Herr Genista
22.11.2001, 00:27
Im Hafen von San Diego liegen zwei Flugzeugträger, Bananenhubschrauber wachsen als Zierpflanze über der Bucht. Der Tourismus hier in Californien ist praktisch zum Erliegen gekommen seit dem Fall der Türme, Restaurants hungern nach Mäulern und zerren verbal an den Passanten, nur wenig freundlicher als die Lederverkäufer und Glasperlenhändler im nahen Tijuana.
Die Konferenz der Society for Neuroscience hat für sechs Tage 25.000 Menschen in die Stadt gespült, die von dutzenden von Vorträgen und wissenschaftlichen Postern so rammdösig gemacht werden, daß das lokale Fernsehen einen Schluckauf bekommt und mehrfach einen euphorischen Bericht sendet: 40 Millionen Dollar bringt die Konferenz, die Vergrößerung des Konferenzzentrums war doch keine Verschwendung, God Bless America.
Vor fast einem ganzen Jahr kam ein Dozent strahlend in meinen Kurs, habt Ihr schon gehört, fragte er, Kandel hat den Nobelpreis gewonnen. Wenn im Nebenhaus eine Bombe einschlägt, fürchtet man sich vor Splittern, oder man fürchtet, daß der nächste Knall zu laut sein könnte und zu nah. So hoffte dieser Dozent auf einen Splitter vom Ruhm, und erzählte zehn Minuten lang von Kandel, den niemand von uns kannte.
Während der Konferenz in San Diego lief einer der großen Flugzeugträger aus, in der Stadt klebten in den Restaurants vorgedruckte Pappschilder, zwischen "Welcome" und "to San Diego" stand auf dem einen "USS Niemitz", "Society for Neuroscience" auf dem anderen. Kundschaft ist Kundschaft. Zahlreiche Ausgehuniformen blitzten durch kalifornisch nackte Ausgehhaut.
Kandels Vortrag war einschläfernd, übergroß redete er von einer gewaltigen Leinwand über Gedächtnis, Lernen, Synapsen, Moleküle, keiner wollte all die Details hören. Er begann mit einem lahmen Witz, der einzigen Auflockerung, soweit wir hörten. Nach zehn Minuten gingen wir, wir waren noch erschöpft vom vorherigen Redner, seinem Vortrag über Rinderwahn und Prionen. Der war so schlecht gewesen, daß wir die ganze Zeit gelacht hatten, "these mice are just like cows, they're bovine mice", vierzig Minuten lang machte der alte Sack dort vorne Werbung für die Pharmaindustrie, warnte vor einer gewaltigen Creutzfeld-Jacob-Epidemie und belegte keine seiner Behauptungen. Wirr wanderte sein Laser über Graphen und Daten, nichts war verständlich. Dagegen war Kandel angenehm, aber schlafen konnte man besser im beheizten Außenpool im Hotel.
Das Grad Student Social, im San Diego Ballroom des Marriott-Hotels war gut besucht, wir gingen durch die luxuriöse Lobby Richtung Ballroom, der Teppich dämpfte die Schritte der Massen junger, partytoller Akademiker, da stieg aus einem Aufzug ein Männlein, es hätte unter meine Schulter gepaßt. Unter dem Gesicht trug es eine rote Fliege mit dunklen Punkten, verschmitzt lächelnd und in Begleitung zweier Damen kam uns der Nobelpreisträger entgegen und war vorbei. "Nanu, klein", dachte ich.
Am nächsten Morgen hörten wir vom Flugzeugabsturz in New York. Kandel sah ich nicht wieder.
Die Konferenz der Society for Neuroscience hat für sechs Tage 25.000 Menschen in die Stadt gespült, die von dutzenden von Vorträgen und wissenschaftlichen Postern so rammdösig gemacht werden, daß das lokale Fernsehen einen Schluckauf bekommt und mehrfach einen euphorischen Bericht sendet: 40 Millionen Dollar bringt die Konferenz, die Vergrößerung des Konferenzzentrums war doch keine Verschwendung, God Bless America.
Vor fast einem ganzen Jahr kam ein Dozent strahlend in meinen Kurs, habt Ihr schon gehört, fragte er, Kandel hat den Nobelpreis gewonnen. Wenn im Nebenhaus eine Bombe einschlägt, fürchtet man sich vor Splittern, oder man fürchtet, daß der nächste Knall zu laut sein könnte und zu nah. So hoffte dieser Dozent auf einen Splitter vom Ruhm, und erzählte zehn Minuten lang von Kandel, den niemand von uns kannte.
Während der Konferenz in San Diego lief einer der großen Flugzeugträger aus, in der Stadt klebten in den Restaurants vorgedruckte Pappschilder, zwischen "Welcome" und "to San Diego" stand auf dem einen "USS Niemitz", "Society for Neuroscience" auf dem anderen. Kundschaft ist Kundschaft. Zahlreiche Ausgehuniformen blitzten durch kalifornisch nackte Ausgehhaut.
Kandels Vortrag war einschläfernd, übergroß redete er von einer gewaltigen Leinwand über Gedächtnis, Lernen, Synapsen, Moleküle, keiner wollte all die Details hören. Er begann mit einem lahmen Witz, der einzigen Auflockerung, soweit wir hörten. Nach zehn Minuten gingen wir, wir waren noch erschöpft vom vorherigen Redner, seinem Vortrag über Rinderwahn und Prionen. Der war so schlecht gewesen, daß wir die ganze Zeit gelacht hatten, "these mice are just like cows, they're bovine mice", vierzig Minuten lang machte der alte Sack dort vorne Werbung für die Pharmaindustrie, warnte vor einer gewaltigen Creutzfeld-Jacob-Epidemie und belegte keine seiner Behauptungen. Wirr wanderte sein Laser über Graphen und Daten, nichts war verständlich. Dagegen war Kandel angenehm, aber schlafen konnte man besser im beheizten Außenpool im Hotel.
Das Grad Student Social, im San Diego Ballroom des Marriott-Hotels war gut besucht, wir gingen durch die luxuriöse Lobby Richtung Ballroom, der Teppich dämpfte die Schritte der Massen junger, partytoller Akademiker, da stieg aus einem Aufzug ein Männlein, es hätte unter meine Schulter gepaßt. Unter dem Gesicht trug es eine rote Fliege mit dunklen Punkten, verschmitzt lächelnd und in Begleitung zweier Damen kam uns der Nobelpreisträger entgegen und war vorbei. "Nanu, klein", dachte ich.
Am nächsten Morgen hörten wir vom Flugzeugabsturz in New York. Kandel sah ich nicht wieder.