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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Schneeballtorte á la dental



KHWinklhofer
30.11.2001, 22:40
Haben Sie nicht auch schon mal über eine aufdringliche Ver-
wandtschaft geseufzt, die sich grundsätzlich selbst zum Sonntagsnachmittagskaffee einlädt und zu allen möglichen
und unmöglichen Zeiten Ihr gemütliches Heim belagert? Woll-
ten Sie nicht schon immer ein Rezept kennenlernen, das Sie
davon ein für alle Male befreit?
Voila, hier ist es: Einfach, genial und hundertprozentig
wirksam:

Für die Zubereitung benötigen Sie:
1 Betonring von ca. 1 m Durchmesser, 100 kg. Gips, 50 bunte Murmeln, 10 ltr. geschlagene Sahne, 2 Kilo Schokoraspeln,
1 Wasserfaß für ca. 50 ltr., 1 Revolver und 6 Kaffeebohnen.
Das ist alles. Weiter benötigen Sie nichts.

Nun können Sie starten:
Schicken Sie als erstes an all ihre lieben Verwandten, die
Sie so gerne heimsuchen, eine Einladung für nächsten Sonn-tagnachmittag zu Kaffee und Kuchen..
Die Verwandten werden gerne kommen, um Sie wieder einmal so richtig arm essen zu können.

Als nächstes gilt es die Torte zu backen.Sie beginnen damit
am besten Sonntag früh.
Stellen Sie den Betonring in die Mitte Ihres Wohnzimmers
auf den Couchtisch. Aber stützen Sie diesen vorsichtiger-
weise mit den drei Büchern, die Sie besitzen, ab, damit er
nicht zusammenkracht (Das kommt davon, wenn man sich die
Möbel von Abholmärkten zusammenträgt).
Der Betonring ist glücklich auf dem Tisch. Nun schleppen

Sie die Gipssäcke in Ihr Bad, kippen deren Inhalt in die
Badewanne und rühren ihn mit Wasser zu einem geschmeidigen
Teig an.
Sind sie fertig damit, tragen Sie den Gipsteig schnellstmög-
lich eimerweise zu Ihrem Ring im Wohnzimmer.
Der Ring selbst ist etwa 50 cm hoch und soweit müssen Sie
ihn mit dem Gips auffüllen. Streichen Sie die langsam er-
starrende Masse sorgfältig glatt.
Bis sie vollkommen fest ist, haben Sie noch Zeit, um Ihr
Wasserfass zu füllen, es auf den Herd zu stellen und die
Heizplatten einzuschalten. Ja, alle vier, denn sonst brin-
gen Sie das Wasser nicht rechtzeitig zum Kochen.

Bedenken Sie, es ist inzwischen elf Uhr geworden.
Für 14 Uhr haben Sie die Verwandtschaft eingeladen, aber es
sind immer einige Gierhälse dabei, die bei solchen Gelegen-
heiten früher kommen, um mehr als die anderen zu erwischen.

Ihre Torte hat inzwischen die richtige Konsistenz erreicht,
sie ist steinhart.
Nun geht es an die Dekoration.
Mit sieben Litern der geschlagenen Sahne überziehen Sie
gleichmäßig dick ihren Tortenrohling.
Danach nehmen Sie eine Spritztülle, füllen sie sie nach und
nach mit der restlichen Sahne und verzieren weiter.
Ich überlasse es Ihrer eigenen Phantasie und Kreativität
welche Kringeln, Sternen, Linien, Sie auf der Torte anbrin-
gen wollen, ebenso die Verteilung der 50 bunten Murmeln und
der Schokoraspeln.
Ah fertig, schön!

Jetzt gehen Sie wieder in Ihre Küche, vergessen Sie aber
nicht, vorher die Wohnzimmertüre zu versperren. Denn es
könnte sein, daß sich ein besonders neugieriges Verwandten-
Mitglied in einem unbeobachteten Moment vorzeitig ins Wohnzimmer schleicht, um schon vor allen anderen von ihrem herrlichen und großartigen Törtlein zu naschen.
Inzwischen kocht auch schon das Wasser auf dem Herd. Holen
Sie nun ihren Revolver aus der Schublade, laden Sie die
Trommel mit den sechs Kaffeebohnen und schießen Sie sie
furchtlos ins kochende Wasser. Der Kaffee ist fertig.
Seien Sie ehrlich, haben Sie bei Ihren Verwandten je einen
besseren bekommen?

