Little Gestalt
06.11.2011, 16:46
Jochen Distelmeyer, der Musiker, ehemals bei der Band ‚Blumfeld‘ Sänger und Lieder-Schreiber: Ich würde nicht über seine Privatsituationen schreiben, wenn nicht die Geschichte schon gut zehn Jahre her wäre. Da er den Autor dazu noch recht ruppig behandelt hat, dieser aber auch nicht in strahlendem Licht erscheint, scheint es mir fair:
Es war in der nahe Hamburg gelegenen Stadt Lüneburg. Sie ist sehr schön und etwas mystisch und man denkt manchmal, sie liegt nicht in Deutschland, sondern in einer anderen Zeit. Es gab ein Konzert im ‚Vamos‘ am Universitätscampus, das heute – wie auch die Universität – eine sehr gewöhnlicher Schuppen ist, damals aber etwas feines war. Die Band Mina spielte in der Stadt, kennt die noch jemand? Eine tolle, größtenteils instrumentale Rock-Band. Wir Kulturwissenschaftler, ‚Kuwis‘, lernten in Lüneburg Synthesizer, Kunstfeld oder Sprachphilosophie, Gender oder über ‚Post-Rock‘ oder Computerspiele sprechen und anderes. Es konnte manche beflügeln, andere lehrte es, zwischen sich und das Leben eine Schicht zu legen, die alles relativierte. Das Leben, die Essenz, verkriecht sich übrigens noch weiter, wenn dazu Joints geraucht werden und man dicht ist, und das war unglücklicherweise der Zustand des Autors während und nach dem Konzert.
Jochen Distelmeyer war auch da, und als mich jemand darauf hinwies, wurde ich sehr aufgeregt, denn zu der Zeit hörten ein Freund und ich gerade ‚Old Nobody‘, was die erste Blumfeld-Platte war, die ich kennengelernt hatte. Ich war noch nicht ganz begeistert von Blumfeld, aber ich ahnte schon, dass da etwas ganz besonderes am Weben ist. So schaute ich während des Abends immer mal heimlich rüber zu ihm und wunderte mich, dass er nicht rauchte, sondern Hustenbonbons zu lutschen schien. ‚Stimme schonen‘, dachte ich mir, ‚richtig‘. Das Konzert war zu Ende, ich ging mit einem Bekannten zum Tischkicker. Wir waren gerade da, schauten wo die Bälle seien usw., da kam schon Jochen D. mit einem anderen – ich weiß nicht mehr, ob es ein Bandmitglied war, ich glaube schon – und wollte gegen uns spielen. Ich: Herzklopfen. Mein damaliger Bekannter, ein eher vierschrötiger und klassischer Hamburger HSV-Fan-Junge, der, so vermute ich heute, nicht wusste, wer das Gegenüber war, machte während wir spielten, Bemerkungen, die mir zunehmend peinlich waren, wusste ich doch durch die CD von Jochens Sensibilität, konnte seinen Scharfsinn nur erahnen: Als Anhaltspunkt diente mir das tolle Gedicht, mit dem ‚Old Nobody‘ anfängt. Ich traute mich gar nicht nach oben zu schauen, sagte auch wenig, war einigermaßen erstarrt, man vergesse nicht meinen Rauschzustand. Blumfeld (nehme ich jetzt einfach mal an) spielten ziemlich gut, sie schlugen uns unbarmherzig 10:0 oder zwei mal 6:0. Vermutlich wollte Jochen uns aus der Reserve locken, oder hatte uns schon gemeinsam abgestempelt als dröge Jungend von heute. Er sagte zu seinem Partner: „Weißt du noch, gegen Depeche Mode beim Rock am Ring? Die waren auch gut. Nicht so wie die Wichser“ Unsere Entgegnung kam über ein muhendes „Hee, he.“ nicht hinaus. Dann sprach er, bestimmt nicht mit uns, über Beck, dessen damals aktueller Song ‚Sexx Laws‘ gerade lief und nannte ihn ein „Cleverle“, womit er, der gerade Songs machte, die vielen Leuten wegen ihrer Offenheit mit Liebesworten peinlich waren, wohl dessen Spiel mit Codes und Stilen meinte, vielleicht sagte er das auch so. Es wurde bestimmt noch mehr geredet, aber ich weiß nicht mehr was. Irgendwie kam ich aus der Starrheit – anders als bei den vielen Blumfeld-Konzerten, die folgen sollten oder beim Tanzen in meinem Zimmer zu den Platten – nicht mehr raus. Vor oder nach unserem Spiel gratulierte er einem Musiker von Mina noch begeistert zu dem tollen Konzert, völlig zu recht.
