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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : YSL, in memoriam



Norma L.
02.06.2008, 20:21
So, nun stelle ich die Geschichten wieder ein, die vormals "Glucksmann, André" und "Deneuve, Catherine" hießen, weil darin YSL vorkommt. Die von mir heute bei der Friseuse angetroffene Maria Lassnig lebte übrigens, wie ich ihrer Biographie entnehme, zur selben Zeit in Paris. Während ich im Gefolge meiner still empörten Mutter 1968 in den Norden abzog, ging Lassnig nach New York.

Norma L.
02.06.2008, 20:22
In den mittleren Sechzigern bekam mein Vater einen Job in Paris. An der Uni. Ich war ein grad noch ein Kind. Meine Mutter eine schöne Frau. Paris.

Wir, meine kleine Schwester und ich, waren auf französische Art gut untergebracht: Schule und Jeanne. Mama war zu Maman geworden, und sie genoss Paris.

Jeanne kochte und sorgte für uns alle. Sie kam aus der Bretagne und war eine brave Frau. Sie hatte eine Vorliebe für Gott und – erstaunlicherweise – für Napoleon, vor allem für Joséphine. Meine Mutter genoss Paris, außer Atem - und dann wurde ihr ein wenig langweilig, da mein Vater sich in die Revolution etc. involvierte.

Ich gab vor, in Französisch der Nachhilfe zu bedürfen. Ich war an die Schwelle gelangt und Jeannes Welt begann mir zu eng zu werden.

Meine Mutter sah darin auch für sich eine Chance. Sie beauftragte meinen Vater, jemanden zu finden, der mit mir Französisch sprechen sollte, und zwar über Gott und die Welt. Und der meine Grammatik en passant adjustieren sollte.

Mehrere attraktive Studentinnen etc. meines Vaters erschienen zum Mittagessen. Keine gefiel uns. Wirklich. Weder ich noch Maman konnten uns mit einer von ihnen anfreunden. Ich war in alarmierender Weise dazu übergegangen, englische Hits im Radio zu hören, als endlich Rettung in Sicht kam. Jedenfalls für mich.

Eines Tages erschien ein schlaksiger junger Mann mit kühner Nase und traurigem Blick. Er hatte wilde schwarze Locken und trug einen Rollkragenpullover. André. Wir alle fanden ihn toll. Bis auf Jeanne. Sie sagte aber nichts. Bretoninnen können schweigen.

Maman begann, Kleider bei YSL und Paco Rabanne zu studieren. Ich war im Siebten Himmel: André war wirklich nett und geduldig - wenn auch ein wenig ernsthaft, und er wusste unendlich viel. Er kam fast jeden Tag. Meistens holte er meine kleine Schwester und mich von der Schule ab, und schon auf dem Heimweg verwandelten wir uns in französisch zwitschernde Schwalben, anmutig und definitiv auf der Durchreise. André unterstützte diesen Lebensentwurf entschieden. Er bestärkte uns, unsere Wurzeln zu ehren, doch unsere Freiheit zu hüten.

Zuhause war dann Jeanne, reserviert, und auch meine Mutter. Die war André sehr wohlgesonnen. Wir konnten das an ihrer außergewöhnlichen und anhaltenden Freundlichkeit, ja Samtigkeit erkennen. Sie fand sogar gewisse Vorlieben unseres Hauslehrers heraus und lud ihn gerne zu Konzerten und in die Oper, da mein Vater sehr beschäftigt war.

Allein, je lieber wir André gewannen, desto stiller wurde meine Mutter. André schien auch mit ihr zu reden. Aber eventuell über andre Themen als die, die sie mit ihm besprechen wollte. Sie hat mir das erst vor kurzem angedeutet, und seither macht mir manches Sinn, was danach geschah.

Eines Tages, nach kaum zwei Jahren, war alles vorbei. Mein Vater schickte uns aufs Land. Anfang Mai. Dort blieben wir dann außergewöhnlich lange. Weder mein Vater noch André ließen sich je blicken. Wir hatten kein Fernsehen und hörten viel später die dräuenden Worte Général de Gaulles im Radio. Das Wort „abîme“ – Abgrund - ist mir im Gedächtnis aus dem Sommer, in dem ich erwachsen wurde.

Norma L.
02.06.2008, 20:25
Neulich war ich wieder an dem Haus, wo der Sommer ’68 heiß und seltsam still unser Leben umhüllt hatte. Meine Mutter redete wenig in jenen Monaten. Sie arbeitete viel und schwer. Sie bestellte das Haus neu, könnte man sagen. Nur um es Ende September sehr gewinnbringend zu veräußern. Sie ließ Frankreich hinter sich. Ebenso meinen Vater, und sogar mich in einer bestimmten Weise.

