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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : v. Massow, Antoinette & Friends



yellowshark
02.12.2001, 17:31
Dies ist die Abschrift einer Reisebeschreibung meiner Urururgranny väterlicherseits, Antoinette von Massow, geb. von Pirch, vom 26. Oktober 1801.
Das Original fand ich im Familienarchiv unter den hinterlassenen Papieren ihrer Tochter Agnes von Mach, geb. von Massow. Dieselbe hatte auf dem betreffenden Umschlag folgenden Vermerk gemacht:

"Beschreibung der Reise, die meine geliebten Eltern 1801 mit meinem Bruder Hans nach Berlin machten.
Tante Mach begleitete sie; sie reisten mit eigener, vierspänniger Kutsche und hatten Paul und Eva mit, den Diener und die Jungfer; ersterer war 65 Jahre bei dem geliebten Vater.
Dieses mir so unbeschreiblich interessante Schriftchen sollte ich wohl verbrennen. Wer könnte sich später wohl dafür erwärmen?
Feuer ist der sicherste Versteck; könnte ich mich nur dazu entschließen!
Meine Theuren, wann bin ich bei Euch?

Den 10. April 1881
Agnes von Mach, geb. v. Massow."




Inhaltsverzeichnis

Reise von Poganitz in Pommern nach Freienwalde 1 - 5

Erster Aufenthalt in Freienwalde 5 - 7
(Vorstellung bei der Königin - Mutter)

Aufenthalt in Berlin 7 - 11

Aufenthalt in Potsdam 11 - 17

Ball im Schloß 16 - 17

Erste Vorstellung bei den Majestäten 16 - 17

Reise nach Freienwalde 17 - 18

Zweiter Aufenthalt in Freienwalde 18 - 19
(Abschied von der Königin - Mutter)

Rückreise nach Stolp 19 - 21

Rückreise nach Poganitz 21 - 23



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Den 24. August verließen wir das angenehme Poganitz und kamen sehr gut in Stolp an, setzten den lieben Hans Pirch im Kadettenhause ab und fuhren im Hotel zu Paris vor; fanden dort eine zahlreiche Gesellschaft, aus Reisenden bestehend, nahmen mit dieser ein wohlschmeckendes Mittag ein und amüsierten uns prächtig; als Eingang zu diesem Vergnügen machten wir die Bekanntschaft des Kriegsraths Schock, der mit lebhafter Freude unseres lieben Bruders Ferdinand gedachte, nach seinem Wohl sich erkundigte und die herzlichsten Empfehlungen an ihn uns auftrug. Dann wurde die Unterhaltung allgemeiner; die liebe Schwester Dörtchen wurde durch einen Umstand veranlasst, etwas von den freien Manieren der Franzosen zu erzählen, auf deren Leichtigkeit und Gesprächigkeit sie einige satyrische Ausfälle machte, und am Ende erwies es sich, daß die Gesellschaft größtenteils aus dieser Nation bestand, und daß d i e nur gut wegkamen, die gar nichts von der deutschen Sprache verstanden; übrigens hatte dies für die Erzählerin keinen nachteiligen Einfluss, man hörte ihr ferner mit Wohlgefallen zu .

Um 6 Uhr langten wir in Schlawe an, fanden durch Paul vorbereitet, ein wohlarrangiertes Logis und einen gut besetzten Tisch, an dem ich mich aufs Schleunigste hinzusetzen durch den Hunger gezwungen ward und die Fortsetzung bis zum Mittagsquartier lasse, nämlich meiner Erzählung.


Nemitz, den 25. Hier kamen wir bei schönstem Wetter sehr vergnügt und glücklich an; sobald das Mittag eingeleitet ist, schreibe ich zur ferneren Aufzeichnung unserer gestrigen Begebenheiten, unter denen sich eine Bekanntschaft, die wir noch im Negligee machten, vorteilhaft auszeichnete; es erschien ein junger Mann von Adel, dessen Mutter eine alte Bekannte meines Massow war; diese ließ ihn durch ihren Sohn begrüßen.
Als er eintrat, saßen wir gerade beim Abendessen, luden ihn deshalb mit dazu, welches er annahm, und - wie die Folge zeigen wird - viel zu unserem Agrement beitrug. Erst fragte ihn mein Mann, ob er nicht gedient habe oder wenigstens einen Trieb fühle, dem Staat als Militär zu nützen, worauf er versicherte, er habe schon seinen Abschied genommen und zwar sei er

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als Cadett außer Dienst gegangen, wo ich mich des komischen Gedanken nicht erwehren konnte, daß man ihm für diese mühevolle Zeit die Erlaubnis hätte geben können, fernerhin die Uniform zu tragen.
Wir rühmten das niedliche Städtchen Schlawe und adressierten ihm hierüber das Wort, worauf er mit dem lächerlichsten Selbstgefühl erwiderte: "Für jemand, der die Lebhaftigkeit haben will, ist es ein äusserst sehr trauriger Ort, aber für einen, der nach dem Grabe hin will, ist es ein äusserst sehr schöner Ort."
Dies sagte er mit dem Bewußtsein, wie schade er fürs Grab, also auch für Schlawe sei.
Zu einiger Aufmunterung reichten wir ihm saure Gurken zum Braten, welche er nicht nahm und dabei beteuerte, so gerne er sie speise, täte er es doch nie, denn sie blähten ihn entsetzlich.
Die liebe Schwester Dörtchen versicherte ihm hierauf trocken, sie könne sich so nicht überwinden, würde aber bei jeder daraus entstehenden Wirkung seiner gedenken.
Am Ende wünschte er meinem Manne Glück, daß er die Reise mit zwei so lustigen Damen machen könne; nun ging er mit vielen Komplimenten zum Hause hinaus und wir ohne diese ins Bett.
Hier in Nemitz fanden wir eine betrübte Wirtin, denn in der Nacht hatte man ihr eine Kuh gestohlen. Mann und Sohn schwangen sich eben aufs Ross, der lieben flüchtigen nachzuhetzen; wir aber erwarten indess sehnlich eine Schüssel Erdtoffeln und grillierten Putenbraten, welchen Eva präpariert.

Herr Cohn
02.12.2001, 20:28
!

Murmel
02.12.2001, 21:07
.

yellowshark
03.12.2001, 00:42
Cöslin, den 27. des Abends um 7 Uhr.
Wir setzten unsere Reise bis Cöslin vergnügt fort, stiegen in Zanow ab, ließen uns Kaffee machen und wurden von einem Manne, der meist angenehm erzählte, sorgfältig unterhalten. Er war ein Schlesier und zog mir seinem Prinzipal umher, kleine Pferde, Dromedare und Affen zu zeigen. Wie wir hinlänglich gelabt waren, gings den langweiligen Gollenberg hinan, den wir größtenteils zu Fuß erstiegen, sowie den Berg mit der Fahne, von dem wir die See in Augenschein nahmen, welche in einem dichten Nebel wie die Zukunft unserm Blick erschien. Mein geliebter Hans legte hier seinen Namen mit kleinen Stückchen Kieselsteinen; gern hätte ich diesen, für mich höchst angenehmen Platz auf der Retour wieder besucht, allein es war schon ziemlich spät und wir mußten eilen.

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In Cöslin fanden wir die gute Tante, unserer sehnlich harrend, zärtlich und freundlich, wie sie immer ist; den folgenden Mittag machten wir am Regierungsrath Bonin (unserem Herrn Vetter) eine sehr interessante Bekanntschaft.

Hier langten wir ohne Unglücksfälle an, fanden den Gasthof sehr besetzt; unter anderen Fremden befand sich auch der Musikdirektor Sarti aus Petersburg mit seiner ganzen Familie hier. Sie sind geborene Italiener, haben sich mit uns schon vor der Tür, wo wir uns trafen, französisch unterhalten; er ist krank und geht in sein fruchtbares, warmes Vaterland zurück, dort die Übel zu beheben, welche er sich in dem rauhen Klima zugezogen hat. Es ist derselbe, dessen der Poet Kotzebue in dem merkwürdigsten Jahre seines Lebens ruhmvoll gedenkt.

Neugasthof, den 28. August
Hier holten uns die Petersburger ein, und während der Danziger Fuhrmann, der sie bis Berlin bringt, seine Pferde tränkte, unterhielten wir uns mit diesem, dem Scheine nach sehr gutmütigen Menschen; sie baten uns aber, uns in Berlin besuchen zu dürfen, wo sie sich 14 Tage aufhalten wollen.