Wie könnte ich ihm böse sein?
Es war in der nahe Hamburg gelegenen Stadt Lüneburg. Sie ist sehr schön und etwas mystisch und man denkt manchmal, sie liegt nicht in Deutschland, sondern in einer anderen Zeit. Es gab ein Konzert im ‚Vamos‘ am Universitätscampus, das heute – wie auch die Universität – eine sehr gewöhnlicher Schuppen ist, damals aber etwas feines war. Die Band Mina spielte in der Stadt, kennt die noch jemand? Eine tolle, größtenteils instrumentale Rock-Band. Wir Kulturwissenschaftler, ‚Kuwis‘, lernten in Lüneburg Synthesizer, Kunstfeld oder Sprachphilosophie, Gender oder über ‚Post-Rock‘ oder Computerspiele sprechen und anderes. Es konnte manche beflügeln, andere lehrte es, zwischen sich und das Leben eine Schicht zu legen, die alles relativierte. Das Leben, die Essenz, verkriecht sich übrigens noch weiter, wenn dazu Joints geraucht werden und man dicht ist, und das war unglücklicherweise der Zustand des Autors während und nach dem Konzert.
Jochen Distelmeyer war auch da, und als mich jemand darauf hinwies, wurde ich sehr aufgeregt, denn zu der Zeit hörten ein Freund und ich gerade ‚Old Nobody‘, was die erste Blumfeld-Platte war, die ich kennengelernt hatte. Ich war noch nicht ganz begeistert von Blumfeld, aber ich ahnte schon, dass da etwas ganz besonderes am Weben ist. So schaute ich während des Abends immer mal heimlich rüber zu ihm und wunderte mich, dass er nicht rauchte, sondern Hustenbonbons zu lutschen schien. ‚Stimme schonen‘, dachte ich mir, ‚richtig‘. Das Konzert war zu Ende, ich ging mit einem Bekannten zum Tischkicker. Wir waren gerade da, schauten wo die Bälle seien usw., da kam schon Jochen D. mit einem anderen – ich weiß nicht mehr, ob es ein Bandmitglied war, ich glaube schon – und wollte gegen uns spielen. Ich: Herzklopfen. Mein damaliger Bekannter, ein eher vierschrötiger und klassischer Hamburger HSV-Fan-Junge, der, so vermute ich heute, nicht wusste, wer das Gegenüber war, machte während wir spielten, Bemerkungen, die mir zunehmend peinlich waren, wusste ich doch durch die CD von Jochens Sensibilität, konnte seinen Scharfsinn nur erahnen: Als Anhaltspunkt diente mir das tolle Gedicht, mit dem ‚Old Nobody‘ anfängt. Ich traute mich gar nicht nach oben zu schauen, sagte auch wenig, war einigermaßen erstarrt, man vergesse nicht meinen Rauschzustand. Blumfeld (nehme ich jetzt einfach mal an) spielten ziemlich gut, sie schlugen uns unbarmherzig 10:0 oder zwei mal 6:0. Vermutlich wollte Jochen uns aus der Reserve locken, oder hatte uns schon gemeinsam abgestempelt als dröge Jungend von heute. Er sagte zu seinem Partner: „Weißt du noch, gegen Depeche Mode beim Rock am Ring? Die waren auch gut. Nicht so wie die Wichser“ Unsere Entgegnung kam über ein muhendes „Hee, he.“ nicht hinaus. Dann sprach er, bestimmt nicht mit uns, über Beck, dessen damals aktueller Song ‚Sexx Laws‘ gerade lief und nannte ihn ein „Cleverle“, womit er, der gerade Songs machte, die vielen Leuten wegen ihrer Offenheit mit Liebesworten peinlich waren, wohl dessen Spiel mit Codes und Stilen meinte, vielleicht sagte er das auch so. Es wurde bestimmt noch mehr geredet, aber ich weiß nicht mehr was. Irgendwie kam ich aus der Starrheit – anders als bei den vielen Blumfeld-Konzerten, die folgen sollten oder beim Tanzen in meinem Zimmer zu den Platten – nicht mehr raus. Vor oder nach unserem Spiel gratulierte er einem Musiker von Mina noch begeistert zu dem tollen Konzert, völlig zu recht.
Wie könnte ich ihm böse sein?