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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Hogenkamp, Peter (Ich. Oder: Last night a passion fruit saved my life)



Peter Hogenkamp
04.12.2001, 23:15
Ich war eine Woche lang selbst prominent, weil ich am 24.11. mit dem Flugzeug auf dem Weg von Berlin nach Zürich abgestürzt bin. Ich war einer der neun Überlebenden, 24 Menschen starben.

(Wer es verpasst hat: 24 Tote bei Flugzeugabsturz in Bassersdorf (http://archiv.nzz.ch/books/nzzmonat/0/$7TA1F$T.html) und
«Du stehst da praktisch nackt im Wald» (http://archiv.nzz.ch/books/nzzmonat/0/$7TAF7$T.html) )

Wir waren in der Schweizer Tagesschau, im "Blick" (Schweizer "BILD"-Gegenstück), in der BILD höchstselbst, im Fernsehen bei RTL, SAT.1, SternTV etc. Seit dem Wochenende, genau eine Woche nach dem Absturz, ist die Prominenz so plötzlich wieder vorbei, wie sie gekommen ist. Zum Glück.

Ein Schweizer Nachrichtenmagazin bat mich, die Geschichte des Absturzes selbst aufzuschreiben, mit etwa 3500 Zeichen. Ich fand, das sei eine gute Idee (nachdem vorher alle Zeitungen ausser der oben verlinkten NZZ irgendeinen Quatsch dazuerfunden hatten), schrieb aber spontan 25'000 Zeichen. Dem Magazin lieferte ich die 3500, was ich mit dem Rest mache, weiss ich noch nicht.

Kathrin Passig, permanent prominente Teilnehmende dieses Forums, schlug vor, als ich ihr die Geschichte erzählt hatte, hier einen Beitrag namens "Last night a passion fruit saved my life" zu schreiben. Ich weiss nicht, ob das ganze nicht etwas zu heavy für dieses fröhliche Forum ist. Aber praktischerweise kann ich für den Teil der Geschichte gleich einen Ausschnitt aus meinem Text nehmen.

Da es auch sein könnte, dass ich mal ein Buch über die letzte Woche schreibe, ist alles ab hier (c) by Peter Hogenkamp und bitte nicht kopieren oder wiederverwenden oder in elektronischen Medien oder sonstwo ihr wisst schon was damit machen.

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"Hallo, wir sind gerade mit dem Flugzeug abgestürzt..."

Der Deutsche Peter Hogenkamp (33) war zusammen mit seiner Freundin Jacqueline Badran an Bord der Unglücksmaschine und wurde nur leicht verletzt. Seine Erinnerungen an die Unfallnacht hat er selbst aufgeschrieben.

Flughafen
So früh war ich noch nie in meinem Leben am Flughafen. Wir (meine Lebens- und Geschäftspartnerin Jacqueline Badran und ich) haben den Mietwagen um 19 Uhr in Berlin-Tegel abgegeben, um nicht einen weiteren Tag verrechnet zu bekommen, und der Flug geht erst um 20.40 Uhr. Wir essen in aller Ruhe eine Currywurst. Die Sicherheitskontrollen fallen uns als extrem streng auf. Ich muss nach der Durchleuchtung meinen Schlüsselbund, den Laptop, die Laptoptasche separat vorzeigen oder nochmal durchlaufen lassen. Kein Vergleich zur eher laxen Kontrolle in Kloten vor dem Hinflug – aber was einem sonst auf die Nerven gehen würde, verschafft uns nun ein angenehmes Gefühl von erhöhter Sicherheit.
Kurz nach uns trifft eine auffällige Gruppe ein. Ich kenne sie nicht, aber man sieht auch so, dass es Sängerinnen mit ihrem Manager ("Aufpasser", denke ich) sind: Die Frauen tragen silberne Nylonhosen und weisse Mäntel darüber, der Mann schwarz und einen geschorenen Schädel. Vielleicht kommen sie direkt von einem Auftritt, denn sie sind sehr aufgedreht. Sie sitzen keine Minute still, necken auf Englisch "Ändy", stürmen den Duty-Free-Shop, kommen mit Duftproben an allen Handgelenken wieder raus, Andi muss an allem riechen.
Wir haben anstrengende drei Tag hinter uns, haben an einem "Lernfest" in Berlin eine Strassenumfrage gemacht, Internet-Schnupperkurse geleitet, zwischendurch Meetings gehabt, die Produkte unserer Firma Buchhändlern angeboten und zum Abschluss der deutschen Bundesfamilienministerin unsere Ergebnisse präsentiert. Nun wollen wir vor allem ein wenig Ruhe und setzen uns daher in eine stille Ecke. Um etwa 20.40 Uhr wird der Flug zum Boarding aufgerufen. Andere Fluggäste fallen mir nicht auf.

Boarding
Wir steigen ins Flugzeug ein und werden von der Crew mit einem freundlichen "Grüezi mitenand" begrüsst. Jacqueline mustert den Captain und grinst: "Ah, ein Schwyzer". Er versteht, was sie meint, und lächelt vielsagend zurück. Nachdem auf dem Hinflug mindestens die Hostessen multikulti waren, bin auch ich insgeheim froh, nur Schweizer zu sehen; aber da der Wettstreit Schweiz-Deutschland ist so alt wie unsere Beziehung, kann ich mir die sarkastische Bemerkung: "Na, dann kann uns ja nichts mehr passieren" nicht verkneifen.
Wir haben in der Zweierreihe links die Plätze 11A und 11B. Direkt vor uns auf 10A sitzt Andi. Die drei Mädchen sitzen erstaunlicherweise nicht neben ihm, sondern etwa fünf Reihen weiter vorn. Wir quetschen uns auf unsere Plätze, Jacqueline wie immer ans Fenster, ich an den Gang, und schlagen "Spiegel" und "NZZ" auf. Hinter uns sitzen zwei Deutsche, ich bekomme Gesprächsfetzen mit wie "Damals habe ich noch Frühstücksradio gemacht", dann fragen sie auf Englisch eine auf der anderen Seite sitzende Amerikanerin: "So why didn't they book you on Business Class?" Sie antwortet: "I asked them to, but something got mixed up." Noch mehr Showbusiness, denke ich, und drehe mich nach der Frau um. Sie hat eine schwarze Mütze tief heruntergezogen und sieht aus, wie ein Promi, der nicht erkannt werden will. Ich kann ihr Gesicht erkennen, habe sie aber noch nie gesehen.
Plötzlich stürmen die drei Mädels von vorn herüber. "Andi, Andi, we have asked, we can sit next to you.", ruft die Dunkelhäutige. Sie setzt sich neben ihn auf 10B, die anderen beiden auf 9A und 9B. Sofort wird Andi wieder geherzt und belagert, und die drei scheinen die Aufmerksamkeit aller genauso zu geniessen wie die Tatsache, dass er sich in lächelnd sein Schicksal fügt.
Wenn sie in Stimmung ist, kann auch Jacqueline ein ganzes Flugzeug unterhalten, aber heute wollen wir es lieber etwas ruhiger. Ich schaue mich um, hinten rechts ist alles leer, und es sind erst noch Dreierreihen. Wir packen unsere Sachen zügeln etwa fünf Reihen weiter nach hinten und setzen uns vermutlich auf die Plätze 16D und 16E. Pro forma frage ich noch eine Hostess, sie sagt: "Kein Problem".