Rannow, den 28. abends
Hier aßen wir ein prächtiges Abendbrot und werden auf einer Streu schlafen, wo wir herzlich froh sind, daß Geisler nicht von der Parthie ist, denn sonst würde er uns wahrscheinlich auf die Ohren treten, und zwar mit mehr Bequemlichkeit, wie ehemals seiner Dame beim Tanz.

Plate, den 29.
Nachdem wir unsere Toilette etwas in Ordnung gebracht hatten, ließen wir uns bei Grf.v.Osten melden, einem lieben alten Bekannten von mir und Dörtchen; machten die Bekanntschaft seiner angenehmen, artigen Frau und dreier kleiner Mädels. Wieder dringend zu Mittag geladen, schlugen wir es standhaft aus, nahmen aber geräucherten Lachs, Butterbrot, einen großen Teller der schönsten Reine Claudes und ungarischen Wein zu uns; da wurden wir dann mit dem Versprechen entlassen, bei der Retour länger zu weilen.
Nun machten wir noch eine Promenade nach dem alten Schloß, gingen hinauf und durchstreiften alle offenstehenden Zimmer in der Meinung, es sei völlig unbewohnt; als wir eben in das innerste Gemach dringen wollten, hören wir von einem Manne, daß da eine alte Oterstin logiere. Blitzschnell liefen wir zurück - und wahrscheinlich hat sich das Gerücht verbreitet, wir sahen dort einen Geist.

Tiffany Nudeldorf MD
03.12.2001, 01:42
Originally posted by yellowshark
[B] Hier langten wir ohne Unglücksfälle an, fanden den Gasthof sehr besetzt; unter anderen Fremden befand sich auch der Musikdirektor Sarti aus Petersburg mit seiner ganzen Familie hier. Sie sind geborene Italiener, haben sich mit uns schon vor der Tür, wo wir uns trafen, französisch unterhalten; er ist krank und geht in sein fruchtbares, warmes Vaterland zurück, dort die Übel zu beheben, welche er sich in dem rauhen Klima zugezogen hat. Es ist derselbe, dessen der Poet Kotzebue in dem merkwürdigsten Jahre seines Lebens ruhmvoll gedenkt.

Zu den Reiseplänen und der Gesundheit des Giuseppe Sarti folgende Anmerkung:

In 1801, after the death of the emperor, he decided to return to Italy. He broke his journey at Berlin to visit one of his daughters who was married to the queen mother's Kapellmeister, Natale Mussini. He died there [28 july 1802] and was buried in the Hedwigkirche.

[ The New Grove ..., 1980, art. Giuseppe Sarti ]

Sarti u.a. bekannt aus der Begegnung mit Mozart 1784 und Mozarts Zitat/Variation einzelner Themen von Sarti.

yellowshark, Sie haben einen direkten Draht zu Mozart. Nicht schlecht.

yellowshark
03.12.2001, 02:12
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Naugard, den 29. abends.
Wir kommen eben von einer angenehmen Promenade zurück, die wir an dem Ufer eines Sees gemacht haben, während dem die Wirtin das Logis besorgt, Küche und Keller in Bewegung setzt. Dem Major Seelhorst konnte mein Massow seine Aufwartung nicht machen, weil er einer Operation wegen in Stettin war.

Massow, den 30. nachmittags.
Hier in dem sauberen Namensstädtchen kamen wir so früh an, daß wir unsere Toilette machen, und da es eben Sonntag war, in die Kirche gehen konnten. Wir hörten eine höchst mittelmäßige Predigt über den barmherzigen Samariter und gingen hungrig nach unserem Quartier; unterwegs trafen wir den Oberst Schäfer auf dem Markt, der vorher schon durch meinen Mann uns zum Mittag eingeladen und eine abschlägige Antwort erhalten hatte. Die kurze Bekanntschaft dieses angenehmen, freundlichen Mannes, sowie seiner beiden ältesten, schönen Kinder gewährte uns viel Vergnügen.
Wie wir sämtlich zum Essen gingen, bemerkte ich zu meinem größten Staunen, daß der Oberst ohne seine Offiziere abkratzte, und diese in allen Straßen sich verteilten; da hörte ich, daß jeder sein eigenes Töpfchen schrafe und ein trauriges Licht ging mir auf.
Um 6 Uhr kamen wir in Stargard an; unweit der Stadt kamen uns Cousin Wilhelm, Puttkammer, Zitzewitz und Steinäcker zu Pferde entgegen; den Onkel fanden wir sehr gut aussehend, Tante und Cousine zum herzlichen Empfang bereit.
Den Abend machten wir da die Bekanntschaft des Forstmeisters von Kummer und seiner Frau, die die Cousine Marianne Bessels ist; beide hübsche, artige Leute; sowie ein Frl. Amalie von Seydlitz, die wir sehr liebgewannen; den folgenden Tag waren über 40 Personen geladen, wo wir uns nicht so gut gefielen, als am Tag unserer Abreise, da wir das Mittag en famille genossen.

Dopperpant, den 3. September.
Seit dem ersten sind wir hier recht vergnügt, haben gestern an Major Burghagen, einer Frau von Aller (Mutter von 18 Kindern) und einer Frau von Schlegel recht angenehme Bekanntschaft gemacht.

Königsberg, den 4. September.
Der gute Cousin Ferdinand schickte uns bis Pyritz, wo wir um halb zehn Uhr eintrafen. In der lieben Tante ihrem Hause alles bereit und auf uns wartend.

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Kaum wurde unsere glückliche Erscheinung kund, da kamen die alten Bekannten, als nämlich der Post - Commissarius, die Hebamme, 2 Frl. Horns, eine Kinderfrau, der Hauptmann Dumar, die alte gewesene Köchin und die Frau des einen (alten) Bedienten; dies jubelnde Quodlibet hielt uns lange auf, und wir erreichten erst in der Dämmerung Königsberg; etablierten uns in der Krone, die dieses Mal doppelt elegant war, weil unten im Saal alle Offiziere aßen, die des Manövers wegen hier versammelt sind.

Grünberg, den 5.
Hier ist ein Posthaus etabliert, weil die Tour bis Freienwalde zu weit war. Die Straße ist hier äußerst lebhaft, denn in der kurzen Zeit unseres Aufenthaltes haben wir viele schöne Equipagen durchpassieren sehen.

Freienwalde, den 8. September
Glücklich kamen wir hier gegen Abend an und gingen bei heiterem Wetter zweimal über die Oder. Es schickte gleich die Frau von Hill und ließ sich nach Dörtchen erkundigen; auch befahl die theure Königin, den folgenden Abend den Thee bei ihr einzunehmen; es wurde also des morgens erst von allen Seiten komplimentiert; Lakaien und Bediente gingen hin und her, Erkundigungen einzuziehen, wie die Nacht verbracht war. Dann wurde befohlen, Hans sollte präsentiert werden und auch wir vorgestellt werden; mit dem Schlage 6 Uhr gings im feierlichen Zuge nach dem Palais; voraus die liebe Dörtchen, im Bewußtsein des besten Ausganges und gewohnt des schlüpfrigen Weges; hinter ihr her zog ich, das Bild der Demut und Reue; denn ich fühlte ein unbekanntes Herzklopfen, welches nicht bloß von der Blödigkeit erzeugt war, denn so schlägt es nur, wenn es wahrhaft angegriffen wird; neben mir mein Hans, unbefangen und heiter, wie es einem Knaben geziemt, dem die grausen Gefahren und Verführungen fremd sind, wie die Laufbahn, die er betreten soll, deren bloße Vorstellung schon mein Herzblut so schnell fließen machten. Dann folgte mein Massow mit ruhigem Gesicht und gewissen festen Schritten, wie das lebendige Sprichwort: "Fürchte Gott und scheue niemand!"

yellowshark
03.12.2001, 03:37
So betraten wir zuerst das schöne, freundliche Zimmer der Frau von Hill, die bald darauf erschien; sie gefiel uns gleich erstaunend, auch äußerte sie sich so beruhigend über alles, daß wenn ich nur halb so gerührt und halb so dumm gewesen wäre, ich darauf sehr vieles hätte antworten können.

