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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Fernsehmann XY



Bartholmy
03.12.2001, 01:04
Ich sehe selten Prominente, ich weiß auch nicht, wieso. Heute im Flieger von Stuttgart nach Berlin ... aber das stimmt so gar nicht. Es war im Flughafenbus in stuttgart, einem dieser überbreiten Neoplanbusse, die ich sehr mag, einfach nur, weil sie so breit sind, dass nach sechs Motorradclubrockern ein Herr neben meinem Sitz zu stehen kam und ich dachte "Den kennste doch".
Ich überlegte kurz, ob ich vielleicht schon beruflich mit ihm zu tun gehabt hätte, entschied dann aber, "Nee, mit dem nicht, diese Grinsemaske, das wüsste ich jetzt aber." Das war nicht höflich gedacht, aber zu diesem Zeitpunkt ging es auch noch nicht um Prominenz.

Bei dem Wort "Grinsemaske" fiel mir stante pede (allerdings saß ich ja) ein, woher ich das Gesicht kannte. Es war ein Fernsehmoderator, einer dessen namen ich nicht weiß und nicht wissen will, einer der ein Magazin moderiert das, denke ich, "Frontal 21" heißt. Sowas mit Politik und spitzen Bemerkungen.

Da war mir das Gesicht schon aufgefallen: Ungefähr 40, dunkelblondes, mittellanges Haar, leicht gewellt, eine bunte Brille und dazu ein Blick, halb altklug, halb jung vergreist - eine Art von Wahnsinn, der bei FDP-Politikern und Ehrenvorsitzenden der Jungen Union nicht selten anzutreffen ist. Ich nenne sie, da mir ein kürzeres Wort dafür noch nicht einfiel, die 'Einser-Abi-Einser-Juristen-Kritisch-konservativen-Muttersöhnchen-die-gern-einen-auf-Dandy machen'. Manchmal nenne ich sie auch anders. Aber das trifft es irgendwie auch ganz gut.

Der Rest wird nun etwas nouveau-roman-artig.

Er trug heute einen Anzug, dicke Wolle, grün-braun, durch dünne orangene Streifchen in Quadrate partitioniert, ein rosa Hemd, ein bunt gesprenkeltes Brillengestell mit fast runden Gläsern, einen sandfarbenen Wintertrenchcoat. Er bewegte sich stets sehr langsam, gab den Vielflieger, der Souveränität zeigen und cool sein wollte. Im Flieger wurde die FASZ gelesen.

In Berlin stieg er als letzter aus der Maschine.
Am Gepäckband setzte er sich, während alle wartend standen, hin. Allerdings rutschte ihm dabei sein Kleidersack von der Sitzgelegenheit auf den Fußboden herab, ärgerlich das.

Er holte da dann aber, während er den Sack aufhob, beiläufig irgendwoher einen neongelben Textmarker hervor und begann damit seine FASZ vollzumarkieren. Währenddessen hatte er sein Gesicht gerötet. Ob damit zusammenhing, dass er fortlaufend betont seine Zunge im Mund umherschob und an den Backen damit so Ausstülpungen machte, andauernd eigentlich, mal links mal rechts, ob es da einen Zusammenhang gibt, ich weiß es nicht. Es könnte auch Zigarettenentzug oder eine Entzündung der Mundschleimhaut oder eine Ventilfunktion bei Lässigseinwollenversuchen sein, was weiß ich.

Er linste dabei immer ganz heimlich nach dem Gepäckband, lehnte sich gleichzeitig chalant zurück und kontrollierte, ob auch niemand merke dass er, obwohl ihn nichts tangere, doch am laufenden Band ängstlich nach seinem Rollköfferchen schielte.

Meine Tasche kam jedenfalls eher, und ich ging dann zügig.

That's all folks!

Goodwill
03.12.2001, 13:50
Ich glaube, ich weiß, wer hier so vorzüglich dezent, höflich und mit kaltem Herzen paparazzt wurde: Theo Koll, ehedem London-Korrespondent des ZDF und nun Berufs-Jungspund in Sachen »seriöse Moderation«. Ein Mensch, der theoretisch durchaus als 32-Jähriger durchgehen könnte, praktisch aber über-45-jährig wirkt, weil ihm der Konservatismus aus jedem Knopfloch seiner zahlreichen Zweireiher springt und die Föhnfrisur ein Übriges tut. Früh vergreister Zettdeeffie, wird sicher mal Chefredakteur, Intendant oder pfiffiger Regierungssprecher.

Ignaz Wrobel
03.12.2001, 14:16
Sehr hübsch beschrieben, der Typus! Dazu passt, daß der Name nicht einfallen will. Wieso haben jung vergreiste (oder greise jugendliche) Seriösjournos eigentlich keinen Haarausfall? Werden die Haare permanent nachtransplantiert? Oder wird schon zu Beginn der Karriere in weiser Voraussicht die Perücke "Westerwelle graumeliert" angeschafft?

Christopher Wurmdobler
26.12.2001, 00:16
Originally posted by Ignaz Wrobel
Wieso haben jung vergreiste (oder greise jugendliche) Seriösjournos eigentlich keinen Haarausfall? Werden die Haare permanent nachtransplantiert? Oder wird schon zu Beginn der Karriere in weiser Voraussicht die Perücke "Westerwelle graumeliert" angeschafft?

die sache ist so: beim fernsehen, zumindest ist das beim ZDF so, haben alle männlichen journos ein toupet. das hängt dann immer frisch gebürstet im garderobenspind und wenn es "auf sendung" geht, wirds einfach aufgesetzt. praktisch, ne?