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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Grass



spln
20.10.2010, 14:59
Letzes Wochenende wieder auf einer einer Beerdigung. Langsam werde ich Routinier. Der Knoten in der schwarzen Krawatte ist noch gebunden. Nach dem Leichenschmaus bleibt noch ein harter Kern Frankfurter Alt68er und trinkt.
Ich sitze neben einer ehemaligen Kollegin meiner Mutter mit wagnerianischem Vornamen. Ich werde sie Brünhilde nennen (ihr richtiger Vorname ist noch absurder). Sie hat tiefschwarzes, großes Haar, zuviel Kajal und viele geplatze Äderchen auf den Backen. Sie war mal ein richtig "steiler Zahn" (ihre Worte) und hat in den 60ern in einer großen frankfurter Buchhandlung gearbeitet.
Auf einer Buchmessensause hat sie dann mit Günter Grass getanzt. "Und der war ein Tänzer. So agil, und mit Feuer, würd man gar nicht denke, wenn man den heute sieht." Sie hat ihn dann mit nach Hause genommen und sie verbringen eine leidenschaftliche Nacht.
Als sie aufwacht ist er weg. Auf dem Tisch liegt die Blechtrommel (das einzige Grass-Buch, das sie besaß.) Und auf dem Vorsatzblatt steht "Ich habe Brünhilde erkannt! Günter Grass." Später, als sie U. heiratete, musste sie das Buch dann verstecken, weil der immer soo eifersüchtig war, aber der ist ja jetzt auch schon eine Weile unter der Erde. Und neulich beim Nobelpreis, da hat sies wieder rausgeholt angeschaut und sich gefreut.
Im ICE schlafe ich ein, habe wiederliche, unerklärliche Träume. Im Ostbahnhof weckt mich der Schaffner, kotziger Geschmack im Mund.

vir
20.10.2010, 17:24
Das erste Sympathische, was mir über Grass zu Ohren kommt, danke für die Anekdote.

bettyford
20.10.2010, 20:53
Großartige Anekdote, aber jetzt habe ich den Gehirnwurm "Häuptling kotziger Geschmack im Mund, der offensichtlich kein Wunschkind war" den ganzen Tag im Kopf.

U_Sterblich
21.10.2010, 09:54
ich war auch kein Wunschkind, ich habe nur eine blutige Nase. Trotzdem irritierend, wenn Autoren ihre Werke bei sich tragen, um sie hinterher signiert auf fremden Tischen liegen zu lassen.

Stimmen
21.10.2010, 10:02
Es war ihrs, steht oben. Was mich etwas mehr irritiert, ist allerdings der für mich nur lutherisch-biblisch zu verstehende Satz "Ich habe Brünhilde gefickt", und was daran so reizend und sympathisch sein soll.

kat-o
21.10.2010, 10:11
Das Schöne an dieser Ausdrucksweise (es sei denn, Grass hinterlässt sie irgendwo - meine Meinung) ist der ursprünglich griechische Satz, finde ich, da das Wort gignôskein ja sonst gern philosophisch bedeutsam und nur für geistige Erkenntnis gebraucht wird. Bibellesen macht ohne Bibel viel mehr Spaß.

vir
21.10.2010, 11:51
Sypathisch finde ich das, weil er sich erstens nicht völlig grusslos aus dem Staub macht und zweitens mit seinem "erkannt" in Verbindung mit ihrem "wagenrianischen" Vornamen auf die geschwollene, historisierende Diktion der Wagner'schen "Tondramen" anspielt.

Verboten Wolf
21.10.2010, 12:06
Andererseits sind die Antiquariate vermutlich voll mit Grass-Bänden, in denen "Ich habe <Frauenname> erkannt" drinsteht, wagnerianisch oder nicht.

joq
21.10.2010, 12:34
Gilt das dann als Mängelexemplar?

kat-o
21.10.2010, 12:39
"Ich habe Cindy erkannt" bringt wahrscheinlich ein zwei Eurones mehr als der Ursprungspreis wegen ironischer Brechung des eigenen Wagnerianismus.

elinor
21.10.2010, 17:24
Die Geschichte scheint mir direkt von einem Yukkapalmenblatt geronnen. Ich jedenfalls kenne sie. Entweder hat Brünhilde den spln gefoppt oder er versuchte es mit uns.

vir
21.10.2010, 20:28
Man hätte es sich ja denken können: Viel zu sympathisch für Grass!

Klingeltonk
21.10.2010, 20:39
Der Versuch, die Angelegenheit zu googeln, führt immer zum Strang "Wie erkennt man gutes Gras" in einem sog. "Kiffer-Forum".