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Jetzt kamen aber bloß einzelne kleine Bruchstücke zum Vorschein als Lohn, Gottes Segen, Dankbarkeit, Gefühl usw. Diese Fragmente sammelte die gute, aufmerksame Doris sorgfältig und brachte sie in ein schönes Ganze. Wir konnten ohngefähr eine Viertelstunde oben zugebracht haben, als wir beschieden wurden, herunter zu eilen. Die würdige Königin empfing Dörtchen mit Mutterliebe und uns mit unendlicher Herablassung und Huld. Unser lieber Hans benahm sich wie ein Engel, mit einnehmendem Anstand und Unbefangenheit. Wie die Königin ihn fragte, ob er gern zu ihr gekommen sei, antwortete er freimüthig, es hätte ihn sehr glücklich gemacht. Uns dankte die Königin, ihr das liebe Kind so jung anvertraut zu haben, welches sie durch mütterliche Sorgfalt und Pflege zu verdienen und zu belohnen suchen werde. Ich war so gerührt, daß - statt zu antworten - ich ans Fenster treten und mir die heißen Tränen trocknen mußte; ein Glück, daß die treffliche Königin mehr auf Gefühl als auf Worte sieht, sonst wäre ich schlecht gefahren. Minister Haudwitz machte meiner Rührung und Verlegenheit ein Ende, denn der erschien; nach ihm Graf Goltz.
Nach einigen Stunden ging die liebe Königin in ihr Gemach und wir zerstreuten uns. Den folgenden Tag wurden wir wieder zum Thee geladen, da hatte mein Blut sich schon etwas besänftigt. Den dritten Abend, wie wir bei Frau von Hill waren, ehe wir die Königin sahen, sprachen wir viel über Hans'chens Lage. Frau von Hill äußerte herzliche und religiöse Grundsätze und sagte ein gleiches von der würdigen Königin; ich sagte ihr, daß es unser dringendes Bemühen gewesen sei, sein junges Herz für Frömmigkeit und Tugend zu öffnen und daß es unser heißer Wunsch wäre, ihn hierhin befestigt zu sehen; diese ernsthafte Unterredung beruhigte uns unendlich und ich sah heiter in die Zukunft.
Wie wir nachher zu der Königin gerufen und aufs Gnädigste empfangen wurden, beschenkte sie uns beide Schwestern und die Hofdame; jede mit einer charmanten Haube, welche Graf Fouquet verteilte. Dann wurden Proverbe aufgeführt, uns zu amüsieren, die sehr hübsch ausfielen und uns viel Vergnügen machten. Gegen 11 Uhr wurden wir entlassen. Als wir zu meinem guten Massow kamen, der dieses Mal nicht mitgegangen war, erfreuten wir erst sein Herz wegen der gehabten Unterredung wegen Hans'chen und dann führten wir das eine Proverb auf; Dörtchen war ein Witwer und hatte Hans' Überrock an, dessen alten Filz auf und sah abscheulich aus.

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Als wir nun den folgenden Morgen wieder bei der Königin waren, erzählten wir den Scherz, worauf sie befahl, der Rock solle geholt werden und wir uns in Tätigkeit setzen. Dies geschah, und wir agierten vor den Augen der lieben Königin mit einer lobenswerten Dreistigkeit - uns nicht zu rühmen. Vorher hatten wir in demselben Zimmer dejeuniert, und nach demselben Hauterdtoffeln gegessen mit Salz und Butter.

Hans'chen mußte diesen Morgen der Königin Schokolade präsentieren, worauf sie ihm auch viel Kuchen und Schokolade reichen ließ. Er benahm sich bei allem unverbesserlich; ich sage dies mit Überzeugung, ohne von der mütterlichen Eitelkeit irregeleitet zu werden. Die Königin sagte auch deshalb einigemal, "das Kind hat eine sehr gute Erziehung." Ich dachte, wenn Du wüßtest, wie er ungezogen sein kann, dankte aber Gott, daß er sich hier so prächtig benahm.

yellowshark
03.12.2001, 22:20
Den 10. September früh fuhren wir nach Berlin und erreichten es um 5 Uhr nachmittags. Eva, Hans, Friedrich und ich freuten uns wechselweise über den herrlichen Anblick; doch bei jedem äußerten sich die Gefühle besonders; Hans wollte im Wagen auffliegen, drehte sich bald das Genick um, damit er nur von beiden Seiten sehen konnte, schrie auch wohl laut auf vor Jubel.
Eva saß da mit ihrer gewöhnlich ernsthaften Miene, dies setzte den Hans außer sich selbst, er rief hintereinander: "Eva, Eva, wundert sie sich nicht? Sehe sie doch die prächtigen Häuser!" wo diese denn empfindlich antwortete: "Ich habe ja Augen, ich sehe ja wohl!"
Friedrich blickte mit dem Phlegma, welches seine Schmerzen erzeugt, ruhig von der unteren Etage bis zur vierten, er sagte dann freundlich und wundersam: "Das ist a'schön Stadt."
Ich duchflog nach alter Art Häuser und Straßen, sah die Vorübergehenden, fand Ähnlichkeiten und freute mich kindisch, in Berlin zu sein; gleich denselben Abend besuchten wir den Hofmarschall Massow, fanden sein Bein auf einer Bank in Betten verpackt, und an ihm übrigens einen angenehmen Gesellschafter, der es sehr bedauerte, uns jetzt nicht logieren zu können, da er selbst elend und ohne Frau sei, welche sich mit den 5 Knaben in Steinhöfel aufhielt; er habe aber für ein gutes Quartier gesorgt, und zwar in der Sonne, wo wir charmant wohnen; nur sie schmilzt alles Metall in der Schatulle,

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und die Pfandbriefe verbrennt sie; doch dieses gewöhnliche Naturereignis macht auf den Hofmann, welcher von Sonne und Mond gleich wohltätig beschienen wird, keinen weiteren Eindruck.
Denselben Abend gingen wir noch unter die Linden, wo die Erleuchtung in den Straßen einen herrlichen Effekt macht und welches die Eva entzückte, die immer hinter uns her zog und äußerst gesprächig wurde, doch ein Umstand machte ihre Zunge stocken, denn ein Chapeau zog sie am Rocke, worauf sie Dörtchens Kleid ergriff - welches ihr am nächsten war - es so fest hielt, wie sie noch bis jetzt festzuhalten ihren guten Ruf ist bemüht gewesen.

yellowshark
03.12.2001, 23:20
Heute als den 11. haben wir mit Putzmachern, Schneidern, Kaufleuten und Friseur zu tun gehabt, welches die Geldbeutel empfinden; dann machten wir Visite bei Gräfin Wartensleben, diese begleitete uns zu Minister Massows, welche wir nicht zu Hause fanden; dann bei Major Frankenbergs, wo wir die liebe Dörtchen absetzten, weil sie den Abend bei einer Freundin passierte, und ich meinem guten Massow, der nicht wohl ist, Gesellschaft leisten will.
Gestern konnte ich nicht einschlafen, denn das beständige Fahren war mir, als wenn in Bischofswerda ein starkes Gewitter in der Ferne tobt; heute früh im Negligee besuchten wir den Wilhelmsplatz; die Statuen machten mir viel Vergnügen; ich sah im Geiste den lieben Ferdinand einst auf Schwerins, und den lieben Fritz auf Seydlitz' Stelle. Die Bildsäule des alten Ziethen gefiel mir am meisten; sie ist so nach dem Leben ausgehauen, daß man vor Liebe und Ehrfurcht ihm die Hand drücken möchte, und dann staunt, daß es nur Stein ist, dem die Kunst diesen Feuerblick, diese Schönheit in Stellung und Kleidung gab.

Den 12. besahen wir Monbijou, welches viele prächtige Zimmer enthält; dann gingen wir nach dem Hause, wo unser theurer Hans wohnen soll; ich bin unfähig, die Gefühle auszudrücken, welche meine Seele pressten. Der Pagengouverneur war mit dem jungen Skribenzke ausgegangen, und wir machten daher seine Bekanntschaft das Mal nicht. Als wir zurückkehrten, besuchten wir den Hofmarschall Massow, welches alle Tage einige Stunden geschieht; wie wir in unser Logis zurückkehrten, fanden wir wieder neue Freunde und oft alte Bekannte.

yellowshark
04.12.2001, 00:26
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Den 13. machten wir Visite bei der Oberhofmeisterin von Gaadi, eine prächtige Frau, die ich ganz so fand, wie der allgemeine Ruf sie geschildert hatte, sie war gegen uns und Hänschen äußerst gütig. Wie wir zurückkamen, besuchte uns Graf Wartensleben, blieb bis zwei Uhr bei uns. Dann ging mein Massow zum Diner zum Feldmarschall Möllendorf und wir bereiteten uns zu der Nachmittagsfatigue durch ein prächtiges, schönes Mittagessen.
Nachdem mein guter Mann retourniert war, fuhren wir bei Präsident Schleierlzenz. Diese bewirteten uns den Abend bei Karslens im Thiergarten; aus der Gesellschaft sind mir folgende Personen näher bekannt geworden: Der Präsident Kirscheisen, seine Frau und Tochter, Leutnant Horn nebst Frau, Rittmeister Katte mit Gattin, Geheimrath Zehdel, der Major Liebermann, der Major Korswand - den ich mit Mühe hinter seiner Nase vorfand.

