Handke, Peter (tritt ins Licht)
Es ist schon so lange her, dass ich mich nicht mehr an die Nummer der Straßenbahnlinie erinnern kann, in deren Wagen ich saß, vom Max-Weber-Platz kommend, und die Maximilianstraße hinunterrollte, vorbei an Maximilianeum und Max-Zwo-Denkmal, auf dem Weg zu einem weltvergessenen Pro- oder Hauptseminar in der Maximiliansuniversität. Die Straßenbahn überquerte gerade den Altstadtring, gleich würden die Kammerspiele zur Linken, die Oper zur Rechten an mir vorüberziehen, als ich Peter Handke aus der Tür der Kellerbar "La Cave" herauskommen sah.
Als der Autor aus dieser kleinen Bar an das Licht trat, war es kurz vor 16 Uhr, also quasi am "Nachmittag eines Schriftstellers", wenn ich mir diesen Scherz erlauben darf. Handke trug sein Haar so lang wie ich, einen Schnurrbart wie ich, unterschied sich aber doch deutlich von mir, trug ich doch keinen weißen oder cremefarbenen Anzug, des weiteren hätten mir die Barmittel für das La Cave gefehlt.
Es muss sehr dunkel in dieser Bar gewesen sein, die Helligkeit des Sommernachmittages warf sich dem Dichter mit Gewalt entgegen. Empört hielt dieser sich an der schweren Eichentür des La Cave fest, die er gerade hatte zuwerfen wollen.
Dann ließ Handke die Tür los, fuhr herum und schaute die Maximilianstraße stadteinwärts hinab. Nach einem verärgert-aufsässigen Kopfschwung schaute er die Maximilianstraße stadtauswärts hinauf. Beides fand nicht seine Billigung, wie ich seinem Gesichtsausdruck entnehmen konnte.
Der Haupunterschied zwischen Handke und mir war natürlich nicht dieser eierschalenfarbene Anzug, so ein heller Anzug eben, sondern der lag und liegt in meiner mangelhaften Beschreibungskompetenz, die mir Handke womöglich als Beschreibungsimpotenz vorgeworfen hätte, wie er das ja von Anfang an schon vielen vorgeworfen hat. Denn wenn ich den Anzug Handkes "weiß" oder "cremefarben" nenne, oder "irgendwie hell halt", so kann man damit nicht zufrieden sein.
Ebenso fühle ich, dass ich das Auftauchen und Herauftauchen Handkes aus dieser Höhle unter mir, dass ich das Erscheinen Handkes in der Welt, das Sich-Entbergende des ganzen Vorgangs, nicht angemessen darstellen kann, ich saß in meiner Trambahn ja auch unangemessen hoch über Handke. Ich fühle den Mangel, aber ich kann ihm nicht abhelfen.
Unsere Wege trennten sich nun, meine Trambahn rollte unaufhaltsam an Handke vorbei in Richtung Marienplatz, wo ich in die U-Bahn hinunter steigen würde, Handke aber, der ja schon aus der Tiefe kam, würde wohl an der Oberfläche bleiben. Ich kann aber beim besten Willen nicht sagen, welche Richtung er denn nun eingeschlagen hat, ob er die Maximilianstraße hinauf- oder hinabgegangen ist.
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