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An der Stelle ist bereits erklärt, wie die Passionsfrucht (die Girlie Band hiess "Passion Fruits") mein Leben rettete: In Reihe 11 wären wir ziemlich sicher tot gewesen. Von den Passion Fruits kamen die beiden auf 9A und 9B ums Leben; Debby, die sich neben Andy auf 10B gesetzt hatte, überlebte wie er mit schweren Verbrennungen.

Der Absturzteil ist wie gesagt im Magazin «Facts» erschienen unter der verkürzten Überschrift «Gerade abgestürzt» (http://www.facts.ch/facts/factsArtikel?artikelid=144671&rubrikid=780) .

Das mit dem "Schwyzer" Piloten muss man vielleicht in Deutschland noch erklären: Im Januar 2000 ist schon mal eine Crossair-Maschine abgestürzt, und die Piloten kamen beide aus Osteuropa, aber nicht aus demselben Land; damals wurde spekuliert, ob eventuell Verständigungsprobleme im Cockpit die Ursache des Unfalls waren.

Und fürs Protokoll speziell in diesem Forum: Die Frau mit der schwarzen Mütze war die Sängerin Melanie Thornton, die ich aber ebenfalls nicht kannte, auch wenn man ihren Song "I love how you love me" oft im Radio hörte. Auch sie starb.

So, wenn jemanden die Ernsthaftigkeit des Themas bedrückt, Beschwerden bitte an Kathrin Passig, die mit dem Haar in der Unterhose (habe sie in Berlin getroffen, mich aber nicht getraut nachzufragen).

Gruss, Peter

honz
04.12.2001, 23:23
Ach du große Scheisse!

Hogenkamp, wenn sie wirklilich DER Peter Hogenkamp sind, dann würde ich jetzt angangen mir wirklich Gedanken machen. Halten sie durch, da spielt irgendjemand ein ganz übles spiel mit Ihnen, wir holen sie da raus!

rron
05.12.2001, 03:18
honz, wenn dieses Forum einmal eine Geschichte exklusiver als Blitz bekommt, ist das aber noch kein Grund zu delirieren.

Angelika Maisch
05.12.2001, 03:59
Peter Hogenkamp, ich möchte gerne die Fragen stellen, die man sonst in den Medien zu hören bekommt und die mich dort immer auf das unerträglichste belästigen. Wie ist einem da, wenn man abstürzt? und wie ist dir nun damit? Nein, die Ernsthaftigkeit belästigt nicht. Und: ich bin auch nicht sensationsgeil. Aber es interessiert mich brennend. Ein mir nahestehender Mensch stürzte vor zwei Jahren auch ab. Aber der kann nichts mehr erzählen.

Pretextat Tach
05.12.2001, 04:37
Ihren Wunsch nach dem Handy kann ich sehr gut nachvollziehen (siehe Lebensgefahrforum).

Ansonsten fehlen mir die Worte. Willkommen zurück.

DonDahlmann
05.12.2001, 04:53
Sprachloses Entsetzen. Gepaart mit den besten Wünschen zur Rettung.

ellroy
05.12.2001, 11:48
Unglaubliche Geschichte...welcome...ich habe Sie auch in Blitz gesehen. War angenehm überrascht von Ihren ruhig-behutsamen Schilderungen.Bleiben Sie uns erhalten!

DerCaptain
05.12.2001, 12:32
Jacqueline mustert den Captain und grinst: "Ah, ein Schwyzer".


Dies entspricht nicht der Wahrheit.

© DerCaptain

Die Wucht
05.12.2001, 12:39
Auch ich möchte Sie auf's herzlichste willkommen heißen und schließe mich Angelika Maischs Frage an. Hatten Sie sowas wie den "Film des eigenen Lebens", wie man ihn in Filmen sieht? Haben Sie nun einen neuen Geburtstag?

Bleiben Sie, berichten Sie und lassen Sie sich mal auch mal in den heiteren Strängen blicken. Ich freu mich schon mal.

Murmel
05.12.2001, 14:34
Den Bericht finde ich an sich schon sensationell, obwohl ich Angelika Maischs Verlangen nach Details zum Absturz auch plagt. Sind Sie nur Ihren Instinkten gefolgt? Wohin sie Sie gefallen, nachdem Sie den Gurt gelöst hatten? Vermtulich können Sie jedoch diese Fragen nach der Interviewwelle der letzten Wochen nicht mehr hören.

P.S.: Irgendwie will mir der Ausdruck "one hit wonder" nicht aus dem Kopf gehen, da er in diesem Fall so viele Bedeutungen hat. Das ist so bei mir, ich bin nämlich kaputt.

Ignaz Wrobel
05.12.2001, 17:26
Mir scheint, es ging zu schnell für die von Angelika angefragten Empfindungen, kann das sein? Ich erlebte einmal vergleichbares bei einem Autounfall. Vielen Dank, Peter Hogenkamp, für diesen spannenden und auch durch die links sehr gut dokumentierten Beitrag! Die Beschreibung der Sängerinnnen und ihres Managers hat ja durchaus heitere Züge, aber es wirkt nicht unpassend oder respektlos.