Den folgenden Tag aßen wir en famille bei Schleinitzens Mittag.
Nach demselben fuhren wir bei Minister Massows, die unbeschreiblich gütig und hilfreich waren; auch zu allen Diensten sich schon schriftlich wie mündlich angeboten hatten. Da fanden wir den Landrath Massow aus Schlesien mit seiner Tochter, artige Leute; lange verweilten wir uns höchst angenehm in dieser lieben Gesellschaft, so daß wir nur sehr spät zum Thee und Souper bei Graf Lottums kommen konnten, wo wir schon engagiert waren. Diese Leute haben uns erstaunend gefallen; sie sprachen mit viel Anhänglichkeit von dem lieben Ferdinand.
Heute sind wir zum Diner bei Minister Massows gewesen, und will ich die Personen, die ich da kennen lernte, nach dem äusseren beschreiben, denn bei so kurzer Bekanntschaft kann man selten des besseren Teils am Menschen gedenken und nur an der Außenseite sich aufhalten.

Ich sah also dort den Minister Thielemann, einen speckfetten Mann mit langer, breiter Taille, kurzen Schößen, breitem, langen Haarbeutel, sehr kurzen Unterkleidern, breiten Schuhen, großen Schnallen und einem Chapeau bas; diesen Mann sieht jeder voller Komplimente, sanft auftretend, hold umherblickend.
Minister Arnim in einem besseren Kostüme, artig und geschmeidig, mit der Stimme eines kränkelnden Kindes. Bei dem General Merkatz saß ich. Und seine Unterhaltung gewährte mir wahres Vergnügen, denn seine Äußerungen verrieten eine edle, gute Seele; seine Gemahlin: eine ebensolche Dame; dann der General Wartensleben, mit der besten Laune; sein Sohn blasswangig und trübe; dessen Frau eine geborene Gräfin Reichenbach, immer lieblich lächelnd und von anscheinender Gutmütigkeit.

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Die Generalin von Saldern, gerade und eben, die Finger alle zehn immer in der Tabaksdose. Der Oberst Eckenbrecher von der Artillerie mit seiner Frau und Sohn. Diese Familie stammt gewiß aus Italien, denn nie sah ich gelbere Gesichter. Dann ein Fräulein von Bock mit brennend roten Blumen, die die fliehende Jugend gewaltsam zurückbringen sollten, dabei eine so leise, sanfte Stimme, wie das Lispeln der kaum berührten Espenblätter. Dann ein junger Graf Kanitz und sein Referendarius, beides artige, hübsche Leute; die Oberst Thadden, eine artige Frau. Mit dem Cousin Otto fuhren wir, weil Minister Massows zum Thee und Souper engagiert waren, nach Hause und brachten den Abend in angenehmer Unterhaltung und in Erwartung des Cousins Christoph hin. Dieser erschien erst den folgenden Morgen mit seinem General, er gefällt uns sehr gu

yellowshark
04.12.2001, 18:22
Den 16. aßen wir bei Graf Wartensleben, da fanden wir die Großkanzlerin Goldbeck, eine alte freundliche Dame, den General Wartensleben mit der ganzen Familie, den Generalleutnant Schwerin, Leutnant Rehbinder, Oberst Stange, Minister Massows, einen alten invaliden Major, der schon seit undenklichen Zeiten Hofmarschall dei Prinzessin Heinrich ist, Beauvais heißt und das Gesicht voller Pflaster hat; seine Lebensgeschichte ist überhaupt nicht erbaulich, mit der machte Graf Wartensleben bekannt.
Von hier fuhr ich nach unserm Logis, zog mir meinen Staat ab, und dann kam die Gräfin Wartensleben, holte uns ab zu einem Souper, welches Minister Massows gaben. Da fanden wir General Kuhnheims, einen Leutnant Tetten mit seiner Frau; hübsche artige Leute; ein Fräulein Arnim aus Sachsen, ein wohlgezogenes angenehmes Mädel aus Sachsen, die die lieben Dohna's kennt aus Schlodien und nach ihrem ganzen hohen Wert schätzt und liebt, welches Anlaß für mich zu angenehmer Unterhaltung gab. Dann waren da noch mehrere artige Leute.

Den 17. war Diner bei General Kuhnheims; in der sehr zahlreichen Versammlung fanden wir viele Bekannte aus Preußen. Ehe noch die wirklich glänzende Tafel aufgehoben wurde, sagte mir ein Bedienter, daß die Gräfin Lottum unten mit ihrer Equipage auf mich warte, um mich in die Comödie zu führen. Ich mußte also - um die liebe prächtige Frau nicht warten zu lassen - mir die Erlaubnis erbitten, aufzustehen. Es wurde das Trauerspiel "Tancred" gegeben. Madame Jagemann machte ihre Rolle schön, so wie sie selbst recht hübsch ist. Zum Nachspiel sahen wir die Comödie "Aus dem Stegereif". Darin agierte Iffland meisterhaft.

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Aus der Loge ging es zu Graf Lottums, die uns äußerst liebreich bewirteten; von den Anwesenden gefiel mir besonders ein Geheimrath mit seiner Familie sehr gut, dessen Namen ich vergessen. Gestern überraschte mich das Wiedersehn eines alten lieben Bekannten, des Rittmeisters Puttkammer, der sich gar nicht verändert hatte. Auch hatte ich das Vergnügen, die lieben General Herzbergs mit ihrer Familie zu sehen; nachdem sie mich verlassen hatte, holte ich die Gräfin Wartensleben ab, und wurde von dieser in die Porcellaine und Bronze Fabrique geführt; beide gefielen mir - doch die letztere übertrifft an Schönheit die erstere. Besonders rege wurde meine Aufmerksamkeit durch die transparenten Lampen, welche sich der General Macdonald bestellt hat und welche erstaunlich schön sind; es schmeichelte meiner Eitelkeit, daß die Nation, welche uns so ungern Gerechtigkeit widerfahren läßt, und so selten zugibt, daß auch ohne sie etwas kann erfunden werden, hier eingesteht, solches nicht bis jetzt liefern zu können, und ein General aus ihrer Mitten solches aufs teuerste bezahlt.

yellowshark
05.12.2001, 01:05
Den 18. des Morgens. Alles ist zum Manöver hinaus und mein geliebter Hans nach Monbijou gebracht; die Sonne scheint mir so freundlich ins tränennasse Auge, welches ich bittend zu Gott richte, um Segen und Unterstützung für das teure Kind und um Mut für meine oft zagende Seele.

Den 19. September in Potsdam.
Nachdem mein geliebter Hans uns verlassen hatte, packte ich unsere Sachen zusammen und erwartete den guten Massow vom Manöver zurück. Er kam und erzählte mir, daß er den lieben Hans besucht und noch einmal Abschied genommen habe, wo er äußerst freudig gesagt, er hätte schon gelesen und geschrieben, und der Gouverneur sei von Beidem sehr zufrieden gewesen.
Um 12 Uhr hatten wir abgesessen und besuchten dann noch die lieben Graf Lottums und Hofmarschall Massow - und nun gings nach Potsdam; die ganze schöne Chaussee war mit Menschen besät, die teils ritten, teils fuhren, und es nahm sich prächtig aus, wenn man die perspektierische Allee wimmelnd von lebenden Geschöpfen sah.
In Zehlendorf hielten wir ein wenig stille, bei welcher Gelegenheit ich mir ein großes Glas Bier reichen ließ; und wie ich mich mit selbigem so recht in die erste Trinkposition gesetzt habe, fährt pfeilschnell ein Halbwagen vorbei, aus dem sich ein Engelsgesicht bückt - und zwar die liebe Königin mit dem teuren Monarchen zusammen fuhren einfach mit 4 Pferden und einem Diener nach Potsdam.