Ich kehrte noch einmal für ein paar Tage zu meinem Vater nach Paris zurück. In unserer Wohnung war alles anders. Es lebten dort viele Menschen in einem Furor, wie es mir aus heutiger Sicht erscheint. Damals fand ich es einfach aufregend. Meine Mutter hatte, wie mir mein Vater sagte, die wertvollen alten Möbel und Teppiche ihrer Familie aus dem Appartement abgezogen und zurück nach Norden verfrachtet. Die riesigen Salons wirkten plötzlich sehr modern, denn es lagen Matratzen drinnen und bunte Popart Möbel aus Plastik standen herum. An den Wänden gab es, wie mir schien, riesige Comics, die Frauen- und Männergesichter zeigten und Flächen mit schwarzen Punkten. Den Maler hatte mein Vater kurz zuvor kennen gelernt, auf einer Vortragsreise in den USA.

Überall in den Räumen lag Papier: Zeitungen, Bücher, Flugblätter. Riesige Aschenbecher waren randvoll, offene Rotweinflaschen standen auf dem Parkett. Es campierten junge Leute, vorwiegend aus Deutschland und den USA. Wichtige und berühmte, oder wenigstens vielversprechende Gestalten gingen ein und aus. Manche sieht man heute noch im Fernsehen, einige blieben der Politik treu, andere der Musik, der Kunst, dem Kino oder dem Laufsteg, den Medien oder allem zusammen.

Und eine blonde Frau wurde meine Ikone. Sie löste wohl meine Mutter ab als mein Vorbild. Ich war in dem Alter, in dem so etwas passieren kann. Sie war ein wenig jünger als Mama, fast wie eine viel ältere Schwester für mich. Sie schien mir geheimnisvoll, war blendend schön, elegant, still, kühl und konnte auch wieder plötzlich herzlich, lustig und übermütig sein. Manchmal machte sie große Augen, aber meistens hob sie die Lider nicht allzu weit. Wenn sie lachte, bog sich ihr rechter Mundwinkel allerhübschest nach oben und in ihren Augen strahlten Sterne. Sie hatte nichts mit meinem Vater zu tun. Und mich nahm sie freundlich zur Kenntnis in ihrer Nähe ohne mich anzureden. Ich glaube nicht, dass sie wusste, in wessen Wohnung sie fast allabendlich diskutierte, zuhörte, Rotwein trank. Sie war eine Freundin des etwas linkischen Modegenies mit den großen Brillen. Sie war unvergleichlich.

Wie dieser seltsame Mann an ihrer Seite den Weg in unsere Wohnung gefunden hatte, konnte mir mein Vater nie beantworten. Er wusste vielmehr nicht einmal, um wen es sich eigentlich handelte, als ich ihn Jahre später auf Yves Saint Laurent ansprach. Die Frau hat mein zerstreuter Vater damals auch nicht bemerkt, obwohl sie keine Unbekannte mehr war. Catherine Deneuve, meine Ikone.

Was für mich auf diesen Herbst ’68 in Paris folgte, war ein Leben, in dem keine Berühmtheit sich blicken ließ. Wohlbehütet, mit viel Natur und Lernen vergingen die Jahre. Leben bei den Großeltern im Norden. Deshalb ist dieser Lebensabschnitt hier nicht der Rede Wert.

Die erste Begegnung mit einem berühmten Menschen danach war jene im Flugzeug über dem Hindukush, die ich schon erzählt habe. Allerdings war der Mensch damals noch gar nicht berühmt und ich kannte ihn nicht, diesen Amerikaner, der dunkelhaarig und nicht ganz ausgegoren aussah. Als ob seine Augen noch etwas verschwollen wären vor Jugend. Catherine Deneuve hingegen kannte ich von Fotos zu dem Zeitpunkt, als ich sie in der Wohnung meines Vaters traf. Meine Mutter hatte sie im Kino entdeckt und sammelte wohl Zeitungsausschnitte mit ihrem Bild. Ich glaube, sie war auch eine Ikone meiner Mutter. Sie sahen sich auch ein wenig ähnlich, vom Typ her. Meine Mutter eher ein Nordlicht mit hellen Augen. Aber Gestalt, Anmut und Haarpracht kamen in etwa hin. Vielleicht verdanken wir YSLs Auftreten bei uns damals ja den Studien meiner Mutter, als sie, inspiriert und noch hoffnungsfroh in ihrer Liebe zu André, seinen Salon aufsuchte. Vielleicht hat er sie genauso bemerkt wie Catherine, als die sich ihr erstes Kleid bei ihm kaufte. Es könnte dieselbe Zeit gewesen sein. Vielleicht hat Mama ihn eingeladen – kommen Sie doch einmal zum Tee zu uns. Zu so was ist sie immer imstande, wenn sie jemanden interessant findet. Und als er endlich kam, war meine Mutter weg. Und die Revolution hatte sich in den Salons niedergelassen.