Andrea Maria
08.12.2001, 10:59
Herr Hogenkamp, bitte stellen Sie diese schöne Geschichte doch ins Lebensgefahrforum!

Murmel
08.12.2001, 11:41
Andrea geht Geschichten jagen... Vielleicht ist es aber besser, wnn Du einen Sammelstrang für falsch veröffentlichte Geschichten aufmachst und dort Erlebnisse wie dieses reinkopierst.
Ach, schau mal in Angelika Maisch's Stube, da findet sich bestimmt auch was.

Peter Hogenkamp
12.12.2001, 03:31
Ach nein, zu früh ist es schon lange nicht mehr, um darüber zu reden. (Auch hatte ich vor nun schon fast einer Woche schon mal eine längliche Antwort verfasst, aber weil ich mit einem ungewohnten Laptop arbeite, drücke ich manchmal ungewollte Tastenkombinationen, und die letzte Kombination in der letzten Woche war Alt-CursorLeft, und die machte alles weg, und dann bin ich immer zu genervt, alles gleich nochmal einzutippen.)

Sowieso wollten Funk und Fernsehen und Presse ja auch schon am nächsten Tag alles ganz genau wissen, und dann eine Woche lang jeden Tag, und es gibt kaum eine Frage, die nicht in jener Woche schon gestellt worden wäre. "Wie fühlt man sich?", ist natürlich ein Klassiker (nicht zu verwechseln mit einer dummen Frage). "Werden Sie wieder fliegen?" ist der andere.

Ich habe wenig gefühlt. Kaum Gedanken wie "Oh, ich sterbe", schon gar kein Film des eigenen Lebens. Mehr ein "Oh Scheisse, jetzt bloss gut festhalten", als es anfing zu rütteln. Festhalten wie in der Achterbahn und warten, bis es vorbei ist. Was denkt man in der Achterbahn oder in sonstigen Rauf-Runter-Karussells? Ich auch nicht viel.

Das besondere an diesem Absturz war ja, dass wir beim ersten Aufsetzen alle (die beiden anderen Überlebenden, mit denen ich Kontakt hatte, jedenfalls genauso) dachten, das sei nun die Landung, eine harte zwar, aber auf der Landebahn -- folglich gab es keinerlei Anlass, vorher in der Luft in Panik zu geraten. Und dann ging alles sehr schnell. Rumpel, rumpel, immer heftiger, Wellen laufen durch das Flugzeug, und dann schaute ich aus dem Fenster und sah die Tragfläche explodieren. In dem Moment dachte ich natürlich schon: "Feuer im Flugzeug, jetzt wird es ernst." Aber ich fand mich recht abgeklärt, und ich meine, ich hätte sogar, als es zum Stillstand kam, bewusst gedacht: "Jetzt bloss nicht in Panik geraten, das wäre ganz schlecht." Dass ich in Wirklichkeit gar nicht mehr so logisch denken konnte, wie ich dachte, habe ich in dem Facts-Artikel beschrieben: Nachdem ich zu meiner Überraschung nach dem Losschnallen quer durch die Kabine geflogen war (die Passagierkabine lag auf der Seite, wir hingen oben) und mir unten heftig den Kopf angestossen hatte, fand ich es sehr schlau und überlegt, zu Jacqueline hochzurufen: "Schnall Dich nicht los, sonst fällst Du auch." In Wirklichkeit mussten wir ja nur schnell raus, und zum Glück flog sie auch schon, während ich noch rief.

Danach fehlen mir ein paar Momente, ich möchte gar nicht wissen wieso, und als nächstes erinnere ich mich an den Wald, und da denkt man auch nach wenigen Minuten schon wieder erschreckend profane Dinge: "Was war eigentlich alles in der Laptop-Tasche? Hatte ich den Palm dabei? Ja, hatte ich. Und wo ist der Backup? Auf dem Laptop. Sehr schlau." Sofort schämte ich mich etwas, dass ich mir solche Gedanken mache, aber Jacqueline sagte auch nur Sekunden später: "Ist jetzt das Video mit der Ministerin weg?" (wir hatten in Berlin eine Veranstaltung mit der Familienministerin Christine Bergmann gemacht). Der Alltag holt einen schon an dieser Stelle wieder ein, und so geht es weiter. Tiefschürfende und nicht zu beantwortende Fragen wie wie "Warum ich und nicht die anderen?" wechseln sich ab mit "Mist, ich hatte noch drei saubere und gebügelte Hemden im Koffer."

Kathrin Passig
12.12.2001, 04:09
Genau so stell ich mir das Scheißsterben vor, genau so. Es gibt einen schönen Bericht von Hermann Buhl (einem Bergsteiger) darüber, wie er kopfüber eine Felswand hinunterstürzt und währenddessen nur einen Gedanken hat: "Wenn mir nur das Taschenmesser nicht aus dem Hosensack fällt!" Nachzulesen ist das in "Achttausend drüber und drunter", einem prima Buch, das ich leider vor zehn Jahren Manfred Paulowitz geliehen und nie zurückbekommen habe. Manfred, wenn du deinen Namen googelst und auf diesen Beitrag stößt: Gib es wieder her. Meine Adresse lässt sich bei der teleauskunft (http://www.teleauskunft.de/) leicht herausfinden. Andernfalls verspreche ich, dereinst bei meinem Tode anstatt hehrer Überlegungen einzig diesen banalen Gedanken zu hegen: "Manfred, die Sau. Jetzt kann er das Buch auch behalten!"

Lenin
12.12.2001, 04:27
"Mist, ich hatte noch drei saubere und gebügelte Hemden im Koffer." wäre natürlich auch ein möglicher Titel Ihrer Geschichte gewesen.

Gab es denn keine Verletzte zu bergen? Sie schreiben, dass sie das Weite gesucht haben, weg von dem brennenden Wrack, es "ist der einzige Orientierungspunkt, dorthin will man nicht zurück; sonst sieht man ringsum nur Wald. Nach wenigen Minuten Ratlosigkeit sehe ich links von uns ein Blaulicht." Verspürten sie keinen Widerstreit zwischen Angst und Wunsch zur Nothilfe in sich, überlegten sie nicht, zu schauen, ob sie anderen Verletzten helfen könnten?