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Hier in Zehlendorf spannten sie aus. General Rellet benutzte diese Gelegenheit und besorgte währenddem das Entretien, welches er selbstgefällig und selbstlachend endigte. Den Cousin Pirch fanden wir sehr wohl, auch hatte er uns ein hübsches Logis ausgemittelt. Wir mußten noch den Abend bei ihm passieren und lernten in seiner Frau ein charmantes, liebes Weib kennen. Sie ist die Schwester des Minister Alvensleben und gleicht zum Verwechseln und Verkennen der Obristin N.....(?).

Wir sollen, wenn wir nicht ausgebeten sind, ihre täglichen Gäste sein, welches ich für meine Person gern annehme, da mein Mann immer in Sanssouci ißt.
Heute gingen Pirchs zu einem lange vorher gebetenen Souper und wir benutzten derweile die kurze Zeit, etwas von den Merkwürdigkeiten zu sehen; zuerst gingen wir nach dem Neuen Garten und in das Marmorpalais am Heiligen See; an demselben sieht man die schöne Stadt, welche sich mit ihren Türmen majestätisch erhebt; dann die Pfaueninsel, vor derselben ebenfalls auf einer Insel zwei schöne Tempel; auf der anderen Seite einen hohen Berg, dessen dickes Gehölz durchgehauen und von schönen, mannigfachen Lustparthien geziert wird; kurz: die Ansicht der herrlichen Natur weist das Herz zur Liebe und Bewunderung für den Schöpfer derselben hin.

yellowshark
05.12.2001, 02:12
Das Marmorpalais ist geschmackvoll und prächtig. Jedes Kaminstück in den Zimmern kostet 24000 Thlr., welcher ungeheure Preis durch das Auslegen von Mosaik veranlaßt ist. Ein kleines Zimmer, welches wie ein türkisches Zelt dekoriert ist, macht meine Aufmerksamkeit rege; es ist ringsumher mit aufgenommenen Gardinen von weißem Atlas behangen. An den in die Höhe gezogenen Seiten sind Roß - Schweife befestigt und der ganze Atlas mit Franzen von Schmelz besetzt. In der Mitte hängt ein Kronleuchter von Crystallperlen, der stellt das türkische Wappen - Sonne, Mond und Sterne - dar. Unten herum sind flache Sitze, mit Atlas überzogen, angebracht. Alle Kommoden und Tische in den Zimmern sind mit den seltesten Marmorplatten belegt; unter anderen eine Platte von zusammengesetzten Stücken Chrosopas.
Herrliche Gemälde der berühmtesten italienischen Künstler sieht man hier; auch hat die Gräfin Lichtenau einige Ansichten von Neapel und Rom machen lassen, die schön sind.
In diesem Palais ist Friedrich Wilhelm II. die mehrste Zeit gewesen, auch da gestorben. In dem Garten, wo dieses Palais steht, sieht man ein prächtiges Gebäude, in welches man durch schöne Colonaden hereintritt.

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Hier befindet sich eine herrliche Orangerie; ist man diese zu Ende gegangen, öffnet sich eine große Glastüre, die in den lachendsten Saal führt, dessen Wände mit 96 Vasen von dem schönsten Porzellan geziert, und diese mit den seltesten Blumen, welche erquickende Gerüche verbreiten, angefüllt sind. Am Ende des Saales befindet sich ebenso eine Orangerie, die durch eine ähnliche Glastüre dem Auge und der Nase sich gleich wohltätig zeigt. Bei den Festen, welche der jetzige König so gerne hier feiert, werden der Saal und die beiden Orangerien durch Ananaslampen sanft erleuchtet; und dann soll die Wirkung vortrefflich sein. Nachdem wir alle diese Schönheiten gesehn und die Börse meines Massows etwas erleichtert hatten, gingen wir vergnügt nach Hause.

yellowshark
05.12.2001, 20:53
Den 20. früh ritt mein Massow fort und gegen 9 Uhr ging ich mit der Cousine Pirch, ihrer Stieftochter und Schwager nach dem Berliner Tor, wo wir hinter einer Barriere auf einer Erhöhung alle Regimenter einrücken sahen, unter denen die Gardeducorps und die Gens d'armes sich vorzüglich auszeichneten. Bei dieser Gelegenheit machte ich sehr angenehme Bekanntschaften, auch einige meiner Cousins; dann gingen wir, von einigen guten Freunden begleitet, nach Hause, machten unsere Toilette und aßen Mittag. Nach demselben kamen die sämtlichen Cousins Pirch, die Brüder Dohna und Hindenburg. Mit den drei letzteren fuhren wir in das Schauspiel; es wurde die "Schöne Millerin" gegeben. Das Theater ist sehr hübsch. Ich hatte einen prächtigen Platz; vor mir die liebe Königin mit den Prinzessinnen von Oranien und Radziwill; auf den beiden ersten Bänken die gesamte Generalität. Die Ballets waren sehr schön; vorzüglich zeichnete sich dabei ein Mai - Engel aus.

Den 21. des Morgens um ein viertel vor sieben fuhren wir zu den Manövers hinaus, sahen eine zahllose Menge Menschen zu Wagen, zu Pferde und zu Fuß. Die reitende Artillerie spannte meine ganze Aufmerksamkeit. Am Ende sahen wir alle Truppen in der schönsten Ordnung und in Parade vorbeimarschieren, wo uns die Schönheit der Leute und der Musik sehr auffiel.
Meinen Massow sah ich gar nicht, der war immer bei der Cavallerie und in der Nähe des Königs, wo wir uns nicht hinzufahren getrauten. Nachmittag machte ich Visite bei der Oberhofmeisterin Grfn. Vohs, die mir wie das lebendige Bild der Hof - Etiquette erschien. Sie hat Kopf und Taille so mit Juwelen überladen, wie das Gesicht Schminke. Übrigens ist diese 76 jährige Dame noch sehr lebhaft und geistreich.

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Von da fuhr ich zu General Ruchels; sie ist eine sehr hübsche, angenehme Frau, welche mir aber ohne das erküstelte Colorit besser gefallen hätte. Den Abend brachten wir bei dem Cousin Pirch sehr angenehm hin, denn er und seine Tochter, sowie seine Schwägerin, ein Frl. Schmettau, musizierten und sangen charmant.

yellowshark
05.12.2001, 23:48
Den 23. morgens. Es kam gestern alles gesund vom Manöver zurück; mein guter Mann kleidete sich um und ging nach Sanssouci und ich nach alter Gewohnheit zu Pirchs, wo ich das Frl. Schmettau, ein junges, sehr talentvolles Mädchen wiederfand. Nach Tisch kamen Ernst und Christoph Pirch, dann Graf Dohna, ein Leutnant Alvensleben aus Halberstadt, Bessel, Rittmeister Puttkammer und mein lieber Mann. Um 6 Uhr fuhren wir zum Thee und Souper zum General Ruchel, wo wir eine sehr große Gesellschaft fanden, die ich nur zum Theil kennen lernte, denn es waren so viele fremde, unterschiedene Gesichter wie Uniformen. Nach eingenommenem Thee wured eine Parthie Rabuge gespielt; an dem Tisch, wo ich mitspielte, saß Frau von Arnstadt, Rittmeister Puttkammer und Hauptmann Pirch. Ehe wir uns setzten, machte ich noch die Bekanntschaft des General Reinhardt, dem ich in der Geschwindigkeit für alles Gute dankte, was er meinen Brüdern erwiesen, worauf er beteuerte, er hätte eine zärtliche Zuneigung für meine redlichen Eltern und Henry, und er wäre sehr traurig, meinen Wunsch nicht erfüllen und einige Tage in Poganitz, dem Sitz der Ruhe und Glückseligkeit, weilen zu können.
Der Oberst von Misitscheck, den ich schon öfter in Berlin gesehen hatte, kam auch wieder an mich heran, um eine lange interessante Unterhaltung anzuknüpfen. Nun ging es zur Tafel, und ich will diejenigen, welche ich dem Namen nach kennen lernte, hersagen. Ich saß zwischen dem freundlichen und hübschen General Ruchel und dem Oberst Hüster vom Regiment Vohs; sehr viel sprach ersterer von dem seligen Bruder von mir, und versicherte, er hätte ihn wie einen Sohn geliebt. Ich dankte ihm gerührt für alle Wohltaten und sagte, daß meine guten Eltern glauben würde, eine Schuld bezahlt zu haben, wenn sie noch je so glücklich wären, diesen herzlichen Dank ihm sagen zu können.
Mein Nachbar zur Linken war auch ein angenehmer Mann, und so verging das Souper unterhaltend und sättigend zugleich.
Dann war da ein Oberst le Coque aus sächsischen Diensten, nebst Gattin und Bruder; der General Panitz, Oberst Frankenberg, der Mann meiner theuren, lieben Jugendfreundin, Frau von Gravert, eine hübsche interessante Frau, Hptm. v. Ernsthausen, Lt. Weiss von Vohs, Rittm. Harter v. Blücher, weiter geht meine Kenntnis nicht. Die Übrigen blieben mir fremd.

