Werrnerr
22.08.2006, 20:04
Lafee ist der neue Stern am deutschen Schlagerhimmel.
Sie wünscht ihrer ehedem besten Freundin musikalisch einen Virus an den Leib. Das hat sie so beliebt gemacht. Die CD wird gern gekauft. Ratzeputz ist sie die Numero Uno in Deutschland.
Das Leben kann so einfach sein.
Ich muss jetzt ein wenig ausholen.
Vor irgendwann drei Jahren oder so begann mein Sohn, in einer Band Schlagzeug zu spielen. Er wurde gefragt von einem Jungen, mit dem er entfernt bekannt war. Ich nenne ihn mal Klaas. Klaas behandelte die E-Guitarre. Der wollte zusammen mit einem Keyboarder namens Fiete eine Kombo auf die Beine stellen. „Ich habe auch schon Noten für ein paar Lieder.“ (Diese paar Lieder waren „Smoke On The Water“ und „Lady In Black“, eines der kläglichsten Lieder der Nachkriegsunterhaltungsmusik). In Unkenntnis dieser Hammersongs und der instrumentalen Qualität seiner Mitspieler sagte mein Sohn zu. Sie bildeten von da an die Band „Noxis“. Sie probten mittwochs in meinem Keller. Hin und wieder musste ich in den Proberaum gehen und den Gitarristen fragen, was und warum er da gerade spielte. Es gab das Intro von „Smoke on the Water“, doch ein paar Takte später spielte er solch breiig klingende Akkorde, die ich noch nie gehört hatte, dass ich, euphemistisch gesprochen, neugierig wurde. „Doch“, beharrte er, „das steht hier“, und wies aufs Notenblatt und setzte wieder zum Geräuschemachen an.
In einer ruhigen Minute nahm ich meinen geliebten Sohn beiseite und bat ihn: „Hör dir das bitte mal an“ und spielte ihm die Live-Version des Liedes vor. Dann fragte ich ihn: „Hört sich das, was ihr jede Woche da unten spielt, ähnlich an?“ – „Eigentlich nicht“, antwortete er rehäugig. „Und warum spielt Klaas dann diesen Kappes?“ – „Ach, weißt du“, antwortete er nur, ratlos.
Schlimmer noch als das Guitarren-Geholpere wurde mit der Zeit der Einsatz des Keyboards. Die drei Jungen stellten schnell fest, dass keiner von ihnen singen konnte. Die Lösung hieß: Fiete spielt die Singstimme mit dem Keyboard. Das war aber nur eine Scheinlösung, denn Fiete beherrschte das Instrument nicht angemessen, dass man von spielen hätte reden können. So ertastete er sich wöchentlich die Melodie des Liedes, und an keinem Mittwoch konnte ich eine qualitative Weiterentwicklung feststellen. Ich saß am Schreibtisch im Zimmer über dem Proberaum, unfähig zu arbeiten, weil ich durch einen inneren Zwang angetrieben die Takte zählte bis zu dem Takt, von dem ich wusste, dass Fiete wieder danebengriff. Und so ging das in einer zweistündigen Endlosschleife allmittwöchlich ungefähr ein Jahr lang. (Das letztgültige Argument für Klaasens musikalische Unbedarftheit war die Szene, als er in der Tür meines Zimmers stand und fragte: „Haben Sie die Single „Life is Life“? - Ich verabscheue körperliche Gewalt.)
Zwischenzeitlich gab Klaas der Schülerzeitung ein Interview, in dem er die Gruppe als die ultimative Fetenkombo anpries, die jederzeit buchbar sei, und veröffentlichte zu diesem Zweck seine Mobilnummer. Das war der Punkt, an dem mein Sohn drohte, die Band zu verlassen. Zwei hingerumpelte Siebzigernummern waren ihm als Repertoire zu wenig. Er schämte sich ja bereits, ohne zu spielen.
Es rief gottseidank niemals jemand bei Klaas an. Doch der findige Knabe hatte einen neuen Trumpf im Ärmel. „Ich kenne ein Mädchen, das Lust hat bei uns zu singen. Die hat sogar schon mal beim Kiddie-Contest mitgemacht. Die ist gut. Die will nächste Woche mal zur Probe kommen.“
Ende des Weit Ausholens.
Am folgenden Mittwoch klingelte es an der Haustür. Eine Frau in meinem Alter und ein Mädchen blickten erwartungsvoll auf mich. „Guten Tag. Das Christina sucht ein Band!“ rief die Ältere. Das Christina, eine grienende 13-Jährige, übernahm unbekümmert das Wort: „Ich habe eine CD dabei, wo ich singe. Und dann höre ich mal, was die Jungen so spielen.“ Ich wies ihnen den Weg in den Keller, in den ich mit beiden verschwand. Nach kurzem Hallo begannen die Jungen mit ihrem Spiel. Und sofort setzte das Geholpere wieder ein. Es gab das bekannte Intro, dann kamen wieder die sich breiig aus den Lautsprechern drückenden Akkorde und Fiete suchte auf seinen Tasten die Singstimme, während Schlagwerk und Gitarre ihm davonliefen.
Es gab eine Pause. Eine kurze Diskussion der Knaben mit den Damen. Klaas fragte, welche Musik das Christina singe. „Ich singe Heavy Metal.“ Staunendes Schweigen bei den Musikanten.