Ich war einmal in einer Situation, in der ein Mensch in seinem Auto verbrannte, ein zweiter wurde schwer verletzt. Ich frage mich heute - drei Jahre später - noch, ob ich, nachdem das Auto sich in einen Feuerball verwandelt hatte, den eingeklemmten Fahrer irgendwie (aber wie?) hätte retten können. Ich konnte ihn aus wenigen Metern Entfernung wimmern hören. Sehen konnte ich ihn nicht. Schlimm war es, in diesem Moment zur Untätigkeit verurteilt zu sein. Erst da merkte ich, dass ich weiche Knie hatte. Ich hatte noch nicht einmal mein eigenes Leben zu retten, sondern stand einfach nach der Bremsung meines gemieteten Umzugwagens als erster an der Unfallstelle. Da es eine Berliner Stadtautobahn war, standen dort nach ein paar Minuten Hunderte und alle telefonierten. Aber keiner hatte einen Feuerlöscher, wie eine Rufkette ergab. Immerhin konnten wir den herausgeschleuderten Fahrer weg vom brennenden Wrack schleifen. Der Beifahrer verbrannte vor unseren Ohren, zu sehen war er wegen des starken Feuers nicht. Ich trat auf eine Kassette und hob sie auf. Zu Hause hörte ich die Musik an, sie hörte sich türkisch an. Es war mein erster Tag in Berlin.

(Bitte nicht als Vorwurf missverstehen.)

Lenin
21.12.2001, 19:54
Herr Hogenkamp? Sind Sie noch da?
horcht dem Hall seiner Stimme hinterher.

Peter Hogenkamp
03.01.2002, 02:47
Bin noch da und nicht etwa abgezogen, weil ich die Frage als Vorwurf missverstanden hatte. Hatte nur vor Weihnachten viel um die Ohren, weil es die geschäftliche Absturzpause aufzuholen galt, und über und nach Weihnachten habe ich den Computer die meiste Zeit einfach ausgeschaltet gelassen (war sicher seit zehn Jahren nicht mehr so selten online), weil es mich vor den 200 unbeantworteten Mails grauste, die ich seit dem Absturz vor mir herschiebe. Und dann habe ich auch noch den neuen Laptop, und auf dem hatte ich mein privates Mailkonto noch gar nicht eingerichtet, so dass ich auch die Benachrichtigungen über neue Postings nicht bekam -- etc., auch egal. Jedenfalls bin ich noch da und jetzt auch wieder erreichbar.

Zunächst zur Berliner Autobahngeschichte: An die habe ich über in den letzten Wochen nicht selten gedacht. Nach unserem Absturz waren wir bei einem Psychologen (oder erwähnte ich das schon? irgendwann habe ich es mal irgendwo erwähnt, und da schrieb jemand in einer Antwort was von "Ihr Psychologe", und das klang dann doch etwas komisch, denn ich fand, es sei nicht mein Psychologe, sondern der der Crossair, denn ich war ja nur einmal da), und mit dem haben wir unter anderem darüber gesprochen, dass wir es merkwürdig finden, dass unsere Umgebung viel mehr traumatisiert zu sein scheint als wir. Alle möglichen Leute haben Alpträume: Zeugen, die als erste an der Absturzstelle waren, unsere Verwandten, Freunde von mir -- wir dagegen (bisher) gar nicht. Der Psychologe meinte, das sei gar nicht ungewöhnlich, Zeugen seien oft stark traumatisiert, und die Gaffer an Unfallstellen (damit sind jetzt nicht Sie gemeint, Lenin) machten sich keinen Begriff, welcher Gefahr für ihre Psyche sie sich aussetzten. Das kam mir immer wieder in den Sinn, wenn ich an Ihren Bericht dachte. Vor allem das Wort "wimmern" war mir immer präsent. Ich habe überlegt, wie lange jemand wohl wimmert, wenn er verbrennt, denn damit ist natürlich der Link zu unserem Unfall wieder da: Wie lange hätten wir wohl gewimmert, wenn wir nicht rausgekommen wären. Ich weiss es nicht. Den Angehörigen haben wir erzählt, es war bestimmt alles eine Sache von Sekunden, aber das können wir nur sicher sagen für die Zeit vor dem Absturz (denn es gab keinerlei Vorwarnung, also konnte niemand in der Luft Angst haben). Aber was danach ist, können wir auch nur vermuten. Mit anderen Worten, ich glaube, ich kann nachvollziehen, warum Sie drei Jahre später diesen Unfall noch nicht vergessen können.

Zur eigentlichen Frage: Gab es jemanden zu retten? Ich glaube nicht, aber selbst wenn, ich glaube nicht, dass ich es gemerkt hätte.

Ich habe natürlich selbst darüber nachgedacht, und die Fakten sprechen für uns: Hinter uns haben alle überlebt -- und direkt vor uns war das Feuer. Also war hinter uns war vermutlich niemand mehr, weil sich alle schon selbst befreit hatten. Aber ich kann auch nur vermuten, denn genau in diesen Sekunden des Rauskletterns habe ich ja meinen "Filmriss", haben wir ihn komischerweise alle drei (die Überlebenden, mit denen ich bisher Kontakt hatte, mich eingeschlossen).

Zwei Wochen nach dem Absturz erschien im Schweizer "Tagesanzeiger" ein Artikel "Immer wieder die Bilder der Flammen" , in dem die überlebenden Stewardess Sandra Bosshart ihre Erinnerungen beschreibt.

[Leider kann man den Artikel wegen einer doofen Session-ID nicht verlinken. Ich hänge ihn als nächsten Beitrag an -- und es wäre für den Gedankengang sinnvoll, ihn jetzt zu lesen. Die "drei Passagiere", auf die sie "etwa 50 Meter vom Wrack entfernt stösst", sind übrigens Jacqueline, ich und kein Passagier, sondern ihre überlebende Kollegin.]

