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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Weiszäcker, Richard von



Kleinroeschen
04.04.2016, 22:49
Sommer 1991. Seit ein paar Jahren hangele ich mich mit Stückverträgen durch die süddeutsche Opern- und Theaterszene. Hier ein bisschen Mozart in Baden-Baden inspizieren, dort ein bisschen bei den Ludwigsburger Festspielen soufflieren, zwischendurch Garderobe in Heidelberg - und dann kommt ein Notruf vom Bruder einer Freundin: er ist in Bad Wildbad als Assistent der Festspielleitung ‚Rossini in Wildbad‘ und die gesamte Festspielleitung einschließlich Dirigent ist wg. interner Differenzen abgehauen. Nun soll Volker übernehmen, aber die Umstände sind schwierig: der Dirigent hat sein Orchester mitgenommen und es bleiben nur ein paar Tage, um ein neues zusammenzustellen. Er braucht Verstärkung und ich hab‘ nix gegen Abenteuer und erkläre mich bereit. Rossini in Wildbad? Dochdoch, der war da ein paar Mal zum Auskurieren, reicht doch als Grund für ein Festival. Gibt’s übrigens immer noch! Vor Ort finde ich eine Ruine vor – ein altes, verfallenes Kurhotel direkt am Park. Die Stadtverwaltung hat es zur Verfügung gestellt und die ganze Mannschaft wohnt hier wegen Kostenersparnis. Es ist nicht ganz so schlimm wie das Hotel in The Shining und ich habe einen Balkon mit schöner Aussicht. Viel sehe ich aber nicht von der Aussicht, weil das Herantrommeln eines neuen Orchesters, die Probendisposition und der Probenplan meine ganze Zeit fressen. Gelegentlich (meistens spätnachts) verfluche ich den abgehauenen Herrn Dirigenten und sein flüchtiges Orchester. Eines Abends denke ich gerade überhaupt nicht an sie, weil ich meinen Freund in meinem abgerissenen Hotelzimmer erwarte. Es klopft, ich rufe mit kehligem Alt ‚Come i-in!‘ und herein kommt….der abgehauene Herr Dirigent. Er hat auch noch seinen ca. 8-jährigen Sohn dabei und worum es ging habe ich vergessen. Ich trage nämlich nur ein Handtuch und es fordert mein ganzes performatives Repertoire, um so zu tun, als sei ich ganz normal bekleidet und quasi dienstlich im Gespräch.
Der eingesprungene Festivaldirektor Volker hat kreative Ideen, um das Rossini-Festival mehr in der Stadt zu verankern – so hat er eine Serie von ‚spuntini‘, kleine delikate Häppchen, an öffentlichen Orten geplant und ich und der technische Direktor Siggi müssen uns mit der Realisierung herumschlagen. Wir finden einen jovialen und korpulenten Laiendarsteller namens Elmar als Rossini und er erscheint mit der Koloratursopranistin Jennifer aus Wales auf einem Balkon bei einem Volksfest. Ich muss im Kostüm die jubelnden Statisten koordiniern und dann die wurstessende Menge zum Zuhören einer kunstvollen Koloraturarie motivieren. Ein Schauspieler-Freund wird als Wagner besetzt und muss in verschiedenen Cafes kuchenessend monologisieren. Und so langsam habe ich auch mein Orchester zusammen und habe mich mit dem eingesprungenen englischen Dirigenten gut angefreundet – wir bilden eine effektive Front gegen diverse Hausmeister und ihre Feierabend-Mittagspausen Vorstellungen. Am Abend vor der Premiere von Semiramide (Rossini) schlägt plötzlich die Nachricht ein, daß Richard von Weizsäcker, damals Bundespräsident, zur Premiere erscheinen wolle (er kurt in einem nahegelegenen, dem unseren sehr unähnlichen Hotel). Also Dirigenten antreiben, die Nationalhymne für kleines Orchester zu arrangieren, Extrasitze für Leibwächter, sicheren Raum für Empfang organisieren, Trompeter überreden, eine Fanfare als Pausenendsignal einzuüben, Blumenschmuck, Presse im Zaum halten und und und. Fast wär‘ ich nicht zum Umziehen gekommen, aber dann reicht es gerade noch und der Hausmeister und ich stehen an beiden Seiten der Eingangstür zum Zuschauerraum; ich mit wirrem Haar und an meine ‚to do‘ Liste denkend, er mit prominenter Fliege. Sich zu seinen vollen 160 cm aufrichtend und seinen Anzug zurechtrückend sagt er ergriffen ‚Da kommt unser Bundespräsident.‘ Weizsäcker, milde lächelnd, schreitet mit seiner Gattin auf uns zu, nickt und zeigt mir seine Eintrittskarte. ‚Wenn Du wüsstest, wer hier die Nationalhymnenorganisation und die Orchesterbeschaffung hingekriegt hat…‘ denke ich, während ich so tue, als kontrolliere ich seine Karte. Einlass war nämlich bisher nicht auf der Liste meiner Gelegenheitsjobs vorgekommen und so muss ich improvisieren.

Abspann: Nach Festivalende fahren der Wagner-Schauspieler und ich in einem rosanen Trabi (1991!) von Bad Wildbad auf die Insel Texel, um uns seiner Familie zuzugesellen. Im Kofferraum haben wir einen wunderbaren Fresskorb, zusammengestellt von der Bekannten des charmanten Rossini-Darstellers Elmar.

Herr Weber
05.04.2016, 06:27
Hurra!

slowtiger
05.04.2016, 08:44
Fellinis Orchesterprobe. Und ich dachte zuerst, mei, das tät man doch mal verfilmen müssen, aber dann dachte ich, wei, deutscher Film, und es würde so dermaßen in die Hose gehen.

Klugscheisser
17.04.2016, 17:59
Huch! Kara, du hier! Small world. (Isa)

Kleinroeschen
18.04.2016, 12:59
Haste mich am Kehrwochenzitat erkannt?! xx