Plötzlich, es ist gerade 13.30 Uhr, hören Sie Schritte auf
Ihrem Flur. Und siehe da, wer steht vor Ihnen?
Der fetteste und gefräßigste Ihrer Verwandten, Charly, Ihr
Vetter dritten Grades.
Auf die Frage, wie er hereingekommen sei, sagt er wie zu
erwarten: "Durch die Wohnungstür, dumme Frage".
Er hat sie sicher mit einem Dietrich geöffnet, unter dem
Vorwand, er wollte Sie durch Läuten nicht stören bei den Vorbereitungen für den Familienbesuch. Schicken Sie Charly
ins Bad und sperren ihn dort ein. Lassen Sie aber den
Schlüssel von außen im Schloß stecken, wegen des Dietrichs.

Es läutet Sturm, die Verwandten sind da.
Sie öffnen, und wenn Sie bei diesem Anblick nicht der
Schlag trifft, haben Sie wirklich gute Nerven. Es sind alle
da, auch die Sie nicht eingeladen haben und mit denen Sie
wirklich nicht gerechnet haben.

Die Bande hat sich tatsächlich einen Großraumbus gemietet
(weil das billiger ist, als wenn jeder einzeln fährt) und
jetzt steht sie vor Ihrer Wohnungstür im dritten Stock bis
hinunter zum Hauseingang auf der Straße.
Verteilen Sie alle so gut es geht, im Flur, in der Küche, im Schlafzimmer und den Rest in der Besenkammer. Geben Sie mit
Hilfe von einigen willigen Verwandten den Kaffee aus. Keine
Sorge, daß die Tassen nicht reichen könnten: In der Angst
leer auszugehen, hat sich jeder seine eigene mitgebracht.

Sie werden den Kaffee sofort und gierig trinken, zum einen,
um Sie zu schädigen und außerdem sind sie nichts Besseres
gewöhnt.
Während sich alle um den Kaffee rangeln, sperren sie heim-
lich die Wohnzimmertür auf und lehnen sich neben den Rah-
men.
Dann verkünden Sie Ihrer Verwandtschaft, daß Sie heute eine
sehr große Torte für sie gebacken hätten, Zuerst ungläubiges Schweigen, denn sie selbst haben sich gegenseitig noch nie zu
mehr als zu "einem Tässchen Kaffee" eingeladen.
Einige von ihnen drängen sich schon in Richtung Wohnzim-
mer. Ein besonders mutiger hat bereits die Klinke in der
Hand, reißt jetzt mit einem Ruck die Tür auf und da steht
die wundervollste Torte, die die Verwandtschaft je gesehen
hat. Nun gibt es kein Halten mehr. Wissen Sie jetzt, warum
ich Ihnen empfohlen habe, sich neben der Tür aufzuhalten?
Nun bleibt ihnen wenigstens der Fluchtweg in den Flur.
Übereinander stürzend stürmen sie jetzt alle in ihr Wohn-
zimmer.
Da - die ersten schlecken schon.Als alle drin sind, wird es

eng, sehr eng.
Das erste Frauengekreische klingt heraus. Sie balgen sich um
die Sahne und die bunten runden Dinger oben drauf. Die gla-
sierten bunten Murmeln haben Sie tatsächlich für glasierte
Haselnüsse gehalten und schon geknackt.
Jetzt geht's ans Eingemachte. Man hört das erste Brüllen von Männerstimmen, kurz darauf Faustschläge und keuchendes Rin-
gen.
Die Frauen sind inzwischen zur sogenannten Kopfrupftaktik übergegangen. Büschelweise fliegen blonde , schwarze, rote Perücken, Haarteile und wo dies nicht vorhanden, sogar Echt-
haar durch die Wohnzimmertür.