Die Erinnerungen von Sandra sind für mich bemerkenswert -- wegen der Abweichungen. Das mit dem Rütteln und der Achterbahn habe ich noch genauso empfunden. Aber: Dann ist es plötzlich totenstill? Dann sackt die Maschine ab? Komisch, denn beim Rütteln waren wir ja schon in den Bäumen, und danach war es wahrscheinlich nie mehr totenstill, sondern das Feuer brach schon aus, als das Flugzeug sich noch bewegte, und dann schrieen vorn die Menschen. Aber am eindrücklichsten finde ich, dass für sie "die Hitze unerträglich wird". Ich habe überhaupt keine Hitze gespürt, Jacqueline auch nicht, obwohl auch sie sagt, die Feuerwand war direkt vor uns. Aber hier dürfte mich meine Erinnerung im Stich lassen, denn als ich noch brav zum Friseur ging, wie man das halt vor Weihnachten macht, sagte mir die Friseurin, meine Haarspitzen seien versengt. Diese beiläufige Bemerkung katapultierte mich auf dem Friseurstuhl mit einem Schlag nochmal in die heisse Realität, denn ich hätte geschworen, ich habe keine Hitze gespürt.

Nochmal zum Retten und zur Frage:
"Verspürten sie keinen Widerstreit zwischen Angst und Wunsch zur Nothilfe in sich, überlegten sie nicht, zu schauen, ob sie anderen Verletzten helfen könnten?"
Ich glaube, und der Bericht von Sandra bestätigt mich darin, dass ich niemanden retten konnte, weil es eben vorn lichterloh brannte und ich auf dem Weg nach hinten raus an niemandem vorbei gekommen bin, dem ich hätte helfen können. Ich fürchte aber, dass ich, wenn es anders gewesen wäre, auch niemanden gerettet hätte, weil ich einfach nicht auf die Idee gekommen wäre, sondern wohl wie ein Roboter rausgetaumelt bin. Die vermutlich ungetrübte Erinnerung fängt bei mir, wie wohl auch bei Sandra Bosshart, erst in einiger Entfernung wieder an. Und da war das Flugzeug nur noch eine 5 bis 7 m hohe Feuerwand, und die Frage nach dem Retten stellte sich nicht mehr.

Peter Hogenkamp
03.01.2002, 02:53
Immer wieder die Bilder der Flammen

Flight Attendant Sandra Bosshart hat den Crossair-Absturz überlebt. Nun versucht sie, mit den schrecklichen Bildern fertig zu werden.

Von Stefan Grob

"Ich komme mir vor wie in einem Traum - einem schlechten Traum." Die 25-jährige Zürcherin Sandra Bosshart kann heute noch nicht begreifen, dass sie vor zwei Wochen mit einer Crossair-Maschine abgestürzt ist. "Sass ich wirklich in diesem Flugzeug?", fragt sie sich immer wieder.

Als die junge Frau vor zweieinhalb Jahren eine Freelance-Stelle als Flight Attendant bei der Crossair antrat, ging ein Kindertraum in Erfüllung. Mehrere Hundert Flüge hat sie inzwischen hinter sich, alle verliefen reibungslos. Bis auf Crossair-Flug LX 3597. Er veränderte das Leben der Anglistik-Studentin nachhaltig.

Wie auf der Achterbahn

Am Samstag vor zwei Wochen sitzt die Flight Attendant angeschnallt und gegen die Flugrichtung auf ihrem Notsitz zuhinterst in der aus Berlin-Tegel kommenden Maschine. Die Landung in Kloten steht in wenigen Minuten bevor. Plötzlich beginnt es zu rütteln. Sandra Bosshart kommt sich vor "wie auf einer Achterbahn". Noch weiss sie nicht, was in den nächsten Sekunden passieren wird. Im Flugzeug ist es totenstill. Plötzlich sackt die Maschine ab, die Emergency-Lichter gehen an. Jetzt realisiert Sandra Bosshart: "Wir stürzen ab. Jetzt werden wir sterben." Sie klammert sich am Sitz fest, starrt nach oben an die Decke. Sekunden später zerschellt die Maschine am Boden.

Das Loch im Heck

Jetzt erhebt sich Sandra Bosshart von ihrem Sitz. Als sie sich umdreht, sieht sie drei Meter vor sich eine riesige Flammenwand. Die Hitze wird unerträglich. Weil sie zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht realisiert, dass die Passagierkabine vollkommen zerstört ist, versucht sie die Notausgangstüre zu öffnen, um die Passagiere zu evakuieren. Doch die Türe klemmt. Dann entdeckt sie neben sich ein Loch im Heck, stürzt durch dieses hinaus und steht im Wald. Erst jetzt wird ihr klar, dass sie überlebt hat. "Das war der schönste Moment meines Lebens", erzählt sie. Etwa 50 Meter vom Wrack entfernt stösst sie auf drei Passagiere. Alle starren fassungslos aufs brennende Flugzeug. Dann der Gedanke an die andern. Sandra Bosshart geht zurück und will retten. Doch da explodiert die Maschine mit 24 Passagieren darin. Die Flight Attendant muss sich zurückziehen. In der Dunkelheit kämpft sie sich mit anderen Überlebenden durch Gestrüpp, Dornen und einen Bach. Plötzlich entdeckt die Gruppe Scheinwerferlichter von Rettungsfahrzeugen.

Zur gleichen Zeit sieht Sandras Mutter die Spätausgabe der "Tagesschau" und erfährt vom Crossair-Unglück. Sie weiss nur, dass ihre Tochter an diesem Tag im Dienst der Crossair steht. Schlimme Momente, die Mutter betet. Sekunden später schrillt das Telefon. Sandra ruft aufgeregt in ein Handy, das ihr ein Polizist gegeben hat: "Mami, Mami, wir sind bei Bassersdorf abgestürzt, aber ich lebe, ich lebe!"

Beim Ambulanzposten wird Sandra Bosshart von den Sanitätern erstaunt gemustert. Unversehrt, bis auf zwei Kratzer am Fuss, steht sie in der Crossair-Uniform vor ihnen. Danach wird sie zur Kontrolle ins Triemlispital eingeliefert. Morgens um 3 Uhr wird sie von einem Angehörigen nach Hause gebracht.

