ist ein windiger Spaetnachmittag im Fruehherbst: Inge Meysel, in ein mehrteiliges Seidengewand gehuellt, steht auf schicken, makellosen Pumps in Mengen von Chinesen. Das zarte Gewand blaeht sich elegant, die Traegerin versucht gleichzeitig, ihren unvermeidlichen Hut festzuhalten und eine Gruppe von Volkspolizisten zu photographieren. Ihr Balanceakt faellt einer Gruppe deutscher Touristen der preissensibleren Sorte auf. Prompt stuerzen etliche beleibte Menschen beiderlei Geschlechts auf die zierliche Frau los. Der sieht man ihren Fluchtinstinkt deutlich an. Aber es gibt kein Entrinnen, im Nu ist sie umringt von aufgeregt schnatternden Landsleuten, die allesamt in praktische, vielfarbige Freizeitkleidung verpackt sind. Sie duerfen nun Inge Meysels Haende schuetteln und unzaehlige Photos der Kategorie ãMein Star und ichä schiessen. Das finden die Luxusreisenden der Meysel-Gruppe degoutant und wenden sich demonstrativ vorzeitig zum Bus. Eine halbe Stunde spaeter stakst die seinerzeitige ãMutter der Nationä vom Tiananmen, offenkundig nicht mehr ganz sicher auf den Beinen.
Laut Bericht des zu diesem Zeitpunkt noch nicht verschwundenen Kollegen spaetabends an der Bar, bittet Frau Meysel im Bus um einen kurzen Zwischenstop, man moege sie am Hotel absetzen, ihr sei nicht ganz wohl. Das schlaaegt ihr die Gruppe basisdemokratisch und barsch ab. Man will so schnell wie moeglich wie geplant in den Freundschaftsladen und vor dem Abendessen ( auf dem Programm steht das Pekingentenmenue eines der wenigen 1. Klasse Restaurants der Stadt) noch ein wenig Geld fuer Seidenteppiche ausgeben. Mutter Meysel legt sich mit dem Alpha-Tierchen der Gruppe an. Der lautstarke Streit um Neid, mangelndes Mitleid und maennliches Imponiergehabe soll bis zum Freundschafsladen gedauert haben·
Abends dann trafen die Parallelgruppen wieder aufeinander. Restaurant und Essen waren so gut wie angekuendigt (na ja, die Tischdecken haetten laenger sein koennen...) und entsprechend voll mit Touristen. Die anderen Reisegruppen kamen hoerbar vor allem aus Deutschland, Oesterreich und der Schweiz, ein paar versprengte Daenen moegen auch anwesend gewesen sein. Insgesamt kauten dort rund 120 Menschen an knuspriger Entenhaut, hauchduennen Fladen und was sonst noch zu einem anstaendigen Pekingentenmenue gehoert. An konzentrierten Essgenuss war allerdings nicht zu denken und an anregende Tischgespraeche auch nicht. Aufmerksamkeit und halblaute Konversation an diesem Abend kreisten um folgende Fragen ãIst das Inge Meysel? Warum isst sie denn barfuss? Wo hat sie bloss ihre Schuhe? Warum reibt sie immer so ordinaer mit ihren Fuessen an ihren Unterschenkeln herum?. Weiss sie nicht, wie man anstaendig bei Tisch sitzt·.?ä.
Die Schuhe steckten, wie ich spaeter aus erster Hand erfuhr, gequetscht in der Handtasche. Sie habe nicht eingesehen, sich noch laenger abzuquaelen, die Schuhe haetten ihr ohnehin nicht besonders gefallen, und ausserdem habe sie den pompoesen und auf Manieren so bedachten Herrn XXX mal ein wenig schockieren wollen. ãUnd Kindchen, Sie glauben ja nicht, wie ich mir an diesem Abend gewuenscht habe, zu Schweissfuessen zu neigen.ä
Seit diesem Tag mag ich die Frau, irgendwie.
(Beitrag wurde von DREA am 24.09.2001 um 12:30 Uhr bearbeitet.)
-
Diese wunderbare Geschichte kann meine Sympathie für Inge Meysel nur bestärken, und ihre Barfußaktion passt.
Vielen Dank dafür, DREA,
und auch für den herrlichen Begriff
Bespaßung
-
Sonst mag ich Inge Meysel ja nicht so, aber diese Geschichte, wunderbar erzählt, macht sie mir auch sympathisch.
