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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Otto Schily - Superstar



Thrud
04.06.2012, 15:35
Europameisterschaft der Kunstturner – vor 12 Jahren:

Als langjähriges Mitglied eines Turnvereins, der u.a. diese Meisterschaft ausrichtet, kommen ehrenamtliche Aufgaben auf mich zu, die ich nicht gewohnt bin.
Ich soll das Bier perfekt zapfen, Tabletts einhändig und möglichst elegant von Tisch zu Tisch balancieren, in der VIP Lounge Blumenarrangements zupfen, das Bufett immer wieder herrichten und eine fette kubanische Zigarrenkiste mit dem Aufdruck Cohiba Coronas Especiales neben einem ebenso fetten Ohrensessel platzieren, der für sich allein am wärmenden Südfenster der Lounge steht.
Auf das violette 70er Jahre-Tischlein daneben kommt der goldrandige Aschenbecher. Eine Schmach für sensible Augen.
Zigarren? Aschenbecher? Hängt hier in der Bremer Stadthalle nicht an jeder Tür das „Rauchen verboten“ - Schild?
Egal, was weiß ich denn? Für mich, für uns – fürs Fußvolk eben gelten diese spießigen Regeln. Als einer der Stargäste zur Eröffnungsfeier wird aber unser Innenminister, damals eben Otto Schily, eine kurze Rede halten. Und für ihn – wie für den Papst oder Helmut Schmidt - ist eben alles anders.

Schilys Rede vor der schwitzenden Turnerschaft und dem fachkundigen Publikum wird ca. 10 Minuten dauern. So stehts im Protokokoll.
Ottos Aufenthalt in der VIP Lounge bei Kaffee, Bier, Buffet und den eingangs erwähnten dicken Havannas dauert über drei Stunden.
Otto ist ein Star, trotz auftragendem Jacket und verknitterter Anzughose. Unsere Servicecrew aus Volleyballerinnen, U21-Fußballmännern und den alten Herren aus der Faustballabteilung dienert und knickst fortwährend um ihn herum.
Er bittet nicht um Bier, Kaffee und Zigarren. Er winkt sie, im braunledernen Ohrensessel thronend, herbei.
Mit einem lockeren Schwenken der rechten Hand gibt er mir energische Zeichen. Das tut er vier Mal, bevor ich ihn endlich wahrnehme. So ein heimisches Pils zapft sich eben nicht von allein.
Diese Unhöflichkeit quittiert er mit kräftigem Grunzen: „ Soll ich nun selbst losgehen oder was wird das hier?“ raunzt er mich mit seiner sonoren Stimme an und schnippst ungeduldig mit den Fingern.
Jaja, ich komme ja schon.
Die Havanna schmökt er pausenlos und mit sinnenfroh vorgewölbten Lippen. Selbst beim Essen lagert sie qualmend über dem goldrandigen Aschenbecher. Sie findet offenbar seine Anerkennung.
Und mit ihm die ganze Kiste, die nimmt er beim Abflug mit nach Haus.