Sie schläft bis gegen Mittag durch. Danach sieht sie sich im Fernsehen die Berichterstattung über die Katastrophe an: "Unglaublich, wie konnte das nur passieren?", fragt sie sich immer wieder. Noch gleichentags meldet sich das Care-Team und bietet psychologische Hilfe an. Doch Sandra lehnt ab. Aber sie befolgt den Rat des Care-Teams, über das Erlebte zu sprechen. In den drei folgenden Tagen erzählt sie über 50 Freunden und Bekannten ihre Geschichte. "Das tat gut", sagt sie rückblickend.

Vier Tage nach der Katastrophe reist sie in einen Vorort von Locarno zu ihrer Mutter. Dort überbringen ihr Crossair-Chef André Dosé und Geschäftsleitungsmitglied Björn Näf persönlich Blumen. Den Trauergottesdienst im Basler Münster verfolgt die Flight Attendant im Fernsehen. Für den Gang nach Basel fühlt sie sich zu schwach. Den Angehörigen der zwei verstorbenen Piloten und der ebenfalls ums Leben gekommenen Kollegin schreibt sie und drückt ihre Trauer aus. "Ich wollte das persönlich machen, statt in den Massen. Denn ich und meine Kollegen waren ein wirklich herzliches Team", sagt Sandra Bosshart. Ihre Gedanken sind aber auch bei den Angehörigen der anderen Verstorbenen. Auch mit den Überlebenden, darunter der zweiten, leicht verletzten Flight Attendant, steht sie in Kontakt. Vielleicht werden sie sich alle später wieder einmal begegnen.

Mit den Bildern leben lernen

Die Flight Attendant erholt sich weiterhin im Tessin, wo sie Abstand gewinnen will. Das macht sie mit viel Ruhe, Spaziergängen mit ihrem belgischen Schäfermischling Romy, intensiven Gesprächen mit ihrer Mutter, Angehörigen und Freunden. Immer wieder kommen Sandra die erlebten Bilder hoch. Bilder von der Flammenwand, Bilder, wie sie während des Absturzes hilflos im Flugzeug sass, wie sie aus den Trümmern stürzt und schliesslich von den Rettern gefunden wird. "Ich schaue mir diese Bilder im Geist bewusst an. Ich will sie dahingehend verarbeiten, dass sie mir nicht mehr weh tun. Ich will sie in mein Leben integrieren." Sandra Bosshart wurde der Anblick von brennenden Passagieren erspart. Ein Umstand, der ihr die Verarbeitung des Erlebten gewiss leichter machen wird.

Immer wieder erkundigt sich das Care-Team bei ihr. Doch auf psychologische Hilfe will sie vorerst verzichten. "Ich brauche sie im Moment nicht", sagt sie. Alpträume hat sie seit dem Absturz keine. Hingegen träumt sie seit der Katastrophe vermehrt vom Fliegen hoch über den Wolken. "Es sind ganz schöne Träume, in denen überhaupt nichts Erschreckendes vorkommt."

Auch Giftgas-Anschlag überlebt

Für Sandra Bosshart ist bereits jetzt klar, dass sie wieder in ein Flugzeug steigen wird - vorerst privat. Sie will noch vieles auf der Welt entdecken. "Ich habe keine Angst." Ihren Job als Flight Attendant wieder aufzunehmen, schliesst sie nicht aus. Doch momentan konzentriert sie sich auf ihr Studium und bereitet sich auf die Diplomprüfung fürs höhere Lehramt vor.

Nicht zum ersten Mal hat Sandra Bosshart ein neues Leben geschenkt erhalten. Als 15-Jährige überlebte sie einen Giftgas-Anschlag in einer Metro-Station in Toronto unverletzt. Schon mehrmals stürzte sie vom Pferd und verletzte sich schwer. Ihre Mutter sagt: "Sandra ist stark geworden durch das, was sie schon erlebt hat." Und ihre Tochter fügt an: "Für mich ist nichts mehr selbstverständlich. Ich geniesse das Leben intensiver. Ich bin dankbar, wenn ich jeden Morgen aufwache und leben darf."

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[Und hier steht noch, dass das hier nicht erlaubt ist. Sollen sie ihr Zeug halt brauchbar zugänglich machen.]

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Pretextat Tach
03.01.2002, 03:25
Ich caradiere, weil Herr Hogenkamp mich ignoriert. Den letzten Beitrag in einem Strang darf man doch löschen, nicht wahr? Da hat ja noch keiner darauf Bezug genommen.

Herr Hogenkamp muss unbedingt hierbleiben.

Peter Hogenkamp
03.01.2002, 20:37
Originally posted by Pretextat Tach
Ich caradiere, weil Herr Hogenkamp mich ignoriert. Den letzten Beitrag in einem Strang darf man doch löschen, nicht wahr? Da hat ja noch keiner darauf Bezug genommen.
Was heisst hier ignorieren? Um halb vier morgens darf man doch Beiträge lesen und nicht gleich antworten, nicht wahr?

Ich hatte mir schon eine Antwort ausgedacht. Mein Unterbewusstsein hat den ganzen Tag mächtig daran gearbeitet und wäre jetzt bereit gewesen, den fertigen Text ans Tippzentrum zu übergeben. Wo soll es jetzt damit hin?

honz
03.01.2002, 21:31
Bittae sofort in ihren ureigensten Walter Kempowskistrang damit, auch dort warten einige ungeklärte Fragen die dringendst nicht ignoriert werden dürfen.

Edding Kaiser
24.11.2002, 16:12
Jahrestag.

klesk
24.11.2002, 18:57
danke fürs wuchten, tobler. hatte ich sowieso vor, denn ich musste ganz doll an hogenkamps geschichte denken, als ich am donnerstag auf dem flieger von palma de mallorca nach tegel drei reihen hinter dem da (http://www.berlin030.de/faces/dee.shtml) zu sitzen kam. die no angels waren allerdings nicht dabei, was mich etwas beruhigte.

Peter Hogenkamp
25.11.2002, 09:38
Jahrestag vorbei.

