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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Dumme Buben



DREA
16.01.2007, 15:38
Wer öfter zwischen München und Berlin unterwegs ist und das auf Fluglinien ohne Lounge, kennt die Typenmelange, die sich bei den am FJS üblichen Verspätungen vor den A-Abflugsteigen die Zeit vertreibt und/oder herum wichtelt. Die männlichen und weiblichen Anzugträger, die bis zur letzten Minute mit ihren Notebooks und Handies hantieren, die ostentativ lässigen Kultur/Medien/Werbemacher und -Wannabees, die Schauspieler und Sternchen, die broilerbraunen Muttis mit Sonnenbrille im Haar usw. usw. . Zu Vermischungen dieser Gruppen kommt es selten und wenn, dann am ehesten an den Stehtischen der Raucherzone.

Heute ist da mal wieder richtig voll. Platzbedingt mische ich mit langjährigem ZDF-Personal, u.a. dem Traumschiff-Fahrer Siegfried Rauch. Der lässt sich gerade von ein paar jüngeren Kollegen zutexten, wirkt überfordert, versucht aber dennoch verbindlich und freundlich zu wirken, während er sich eine Pfeife stopft. Leander Haussmann wäre mir lieber, aber der hat die Raucherzone gerade weiträumig umlaufen. Ist halt wirklich nicht schön hier.

Links von uns buhlen zwei Gruppen von Jugendlichen um Aufmerksamkeit. Die eine könnten prollige JungfriseurInnen auf Kegelausflug sein, die andere eine Boyband. Dafür jedenfalls würde der Mix der etwa 17 bis 22 jährigen Kerlchen stimmen: Ein klassischer Mädchenschwarm in blond und zierlich; ein Schwarzer, auf Gangsta gebürstet mit üppig Strass-verzierter Kunstlederjacke, ein Dreadlock-Träger mit Lippen-Piercing und schmieriger Klempnerfaltenjeans, ein glatter Nachwuchs-Latin Lover und noch ein Blonder, der den Gedichteschreiber- und tiefer-Denker-Typus verkörpern könnte. Dabei zwei Männer Mitte/Ende 30, einer bullig, gross und mit semi-intelligentem Gesichtsausdruck, der andere ist klein, bebrillt und wirkt brunzdämlich. Man spricht Englisch miteinander, sehr laut und zuweilen mit deutlich deutschem Akzent.

Die Boys werfen mit den Namen verschiedener Fernsehsender und Zeitschriften um sich, kieksen, führen sich gegenseitig ein paar Tanzschritte vor und den Mitreisenden, wie wichtig und gnadenlos scharf sie sind. Die FriseurInnentruppe versucht mitzuhalten, stinkt jedoch gnadenlos ab. „Wer sind denn diese Amerikaner und wer die Anderen...“, will Siegfried Rauch wissen und seufzt dramatisch dabei. Ich muss passen, die anderen am Tisch auch, ein nebenan rauchender Geschäftsmann hat zumindest eine Arbeitsthese: „Deutschland sucht den Superdreck, schätzungsweise...“ Dafür erntet er bestätigendes Augenrollen und ein bisschen Gelächter, auch von zwei der „Amerikaner“.

Im Flugzeug sitzt fast die gesamte Boytruppe in den Reihen vor und links von mir. Der Gangsta muss irgendwo hinten sitzen, woran sich auch durch mehrfache, lautstarke Intervention beim Purser nichts ändern lässt. Die Jungs benehmen sich, als säßen sie zum ersten Mal in einem Flugzeug und bekommen vom immer genervterem Personal Ermahnungen für alles zwischen endlich-Telefone-ausschalten und nicht-im-Gang-rumstehen, Anschnallen und „...like I told you, we don’t serve tuna sandwiches on this flight... So hören Sie doch, auf den Kurzstrecken gibt es nur snacks.... Nein, es gibt keine Sonderverpflegung für VIPs...“