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Nach Tisch verzog man sich ohne Abschied und Geräusch. Heute soll bei Pirchs Gesellschaft sein. Ich benutzte den Vormittag auch, weil diese sich erst um 8 Uhr versammelt und ging mit der Tochter des Cousins nach Sanssouci, nach dem Neuen Schloß und besahen dann noch das japanische Palais. Dies alles gewährte mir viel Vergnügen. In dem japanischen Palais sind drei Kabinetts, in denen Friedrich II. sich oft aufhielt; in dem einen steht noch sein Schreibtisch und Schreibzeug, wie er's verlassen hat; und die ältesten Stuhlbehänge sind von den Hunden zerrissen, noch ganz zu erkennen, wie sie mit den Stücken gespielt haben.
In demselben Kabinet ist eine Singe - Uhr, deren großes Gehäuse von Schildkröte ist; dann befindet sich außerhalb des Palais unter den Colonaden ein Gemälde; dieses stellt einen Affen vor, der durch einen Ring springt. Sieht man ihn von der rechten Seite, so macht er seinen Sprung nach dem Palais hin; sieht man ihn von der linken Seite, so springt er mit dem Kopf nach dem Garten zu.
Der Garten von Sanssouci ist vortrefflich. Auf dem langen Gange nach dem Neuen Schloß befindet sich auf beiden Seiten ein liebliches Wäldchen, dann wird der Gang immer von kleinen runden Plätzen durchschnitten, auf denen sich schöne Statuen, aus der Mythologie entlehnt, befinden.

Den 24. morgens. Gleich nach der Promenade, die ich gestern gemacht hatte, zog ich mich an, ging zu den guten Pirchs zu Tisch und um 6 Uhr versammelte sich die Gesellschaft, bestehend: in dem Major Bonin und seiner Frau aus Bütow; dann die Gen. Sackendorf, eine heitere, noch sehr hübsche Frau mit ihrem Mann, beide sehr hübsch, ein Lt. Hildschei v. Unruh, 6 Cousins von uns, die Gebrüder Gf. Dohna, und noch einige Offiziere; da erschien mit einem Mal ein königlicher Lakai und lud zum Ball und Souper die Frau von Massow und Frau von Pirch ein; wenn alles überstanden ist, schreibe ich weiter.

yellowshark
06.12.2001, 03:13
Den 26. September; Arnswalde.
Hier sitze ich in einer nach Branntwein riechenden Dorfschenke; hinter mir das prächtige Berlin mit allen Reizen, Lasten, Mühseligkeiten und Plagen, welche die große Welt und das Hofleben dem armen Menschen auferlegen; im Herzen bittere Sehnsucht nach meinem Hans, sorgend über sein Schicksal; ihn dem alliebenden Gott empfehlend, schreite ich zur Fortsetzung der Tagesgeschichten. Um halb 6 Uhr fuhren wir zu dem königlichen Ball;

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unendliche Wagen kreuzten sich, und es war ein brillanter Wirrwarr. Endlich langten wir im Neuen Schloß an, wurden in den Tanzsaal komplimentiert, der so glatt wie Eis war und von Offizieren und Damen wimmelte. Zu meiner Freude fand ich gleich ein paar Bekannte. Endlich erschien die holde Königin, alles drängte sich hinzu. Ich blieb ruhig und ließ die Menge sich verteilen; aber kaum war dies geschehen, so tanzte auch schon die schöne Monarchin die lange Reihe hinunter; nun ward mir die Wonne, sie zu sehen; immer habe ich bis jetzt die Bestätigung der Wahrheit gefunden, daß der Ruf von Schönheit, wenn er der persönlichen Bekanntschaft vorausgeht, den Gegenstand zurücksetzt. Wie sehr geschäftig war meine Phantasie gewesen, dies Ideal auszumalen, und dennoch blieben meine Erwartungen weit hinter dem reizenden Original zurück.
Sie tanzte mit einer Grazie und liebenswerten Unschuld, daß sie bezauberte. Indem kam die Frau v. Grawert und Gen. Ruchel, fragten, ob ich schon vorgestellt sei. Wie ich das verneinte, ging Frau von Grawert zur Gräfin Vohs und sagte ihr mein Anliegen, welches sie sehr in Bewegung setzte, denn der Hofmarschall Massow hatte ein langes und breites Empfehlungsschreiben vor mir hergesandt; sie kam also mit der größten Freundlichkeit und zog mich durch die Menge mit sich fort, die sich für mich glücklich genug teilte, denn die Öffnung, wo die Gräfin Vohs durchkommen mußte, mit ihrer Bouffante, konnte sich immer wieder etwas zusammenziehen, so blieb dennoch ein bequemer Platz für mich. Die liebe Königin stand nachlässig an einen Tisch gelehnt und ruhte ein wenig von dem Tanze. Da trat die Gräfin Vohs mit einem passenden Air und im Bewußtsein ihrer wichtigen Amtsgeschäfte an sie heran; indem ging die Königin einige Schritte vorwärts und machte eine freundliche Verbeugung; ich einen tiefen Knix, den rechten Handschuh herunter und so eilte ich zum Handkuss, welche Gnade ich nicht genoss; nun fragte sie mich, ob mein Mann auch mit wäre; wie ich dies bejahte und ihr gesagt hatte, daß unser Sohn das Glück hätte, Page bei der Königin - Mutter zu sein, beruhigte sie mich mit rührender Liebenswürdigkeit über die weite Entfernung und versicherte mir, die Pagen wären dort sehr gut aufgehoben. Dann machte sie noch einige gnädige und schmeichelhafte Anmerkungen, am Ende eine Verneigung mit Engelsfreundlichkeit und ich war abgefunden. - Neben den Tanzenden stand unser lieber König, Hut und Stock in der Hand, den Degen an der Seite. Überhaupt habe ich mich gewundert, daß er die ganze Zeit über nicht gesessen hat, selbst beim Soupieren nicht.

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Um 10 Uhr wurde zur Tafel gegangen; in dem schönen, wirklich königlichen Marmorsaal, waren sieben Tafeln gedeckt, und die Gesellschaft, welche 600 Personen enthielt, war kaum bemerkbar. Es wurde Bouillon gegeben und übrigens kalt. Am Ende Eis von Ananas, Aprikosen und alle möglichen delikaten Sachen. Um 11 Uhr ging's wieder zum Tanz.
Ich machte viele angenehme Bekanntschaften; unter die rechne ich den redlichen alten Landgrafen von Hessen, Philippsthal, welcher mir versicherte, mein Massow sei sein alter lieber Freund, den er ungemein hochschätzte. Ich hätte ihn prächtig gepflegt, denn er wäre wenig älter geworden; dies klang tröstlicher, wie weiland Conrads Äußerungen.