14 Stunden Gedenken am Stück: Individuelle Begehung der Absturzstelle, Apéro, Mittagessen, Gedenkfeier mit Gedenksteineinweihung an der Absturzstelle, Gedenkgottesdienste in Kirche/Synagoge, Apéro, Abendessen, Gedenkminute an der Absturzstelle um 22.04 Uhr. Zwischendurch immer wieder die Frage von "Caregivern": "Da ist noch eine Familie, die einige Fragen an Sie hat, würden Sie kurz mit denen reden?". 150 Teilnehmende.

Klingt wie ein aufgezwungener Gefühlsmarathon, war aber sehr schön, soweit man davon reden kann. Habe letzte Woche auf die Frage eines Journalisten gesagt, dass die Opfer (Hinterbliebene wie Überlebende) nicht etwa zu einer verschworenen Gemeinschaft oder sowas geworden wären. Das stimmt wohl auch, aber gestern waren wir es.

DonDahlmann
28.11.2002, 01:16
Ein Artikel über den Absturz aus der Berliner Zeitung (http://www.berlinonline.de/suche/.bin/mark.cgi/aktuelles/berliner_zeitung/seite_3/.html/196604.html)

Peter Hogenkamp
28.11.2002, 10:43
Habe ich nur gemacht, weil ich die Autorin kenne. Sonst habe ich den meisten abgesagt, vor allem allen vom Fernsehen (vier Anfragen, drei davon gestern nach dem Artikel in der Berliner Zeitung; nur Herr honz war schon vorher von selbst drauf gekommen).

honz
28.11.2002, 13:20
Na ja, "von selbst drauf kommen" ist vielleicht nicht die richtige Formulierung, es musste dazu leider erst die Fokker in Luxemburg abstürzen.

Ich hatte auch nicht ernsthaft damicht gerechnet, Peter Hogenkamp zu einem Interview vor der Kamera bewegen zu können, dachte mir aber, besser ich ruf an als z.B, einer von den hauptamtlichen Witwensachüttlern, und ich war dann auch ganz froh, daß ich auf die Überlebenden angesetzt wurde und mit einem lebendigen Hogenkamp sprechen konnte.

Dafür werde ich beim nächsten Absturz wieder die Toten machen. Und der kommt bestimmt. Das ist ist so wie mit den Tankerunglücken.

Sehr interessant finde ich auch den letzten Absatz in dem Artikel, ich kopier ihn mal hier herein.

"Er hat auch aufgehört, Lotto zu spielen. "Irgendwo hab ich gelesen, dass es wahrscheinlicher ist, mit dem Flugzeug abzustürzen, als im Lotto zu gewinnen." Hogenkamp hat daraus seine eigene Theorie entwickelt. "Wenn ich Lotto spiele, hoffe ich natürlich, dass ich gewinne - also der unwahrscheinliche Fall eintritt. Wenn ich fliege, fürchte ich mich vor einem Unglück, das eigentlich viel wahrscheinlicher ist." Peter Hogenkamp hat sich jetzt gegen den Lottogewinn entschieden und für sicheres Fliegen. "Ich habe ein Geschäft mit mir gemacht", sagt er. "Ich hoffe, dass die Rechnung aufgeht."

Peter Hogenkamp
28.11.2002, 14:02
Ja, mein verquerer Gedankengang ist ganz gut wieder gegeben, nur der Anfang ist etwas vereinfacht.

Gelesen hatte ich, bei flugzeugabsturz.de oder so: Auf eine Million Starts und Landungen kommen 0.7 Unfälle mit Toten. Und beim Lotto, das weiss man ja noch aus der Schule, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Sechser 1 : 13.8 Millionen bzw. für den mit Superzahl ein Zehntel dessen.

So sass ich also im August im Flugzeug nach Berlin (erster Linienflug, gleiches Modell wie im November), war ganz sicher, dass es jeden Moment crashen würde, versuchte mir aber einzureden, dass das ja sooo unwahrscheinlich ist -- und da kam mir plötzlich der Vergleich mit dem Lotto in den Sinn. Und da habe ich gedacht: Wenn ich das hier überlebe, spiele ich nie mehr Lotto. Ziemlich schwachsinnig, finde ich immer noch, aber was soll man sonst machen, um das Schicksal zu bestechen?

Ist nur ein bisschen doof, dass ich es nun doch mit Arbeiten schaffen muss, Lottogewinn war immer so eine schöne vage Option.

Peter Hogenkamp
03.02.2004, 17:58
Hab's wieder getan. Mist. Wieso lasse ich mich bloss immer wieder vor die Kamera zerren? Die haben einfach Stehvermögen, das ist es. Rufen noch ein sechstes Mal an, wenn man fünfmal Nein gesagt hat.

Am Telefon denkt man noch, man behält das Heft in der Hand. Aber sobald sie die Kamera auf einen halten, ist man der Idiot. Und muss an der Absturzstelle zwischen den Takes Dialoge durchleben wie:

Fernsehmann: "Herr Hogenkamp, Sie formulieren sehr schön und sehr detailliert - aber jetzt vielleicht das ganze noch mal etwas kürzer?"
Ich: "OK. Welchen Teil?"
Fernsehmann: "Alles, ab dem Zeitpunkt, als Sie sich in Berlin umsetzen."
Ich (ungläubig): "... und was alles?"
Fernsehmann: "Wie es passiert ist, was Sie empfunden haben, wie Sie rausgekommen sind, was Sie dann gemacht haben."
Ich: "Die ganze Geschichte in 30 Sekunden."
Fernsehmann: "Genau."

Vermutlich 10 Sekunden, die Essenz aus diesen 30, heute Abend in "10 vor 10" im Schweizer Fernsehen.

Lenin
03.02.2004, 19:18
Pilotenfehler, meldeten die Agenturen heute als Ergebnis des schweizer Untersuchungsberichts. Der Viergestreifte war ein Airline-bekannter Wackelkandidat, der 23 Menschen den Tod sevierte, neun Menschen überlebten, einer schreibt hier über mir.
Hallo, Mensch mit dem zweiten Leben!

Oder 24?