50 Minuten später in Berlin bekommen die Jungs endlich das, was sie bisher nicht hatten, ein wohlwollendes Publikum. Das besteht aus etwa 30 Mädchen im Alter zwischen 9 und fünfzehn, die kreischbereit und bewaffnet mit Blumensträußen, Briefchen und Stofftieren am Gate stehen. Der bulligere Betreuer sortiert die Fans schnell und diskret durch und schiebt ein paar niedliche, sehr kleine Dunkelhaarige vor den Mädchenschwarm. Blondie-Boy ist nämlich maximal 1.62m hoch. Um die hochgewachseneren Mädchen zu busseln und ihnen „hey, how are YOU today“ ins Ohr zu raunen, müsste er auf einem Hocker stehen. Der Latino steht Küsschen-technisch zur freien Verfügung. Der Gangsta steht mit dem Denker etwas abseits, ihre Zielgruppe ist offenbar nicht anwesend. Der Gepiercte bekommt immerhin einige Hände und Dinge zum Signieren entgegengestreckt.

Boygroup war also die richtige Vermutung, aber welche weiß ich immer noch nicht, denn die weiblichen Fans stammelm immer nur Vornamen. Erhellung kommt auf dem Weg zum Taxistand, durch einen aufgefangenen Gesprächsfetzen: „...Ja gerade, von München rein, mit Us Five. Alter, die kompletten Scheissnasen von Us5“, brüllt ein mit Gitarrenkoffer und zwei Reisetaschen bepackter Jungmann (aus der FrisuerInnentruppe von vorhin) in sein Telefon, „Us5, diese eingebildeten Spacken, ausgerechnet auf meinem Flieger müssen die sein, diese Dummficker, diese...“ Das ist zwar eine eher unfeine Aussage, aber unterschreiben würd ich sie trotzdem.

Tristram Shandy
16.01.2007, 16:00
War Richie auch dabei? Ich dachte, den hätten seine Eltern eingesperrt!

Dio Pomeranza
16.01.2007, 21:18
Ich hatte vor gut einem Jahr das zweifelhafte Vergnügen, mit US5 verwechselt zu werden. Grund dafür war nicht meine Ähnlichkeit zu den kleinen Pupsen, sondern die Vollvertönung des VW-Busses, mit dem ich vor dem MTViva Gebäude in Berlin vorfuhr. Ich sollte die mir anvertrauten Künstler zu MTV bringen, zeitgleich wurde die Boytruppe bei Viva erwartet. Da sich beide Sender im selben Gebäude befinden und es nur einen Eingang gibt, mussten wir durch den gesamten Kinderbrei pflügen, der sich schon seit Stunden vor den Türen sammelte. Den Lütten reichte der Anblick unseres Busses als Grund zum Schreien und kollektiven Wahnsinnigwerden. Wenn ich schreibe, es vibrierten die Scheiben unseres Gefährtes, ist es in keinster Weise übertrieben. So laut wie diese Masse an euphorisierten Pickelfressen schrie, sind sonst wahrscheinlich nur startende Flugzeuge, Formel1-Autos und Manowar. Als sie dann aber leider feststellten mussten, dass es sich bei uns gar nicht um US5 handelte, verwandelten sie sich schlagartig zu einer Herde glotzäugiger Lämmer, die noch gar nicht realisiert haben, dass ihnen Bauer Heinz gerade den Bolzen durch´s Hirn gejagt hat. Als schließlich die tatsächlichen Us5 auftauchten, wurde die Wiederholung des Prozederes scheinbar für manch zartes Herz zuviel des Guten. Puterrote Kindergesichter, an leblosen Puppenkörpern hängend oder vor Weinkrämpfen zuckend, wurden vom Sicherheitspersonal noch gut eine Stunde später mit Rotkreuzwagen fachmännisch entsorgt, als wir den Rückweg durch den Hintereingang antraten.