yellowshark
06.12.2001, 23:22
Den 25. Berlin.
Diesen Mittag aßen wir an der table d'hote im Hotel de Russie, wo wir viele alte Bekannte wiederfanden. Gleich nach unserer Ankunft in Berlin hatten wir nach dem lieben Hans geschickt, der dann auch sogleich im besilberten Rock, großem Hut mit Tressen und einer Generalsfeder erschien, froh und heiter über seine Lage. Wir gingen zusammen mit Hptm. Bessel in die Comödie; da ward gegeben "Die bestrafte Eifersucht", wo Iffland herrlich agierte. Dann ein Nachspiel, "Röschen und Collas", wo Unzelmann seine Rolle sehr schön ausführte; übrigens war es eine höchst langweilige Operette, in der sich dennoch Mutter Quandt vorteilhaft auszeichnete. Den folgenden Morgen kam der Gouverneur meines Hans, Herr Bona, ein sehr alter Mann mit dem redlichsten Gesicht, feinen Sitten und auffallender Gutmütigkeit. Wir empfahlen ihm mit der Wärme besorgter, zärtlicher Eltern unser Kind; er versprach, alles zu tun, allein seine Kräfte reichten nicht aus, sie könnten mit seinem Willen nicht gleichen Schritt halten. Deshalb stieg manche bange Sorge in uns auf, die jetzt aber unterdrückt werden muß; denn nun können wir das Kind nicht zurücknehmen.
Nachdem wir uns einige Stunden mit dem redlichen Alten unterhalten hatten, schlug die bittere, gefürchtete Scheidestunde.
Unsere Herzen bluteten, indem wir versuchten, ruhig zu scheinen.
Ach, die Gefühle sind keiner Darstellung fähig, wenn man ein geliebtes Kind in die große Welt aussetzt, diesem klippenvollen Meer. Ich muß schnell über jene bangen Empfindungen hinwegschreiten, sonst verliere ich den Mut zur Fortsetzung der Aufzeichnungen unserer Begebenheiten. Unser lieber Hans war sehr standhaft, weinte zwar, wurde aber bald wieder ruhig und warf uns mit seinem heiteren Gesicht so lange Küsse nach, wie er uns sehen konnte.

yellowshark
07.12.2001, 23:22
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Freienwalde, den 28.
Gestern kamen wir, nachdem wir in Leimdorf bei dem Oberst Meyerinck Mittag gehalten, glücklich hier an. Die liebe Schwester Dörtchen fanden wir nicht zu Hause, sie war auf dem Schloß bei der Königin Mutter; gegen Abend kam sie, mußte aber wieder hingehen; auch wir sollten diese Gnade genießen, allein wir lehnten sie in Demut ab, des Umkleidens wegen.

Heute früh saßen wir in möglichster Ruhe beim Frühstück; Dörtchen im eleganten Negligee, ich im Schlafrock, drauf geht Massow hinaus; er kommt lachend zurück, indem er - die Thür weit öffnend fragt, ob wir wohl den Besuch von zwei Prinzen annehmen würden? Ich, in der Meinung, er scherze, gehe ihm mit vielen Komplimenten entgegen und suche ihm zu beweisen, welches unschätzbare Vergnügen es uns sein würde, solche Durchlauchtigsten Herrschaften zu empfangen. Indem tritt er ehrerbietig an die Seite, und der Landgraf von Hessen - Philippsthal, Prinz Carl, sein Sohn, und der Prinz von Homburg kommen, sich mäßig verneigend, ins Zimmer, und ich, unmäßig laufend zu demselben heraus in ein Cabinet, welches keinen weiteren Ausgang hatte und keins meiner Kleidungsstücke enthielt. Alles war eingepackt, nur das Staatskleid war draußen, welches heute zum königlichen Diner angezogen werden sollte; nun fingen die vornehmen Gäste an, mich herauszunötigen und wurden von Massow unterstützt, der meine Entschuldigung nicht annahm und am Ende vorschlug, ich solle seinen tuchenen Schanzenläufer anziehen, der im Cabinet hinter der Thür hing. Dies gefiel mir, und ich sah voraus, wie es die Herrschaften amüsieren würde; ich erschien also vor ihnen, nicht elegant, aber gehorsam; es wurde bewundert und der Königin erzählt.

Königsberg, den 30. September.
In Freienwalde blieb mir keine Zeit, noch etwas in dieses unvollkommene Tagebuch einzutragen. Ich knüpfe also in einer Entfernung von 5 Meilen den Faden wieder an, und erzähle weiter. Wie der Durchlauchte Besuch uns verlassen hatte, eilten wir zur Toilette; darauf schickten die Hofdamen und ließen sagen, wir müßten grau oder weiß erscheinen, denn die Königin - Mutter hätte aus Galanterie gegen die Prinzen Philippsthal ( die ihre Mutter betrauerten ) auch Trauer für den Tag angesagt. Die Gesellschaft bestand aus der Königin - Mutter, den drei prinzlichen Herrschaften v. Philippsthal, dem Prinzen von Homburg, deri Hofdamen und Herrn v. Kahlden nebst der edlen Massow'schen Familie.

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Es wurde schön und schnell gegessen. Die Unterhaltung war durchaus ungezwungen und angenehm. Nach dem Essen ließ die Königin zwei Wagen anspannen, in denen wir alle uns einpackten; der eine ein großer Wurstwagen, auf dem fuhren wir, die drei Hofdamen und Prinz Homburg...
Gegen 10 Uhr Abendbrot, dann empfahlen sich die landgräflichen Herrschaften, und wir mußten in das Gemach der Königin kommen; hier nahm sie einen äußerst gnädigen Abschied von uns. Vorher hatte sie aber noch geäußert, als mein Mann seine eilige Abreise durch den beschränkten Urlaub entschuldigte, sie wolle sogleich nach Berlin schicken und ihren Sohn ( den König ) um Verlängerung des Urlaubs bitten; wie mein guter Mann dies mit Mühe abgelehnt hatte, küßte sie Dörtchen und mich recht herzlich, steckte mir einen Ring an die Hand, und um sich nicht danken zu lassen, verschwand sie schnell in ein Nebenzimmer. Nun eilten wir zur guten Hill und dann nach Hause zu Bett.

yellowshark
09.12.2001, 00:25
Cöslin, den 5. abends.
Bis hierher sind wir ohne die geringste Unannehmlichkeit gekommen, nicht aber ohne Bangnis nach dem lieben Hans, den wir in jedem Gasthofe vermissen, wo wir mit ihm vergnügt gewesen sind. In Bahn, einer Garnison des Regts. Bayreuth fand ich eine geliebte Jugendfreundin, die an Hptm. v. Bock verheiratet ist. Diese hatte ich in vielen Jahren nicht gesehen und jetzt fand ich sie im Kreise liebenswürdiger Kinder wieder. Der Probst dieses Ortes, namens Boritz, war mein Lehrer gewesen; den besuchte ich ebenfalls, und er war erstaunend froh, seine Schülerin wiedersehen zu können, die durch ihren Wind manche Wiederholung der Stunden veranlaßt hatte.
Gegen 6 Uhr kamen wir in Pyritz an, fanden daselbst die Dopperphuler Freunde, waren den folgenden Tag in einer zahlreichen Gesellschaft aller Bekannten und trennten uns unter Tränen den zweiten Tag von den theuren Verwandten.
Wir kamen spät nach Stargard, denn der Weg war sehr übel; mußten lange delibriren, ehe der Onkel es zugab, daß wir keinen Ruhetag da machen wollten; Platens und Ostens waren so gütig, uns zu einer solennen Fete einzuladen - allein wir blieben standhaft; denn nun kam die Sehnsucht nach Hans'chen mit der nach dem kränkelnden Wilhelm zusammen, daß uns kein Mensch länger gefesselt hätte. Den 3. reisten wir nach Naugard, den 4. trafen wir in Plate ein; es war am Sonntag. Wir gingen in die Kirche, wurden bei der Frau v. Osten zu Mittag gebeten, deren Mann in Stettin war. Wir brachten in einer äußerst angenehmen, kleinen Gesellschaft einige Stunden vergnügt hin.