Vor allem die Qualen der Reiseleiterin- ich hatte ja keine Ahnung! Ich hätte für sowas keine Geduld. Aber langweilig wird es einem wohl auch nicht.
-
Gottseidank, auch wenn die meisten Foren momentan auf Banalverkehr geschaltet haben: Die guten Geschichten gehen nicht aus. Und wer hat behauptet, daß Promibeschreibungen den Hauptteil ausmachen müssen? Keiner, genau. Leid und Lust des Reiseleiteralltags.
Frau Meysel als aufopferungsvolle 'Mutter der Nation': Wahrscheinlich eine der grandiosesten Fehlbesetzungen der Nachkriegszeit.
Die war wirklich nie ein Opfertier. Immer kämpferisch, immer vorne. War sie nicht die Triebfeder bei dem Prozess gegen blanke Busen auf Stern-Titelseiten? Mein Gott, was für Zeiten! Frauen als Sexobjekte mißbraucht... Heute drängen sich die meisten TV-Schwestern danach, durch den Playboy geadelt zu werden. Oder 'Vagina-Monologe' vorzulesen. Egal. Um was ging's?
Ach ja, Inge Meysel und das Alpha-Tierchen! Ja, mit denen hat sie's nicht so, sehr typisch die Geschichte!
-
Diese wunderbare Geschichte bestärkt meine Sympathiie für DREA, zu Sympathie für Inge Meysel kann ich mich nicht durchringen.
Mit Gruppenreisen kenne ich mich auch aus, besonders mit US-amerikanischen Jugendlichen, die durch Deutschland reisen.
Der Dauerstandartfragenkatalog beinhaltet:
- Wo ist das Bad?
- Wie spät ist es?
- Wie wird das Wetter übermorgen?
- Ich möchte Wasser ohne Kohlensäure.
- Wo kann ich einen Regenschirm kaufen?
- Warum heißen alle Straßen '...straße'?
- Hast du ein Telefonbuch von Jerusalem bei dir?
- Kann ich auch in Dollar bezahlen?
- Warum fahren wir nicht nach Heidelberg?
- Den Kaffee bitte koffeinfrei mit fettfreier Milch
- Warum verstehen die Menschen hier kein Englisch?
- Ist der da hinten ein Nazi?
- Ich möchte nicht zu Fuß gehen.
- Warum heißt du Ulrike?
Dies und einiges mehr. Reisegruppen stehen einander im nerven nichts nach.
-
sehr fein diese inge meyschel (man muss den namen so aussprechen, als hätte man eben gerade sein neues gebiss ('gebisch') bekommen, so wie inge-ich bin leschbisch- meyschel...).
dazu fällt mir noch eine kurze anekdote ein:
<b> Inge Meysels Plastiktüte</b>
eine bekannte jobbte als produktionsassistentin für irgendeinen zdf-fernsehfilm-am-montag mit inge meysel in der hauptrolle. das teil wurde in venedig gedreht und aufgabe meiner bekannten war es vor allem, inge meysels plastiktüte zu tragen, die sie angeblich immer dabei hat. am ende der produktion traute sich meine bekannte endlich mal inge zu fragen, was denn in der tüte sei. die bat sie hineinzuschauen. und was war drin? sämtlicher wertvoller schmuck und das familiensilber der meysels! meine bekannte hatte wochenland unschätzbare werte in einem kaufhofsackerl durch die lagunenstadt geschleppt! 'sonst wird es doch nur gestohlen', soll die meysel gesagt haben!
-
Wieder so eine schöne Geschichte von Dir, DREA, dankbar saugt man jedes Wort auf...
Bespassung der Anspruchsvollen, oh ja, herrlich!
Ich habe in meinem Leben erst zwei Rundreisen gemacht, es werden wohl die letzten bleiben, seit meiner Birmareise weiß ich, daß es der Japaner an sich völlig normal findet, sich im Pyjama zum Abendessen im Restaurant nierderzulassen und dabei reichlich herumzulärmen.
-
ich sehe sie vor mir, die mutter der nation, wie sie an entenfüssen nagt und sich schweinefüsse wünscht.
eine sehr schöne geschichte, drea.
-
juhu DREA, coole Geschichte.
-
Drea, bitte weitererzählen.Da war sicher noch manches berichtenswerte.
-
Wundervoll DREA - mehr davon.
-
drea, ich drück dich per satellit.