Peter Hogenkamp
03.02.2004, 19:45
24:9

oha
04.02.2004, 22:04
Ho-ge!

hanswasheiri
07.02.2004, 20:59
hoge am fernseher zu sehen ist ja fast einfacher als in echt oder gar im forum, aber man muss sagen, der mann macht da (im fernsehen) eine sehr gute figur, ich wurde auch ihn sechs mal anrufen.

bettyford
02.03.2004, 00:21
fump

Peter Hogenkamp
02.03.2004, 10:39
Weiss nicht, was fump ist, aber fump hat mich mal wieder hergeführt, und wo ich schon mal hier bin, was selten ist, wie Hans richtig anmerkt, kann ich gerade noch das verlinken, falls es jemand ganz genau wissen will:

Untersuchungsbericht des Büros für Flugunfalluntersuchungen
über den Unfall
des Flugzeuges AVRO 146-RJ100, HB-IXM,
betrieben durch Crossair unter Flugnummer CRX 3597,
vom 24. November 2001
bei Bassersdorf/ZH
(http://www.bfu.admin.ch/common/pdf/u1793_d)
Die Vorstellung des Berichts sowie die Tatsache, dass wir das Ding als Betroffene sage und schreibe fünf Tage vor der Schweizer Öffentlichkeit haben durften, hat noch mal dazu geführt, dass die halbe Schweizer Medienwelt uns ihre Aufwartung machte, siehe oben. Damit ist es aber nun auch endgültig gut, denke ich. Wobei es vielleicht noch eine Anklage gegen den damaligen Crossair- und heutigen SWISS-Chef gibt. Sollte es zum Prozess kommen, kommen sie vielleicht alle noch mal an. Der Thread hier hat ja kein Ablaufdatum, also vielleicht bis in drei Jahren.

ellroy
02.03.2004, 11:05
Vielen Dank, Herr Hogenkamp, für diese aufschlußrecihen Infromationen. Bleiben Sie dem Forum erhalten!

Stimmen
02.03.2004, 20:26
Ich fasse mal zusammen: Der ganze Untersuchungsbericht eine Orgie der Nüchternheit, dann auf Seite 16 erste Irritation, Flugzeug im Sinkflug: "Die Grundlage seiner Besprechung bildete die Erwartung eines Instrumentenanfluges auf Piste 14 (ILS 14) in Zürich-Kloten nach Standardverfahren. Während dieses approach briefing wies der Copilot um 20:43:44 UTC auf eine zu hohe Geschwindigkeit hin: 'Mer chömed glaub mit de speed ächli in rote Bereich ine'. Der Kommandant antwortete: 'Ja, ja, ja, uuh, ja, isch mer devo gloffe, sorry. Mues en echli zrugg näh... so, das isch... zwenig zrugg gschruubet, hä'." Da ist aber noch nichts Grundsätzliches falsch gemacht. Fünf Minuten später tätigt der Kommandant Äußerungen, die die Fußnote des Berichts so umschreibt: "Ausdrücke, die eine spontane persönliche Bewertung der gegenwärtigen Situation darstellen sowie persönliche Äußerungen ohne direkten Bezug zum Unfallgeschehen werden mit ***** gekennzeichnet." Konkret hört sich das so an: "Ou Sch*****, das äno, guet, ok." Es kommt zu kleineren Mißverständnissen im Funkverkehr, bis um 21:06 sich die synthetische Stimme des ground proximity warning systems GPWS mit dem Hinweis meldet, daß die Höhe von 500 Fuß über Grund erreicht sei. Kommandant: "Sch*****, zwee Meile hät er gseit, gseht er d'Pischte". Sie kontrollieren den Höhenmesser, aber nicht die Entfernung zur Piste. Zwölf Sekunden später versucht der Pilot durchzustarten, der Autopilot wird abgeschaltet, der Schub erhöht. Als nächstes zeichnet der CVR erste Kollisionsgeräusche auf und die Aufzeichnung bricht ab. Die letzten Worte des Piloten waren: "... go around mache [machen]?"

Ein in seiner Überraschungslosigkeit kleiner, trauriger Satz über die letzten Sekunden: "Die Sinkrate verringerte sich von ursprünglich 1200 ft/min auf annähernd 0 ft/min."

Schön auch der Abschnitt über das psychologisch schlechte Zusammenwirken des sehr erfahrenen, in Zusammenhang mit komplexen Systemen überforderten Piloten und des jungen, harmoniesüchtigen Copiloten (Abschnitt 2.2.4).

Mittels Flugsimulator kommt der Bericht zu dem Ergebnis, daß die Kollision vermutlich hätte vermieden werden können, wenn der Pilot, statt: "... go around mache?" zu fragen in dieser Sekunde einen go around gemacht hätte.

Stimmen
02.03.2004, 20:48
"Die Rettungs- und Löschmaßnahmen waren zeitgerecht und zweckmäßig. Der Unfall war nur zufällig überlebbar."

Der Admiral
02.03.2004, 22:28
Eben dachte ich, "Moderne Lyrik" klingt in diesem Zusammenhang sehr kalt, es ist wohl eher "Konkrete Poesie". Also, die letzten 2 Sätze. Eigentlich alles.

insultBert
03.03.2004, 03:33
.

Klaus Caesar
04.07.2007, 21:10
Eben gesehen, wie Peter Hogenkamp die Geschichte nochmal erzählt (http://www.willkommen-tv.at/player.php?fid=F5P4), deshalb: .

Peter Hogenkamp
04.07.2007, 23:38
Eben gesehen, wie Peter Hogenkamp die Geschichte nochmal erzählt (http://www.willkommen-tv.at/player.php?fid=F5P4), deshalb: .

Danke für den Link. Ich hatte die Ausstrahlung doch glatt verschlafen, und am letzten Freitag, dem Tag danach, war das Video noch nicht online.

Die Art und Weise, wie das angebliche Live-Interview ablief, war absturzäquivalent absurd. Ich muss nochmal was bloggen darüber. Kann mit Niggemeier (http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wie-ich-mal-im-nachtmagazin-war/) locker mithalten.

Klaus Caesar
05.07.2007, 00:03
Fast drei Jahe lang nichts gepostet, aber dann innert zweieinhalb Stunden auf dem Posten. Sauber.

Doctor Subtilis
24.03.2015, 22:13
Dienstag. Und irgendwie wegen Oleg Bryjak und Maria Radner (Passion Fruits und Melanie Thornton).