Hoffentlich geht es bei Ihnen nicht ganz so turbulent zu
wie bei mir damals.
Es war schockierend, aber inzwischen wohne ich glücklicher-
weise schon lange nicht mehr in diesem Land, in dem die Ver-
wandten so liebenswürdig sind.

Jetzt passen Sie gut auf, denn Sie müssen nun als fürchter-
lich schockierter Hausherr in Erscheinung treten.
Seien Sie ruhig deutlich, eine andere Sprache verstehen die
da drinnen eh nicht. Sprechen Sie von "Saustall, perversem
Gesocks" und werfen Sie der Verwandtschaft vor, Ihre Woh-
nung demoliert zu haben. Dann halten Sie kurz inne, schüt-
teln den Kopf und sagen verblüfft: "Wie seht Ihr überhaupt
aus?"
Sie werden sich gegenseitig mustern und feststellen, daß die
meisten von ihnen, außer dem Haarverlust und sonstigen Beschädigungen auch keine Vorderzähne mehr haben.

Zum Teil haben sie sich diese gegenseitig ausgeschlagen,
aber den größeren Teil haben sie sich an der Torte ausge-
bissen. In der Gier, unbedingt ein Stück davon zu bekom-
men, haben Sie dies nicht gemerkt.
Treten Sie dann vor Ihre nun kleinlaute, zahn- und haarlose Verwandtschaft als der große Friedensstifter. Bevor sich
alle gegenseitig die Schuld geben und wieder aufeinander
losgehen, sagen Sie ihnen, daß Sie, obwohl Sie es bitter
bereuen für eine solch unwürdige Gesellschaft eine Torte
gebacken zu haben, Ihnen dennoch helfen wollten.
"Gleich unten um die Ecke" sagen Sie, " ist eine gute und
günstige Zahnarztpraxis, und ein wenig weiter die Straße
hinauf ein hervorragender Friseursalon, der Mengenrabatt
gibt."
Ihre Verwandten werden alle sofort losstürmen, während Sie
an die 50% Provision denken, die Sie vorher mit Zahnarzt
und Friseur vereinbart hatten.
Der Zustand ihrer Wohnung stört Sie jetzt nicht mehr. Ver-
gnügt rechnen Sie sich die saftige Summe aus, die sich so-
gar durch die Zahl der Überraschungs-Verwandten noch er-
höht hat.

Ich weiß, Sie werden einwenden, selbst, wenn Sie an die
horrenden Honorare von Zahnärzten denken und die gesalze-
nen Preise der Friseure, sind Sie jetzt noch kein Millionär.
Denn man hat meist nur einmal die Gelegenheit Verwandte zu
einer solchen Torte einzuladen. Das stimmt. Aber der Zahn-
arzt und der Friseur waren sehr angetan von meinem Torten-
rezept und ihre Angestellten (es kamen fünfzig Personen zu-
sammen) auch.

Sie haben mich gebeten, auch für Ihre Verwandten solche Tor-
tenfeste zu veranstalten.
Ich habe daraufhin die "Verwandteneinladungen " ein Jahr durchgehalten und bin jetzt ein ziemlich wohlhabender Mann.
Von dem Geld habe ich mir eine 25-Meter-Yacht gekauft und
lebe nun auf meiner eigenen Insel westlich von Samoa.
Der Zahnarzt hat mir geschrieben (er kriegt eben den Hals
nicht voll), ob ich nicht jemanden wüßte, der ersatzweise
für mich solche "Verwandtentortenfeste " veranstalten würde.
Er hätte etliche Interessenten an der Hand.
Ich habe zurückgeschrieben, ich würde sehen, was sich tun
ließe.
Wer sich also für diesen Job interessiert, kann mir schrei-
ben. Dann werde ich Ihm die Chiffre-Nummer des Zahnarztes mitteilen, denn er selbst möchte anonym bleiben.
Ein herzliches Aloah.

P.S: Sie sehen daran, daß Schneeballsysteme manchmal durch-
aus funktionieren können, fragt sich immer nur wie.
Ein Modell meiner Torte habe ich auf meine Insel mitgenom-
men und sie steht nun versilbert auf einem Marmorsockel im Vorgarten meiner Villa.