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Der Hptm. Normann vom Regiment Bork, ein Bruder der Frau v. Osten, gefiel uns erstaunlich, und selten haben Personen die beneidenswerte Gabe, ohne schön zu sein, sich gleich so sehr liebenswürdig zu zeigen und ein vorzügliches Interesse abzugewinnen. Diesre Hptm. Normann sprach mit herzlicher Anhänglichkeit von dem Ferdinand, dessen Freundschaft und angenehmen Umgangs er sich mit Vergnügen erinnerte, so wie er zugleich sehr bedauerte, daß wir seine Frau nicht kennen lernten, damit wir Naudchen sagen könnten, wie große Ursache er habe, sich glücklich zu fühlen. Dann sahen wir da die Schwägerin des Herrn v. Osten, eine allerliebste Frau; ferner einige Herrschaften aus der Nachbarschaft, von denen die Kürze der Zeit etwas interessantes wahrzunehmen nicht erlaubte. Nur der Prediger des Ortes wurde mir merkwürdig dadurch, daß er sich alle Zähne hatte ausziehen lassen, teils des Schmerzes derselben überhoben zu sein, teils jetzt besser das Zahnfleisch abhärten und zum Beißen geschickt machen zu können. Der Mund kam mir wie eine Melieration vor, die durch eine woklgeordnete Radung dem Besitzer viel Vorteil brachte. Der gute Polenz fiel mir dabei ein, denn der hatte schon einmal die Idee geäußert, er wolle sich alle gesunden und kranken Zähne ausnehmen lassen, damit er vor Schmerzen gesichert sei. Ungern verließen wir die angenehme Gesellschaft, um sie gegen die Posthalterei in Pinnow zu vertauschen, welche uns übrigens freundlich aufnahm. Im Neugasthof hielten wir den folgenden Tag Mittag und ärgerten uns über verschiedene soderbare Anmerkungen, die ein reisender über unsern Namen gemacht hatte. Dies nötigt mir den Entschluß ab, mehr noch wie sonst immer den Rat meines Massow zu befolgen, der das Anschreiben mißbilligte und mit prophetischem Geist den Erfolg vorhersagte.

yellowshark
09.12.2001, 20:45
Preuß - Stargard, den 24. abends 6 Uhr.
Wenn ich erst gebeten, den unanständigen Sprung von Cöslin bis hierher zu verzeihen, will ich meine Erzählung fortsetzen. Ich hatte keine Viertelstunde für mich, die ich der Vollendung dieses erbärmlichen Tagebuches widmen konnte, deshalb will ich diese wenige Muße benutzen und zur Fortsetzung schreiten, die da lautet wie folgt:

Biziker zu Mittag.
Kaum hatten wir begonnen, daß frugale Mahl einzunehmen, als ein leichter Wagen vor die Tür rollt, von dem ein Diener absprang und hereinkam. Wir fragten ihn nach dem Namen seines Herrn, und wie ich hörte, es sei Herr v. Pauli, machte ich meinen lieben Massow mit diesem gewesenen Nachbarn unserer Eltern bekannt. Der Diener wurde neugierig und bat mit den höflichsten Gebärden und Worten die Gefälligkeit aus, ihm unsern Namen anzuvertrauen; ich wollte ihm gleich von Grund aus diese Ehre gönnen und fing also mit unsern Eltern an; dies vernahm er kaum, so stürzte er hinaus, nahm - ehe er noch eine Silbe gesagt hatte - seinem Herrn die Leine aus der Hand, dann erst machte er ihn mit uns bekannt; dieser folgte seinem Wink, kam zu uns, dicht hinter ihm sein treuer Diener, der dann auch sehr bald das Wort nahm und sagte: "Ihre Eltern kenne ich sehr gut; es sind die bravsten Herrschaften, sie wohnten erst in Gluschen und ich bin eigentlich in Grapitz gebürtig und ärgere mich jedesmal, wie das schöne Gluschen verkannt, wo es mir oft herrlich ergangen ist." Dies sagte der redliche Pommer mit einer so starken, dankbaren Rückerinnerung, daß er sich ein Mittag erwarb, so gut wir es selbst hatten. Kaum waren diese fort, besuchte uns Hptm. Kameke.

8. Oktober, Stolp, wo wir uns bei Weiters einlogierten. Nebenan wohnte die Landrätin Puttkammer, die meine gute Schwester lange kennt und deshalb mit mir zur kurzen Visite sich melden ließ. Wir wurden freudig angenommen und fanden daselbst die Generalin Blumenthal und die Majorin Plötz. Kaum hatten wir die Thüre geöffnet, noch nicht sie zugemacht, als schon alle drei Damen zugleich fragten: "Zurück aus Berlin?" - "Na, wie hat's Ihnen gefallen?" - "Was sagt die Königin zu Hans?" - "Hat sie Ihnen auch was geschenkt?" - "Na, reden Sie doch!" - ( konnten wir wohl dazu kommen?) - "Gewiß hat sie Ihnen allen was gegeben?" - Sagen Sie, liebe Machen, was hat sie gegeben?" -"Ja, ja! Geben dut sie gern, wenn sie man viel hätte, die Stumpersche!" - "Na, was trägt man denn jetzt am mehrsten?" -"Haben Sie sich auch der jungen Königin vorstellen lassen?"- "Ist sie noch so schön?" - "Na, die vielen Kinder, welche sie kriegt, werden ihr auch wohl die Schönheit ein bißchen nehmen!" -"Schlecht Wetter haben Sie wohl gehabt?" -
Diese Fragen folgten sich so schnell und zusammengedrängt aufeinander, daß man mit den Antworten füglich hin und wieder so durchschlüpfen konnte. Eine halbe Stund hatten wir Ohren und Mäuler recht angestrengt und empfahlen uns dann - antwortend und hörend - noch auf der Straße, weil so vieles zu berichtendes übrig blieb.

yellowshark
09.12.2001, 21:55
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Den 9. Oktober erreichten wir das liebe Poganitz und fanden gottlob alles gesund. Mein holder Wilhelm weinte vor Freuden und fand endlich seine Ruhe beim Auspacken der Spielsachen wieder. Nun kam der liebe Schwager Mach mit seinen Kindern und machte die Familiengruppe vollkommen; jetzt sollte gleich erzählt werden, allein die Freude des Wiedersehns störte den Zusammenhang und erst am folgenden Morgen kamen wir zum Zweck. Da stand der kleine blaue Kaffeetisch am freundlichen Kaminfeuer; auf dem gelben Stuhl saß der theure Vater, um die anderen Ehrenplätze war lange complimentiert worden; endlich gebot Vaterchen Ruhe, und die Familie saß geordnet; wir fingen an zu erzählen und am Ende dieses unbedeutende Werkchen zu lesen; da kamen alle vier Kinder; einer bat um Semmel, der andere Kaffee etc., sie wurden mit doppelten Portionen abgefunden und weggeschickt; darauf las ich weiter; kaum war eine Seite heruntergelesen, so kam Martin, hinter ihm drein die geschäftige Erdmuth und die redliche Bolduanen, welche mich schwesterlich küßte und alles wegen Hans'chen befragte; der liebe Vater sagte ihr kurz: "Mi leiw Kind, berauhig Di, Du schalst alles erfahren, wenn sie wära wegwäsa;" sie ging langsam von dannen und begegnete in der Thür dem Gärtner, der in Angelegenheiten zum Vater kam. Dieser wurde eilig entlassen. Er ging, nachdem Kröft hereingeschlichen war. Dies wurde den Eltern zu bunt, und die Uhlen bekam den Auftrag, den Leuten zu sagen, sie sollten für jetzt nicht kommen. Sie wollte nicht gern weit weg gehen, lief also an die Tür, diese in der Hand haltend gebot sie aus der Stube Ruhe, mit heller, lauter Stimme, und kam dann danz grade zur wartenden Gesellschaft zurück. Mütterchen sagte ihr halblaut ins Ohr: "Sie gutes Kind schrien sehr; wenn wir das gewollt hätten, würden wir Sie nicht geschickt haben. Nun setzen Sie sich ruhig auf Ihren Steiß und hören zu."
Uhleken küßte Mütterchen dankbar die Hand und sperrte die Ohren auf. Nun konnten wir ruhig die feierliche Stunde beendigen. Dies war aber auch der einzige Tag, wo wir allein waren. Den 19. fuhren wir zusammen mit den theuren Eltern und den lieben Mach'schen Geschwistern nach Guglow bei Bes. v. Zitzewitz zu Mittag; von da nach Goschen, in derselben angenehmen Gesellschaft. Den folgenden Tag war daselbst ein Diner, wo ich die Bekanntschaft der jungen Frau v. Zitzewitz aus Gansen machte; sie ist ein geborenes Frl. v. Schütz, eine sehr hübsche einnehmende Frau.

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Den 23. setzten wir von Bütow unsere Reise nach Preußen fort - die wir bisher hier in Kalthof glücklich beendigt haben und Gott für diese Gnade nicht genug danken können, ohne die geringste Unannehmlichkeit alles überstanden zu haben. Er wolle sich ferner unser annehmen und das Herz des geliebten Ferdinand zur Nachsicht stimmen, damit er ohne Verdruss und lange Weile lese das, was er enstehen hieß.


Antoinette.

den 26. Oktober 1801

yellowshark
10.12.2001, 16:51
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Antoinette * 8.12.1771 + 18.4.1821

Ihr Massow * 12.11. 1744 + 15.9.1827

Dorothea v. Mach * 17.10.1763 + 5.10.1848