Die zukünftige Lafee legte ihre CD in das Abspielgerät und es erklangen Lieder, von denen ich Textzeilen wie „Mama, du hast mich verlassen“ oder „Ich wünsche dir Pickel ins Gesicht“ erinnere. Vielleicht aber auch „Mama, ich wünsch dir Pickel ins Gesicht“. In Körperhaltung und Antlitz meines Sohnes erkannte ich eine neue Form von Verzweiflung. Fiete schien die Darbietung erst gar nicht zu hören. Nur Klaas zuckte rhythmisch und lächelte zustimmend. „Und? Wie findet ihr das?“ fragte das Lafee.
Die Meinung der Band: Fiete: „Och joo.“
Mein Sohn: „Pfffffffffffft.“
Klaas: „Das hört sich ja guuut an.“
So weit wäre das ja konsensfähig gewesen. Doch es gab einen Haken. Als Klaas frage, ob die drei einmal mit Christina auftreten könnten, meinte die Mutter: „ Das Manager hat gesagt, das Band muss über 18 sein. Aber ihr könnt das Christina mal begleiten, wenn sie mal in Aachen spielt.“
Die Meinung der Band: Fiete: „Och joo.“
Mein Sohn: „Pfffffffffffft.“
Klaas: „ Das hört sich ja guuut an.“
Mir war klar, dass hier nicht eine Band die Sängerin sucht, sondern eine Sängerin sucht ihre Band. Das Vorspielen war beendet.
Beim Rausgehen meinte die zukünftige Lafee noch: „Die Jungens waren aber schon süß.“
Epilog:
Klaas verließ die Band „Noxis“ nach zwei weiteren Proben.
Heute spielt er in einer Band namens „Faction Zero“ Rolling Stones Covers (nach Noten).
Zu meinem Sohn und Fiete gesellten sich alsbald Martin und Tobias als Gitarristen, Sängerin Susanne und Bassist Christoph, die Nirvana-, Weezer- und Red-Hot-Chili-Peppers-Covers spielen.
Sie nennen sich „Tabula Rasa“. Sie proben immer noch in meinem Keller.
Und alles klingt sehr hörbar.
Sie wünscht ihrer ehedem besten Freundin musikalisch einen Virus an den Leib. Das hat sie so beliebt gemacht. Die CD wird gern gekauft. Ratzeputz ist sie die Numero Uno in Deutschland.
Das Leben kann so einfach sein.
Ich muss jetzt ein wenig ausholen.
Vor irgendwann drei Jahren oder so begann mein Sohn, in einer Band Schlagzeug zu spielen. Er wurde gefragt von einem Jungen, mit dem er entfernt bekannt war. Ich nenne ihn mal Klaas. Klaas behandelte die E-Guitarre. Der wollte zusammen mit einem Keyboarder namens Fiete eine Kombo auf die Beine stellen. „Ich habe auch schon Noten für ein paar Lieder.“ (Diese paar Lieder waren „Smoke On The Water“ und „Lady In Black“, eines der kläglichsten Lieder der Nachkriegsunterhaltungsmusik). In Unkenntnis dieser Hammersongs und der instrumentalen Qualität seiner Mitspieler sagte mein Sohn zu. Sie bildeten von da an die Band „Noxis“. Sie probten mittwochs in meinem Keller. Hin und wieder musste ich in den Proberaum gehen und den Gitarristen fragen, was und warum er da gerade spielte. Es gab das Intro von „Smoke on the Water“, doch ein paar Takte später spielte er solch breiig klingende Akkorde, die ich noch nie gehört hatte, dass ich, euphemistisch gesprochen, neugierig wurde. „Doch“, beharrte er, „das steht hier“, und wies aufs Notenblatt und setzte wieder zum Geräuschemachen an.
In einer ruhigen Minute nahm ich meinen geliebten Sohn beiseite und bat ihn: „Hör dir das bitte mal an“ und spielte ihm die Live-Version des Liedes vor. Dann fragte ich ihn: „Hört sich das, was ihr jede Woche da unten spielt, ähnlich an?“ – „Eigentlich nicht“, antwortete er rehäugig. „Und warum spielt Klaas dann diesen Kappes?“ – „Ach, weißt du“, antwortete er nur, ratlos.
Schlimmer noch als das Guitarren-Geholpere wurde mit der Zeit der Einsatz des Keyboards. Die drei Jungen stellten schnell fest, dass keiner von ihnen singen konnte. Die Lösung hieß: Fiete spielt die Singstimme mit dem Keyboard. Das war aber nur eine Scheinlösung, denn Fiete beherrschte das Instrument nicht angemessen, dass man von spielen hätte reden können. So ertastete er sich wöchentlich die Melodie des Liedes, und an keinem Mittwoch konnte ich eine qualitative Weiterentwicklung feststellen. Ich saß am Schreibtisch im Zimmer über dem Proberaum, unfähig zu arbeiten, weil ich durch einen inneren Zwang angetrieben die Takte zählte bis zu dem Takt, von dem ich wusste, dass Fiete wieder danebengriff. Und so ging das in einer zweistündigen Endlosschleife allmittwöchlich ungefähr ein Jahr lang. (Das letztgültige Argument für Klaasens musikalische Unbedarftheit war die Szene, als er in der Tür meines Zimmers stand und fragte: „Haben Sie die Single „Life is Life“? - Ich verabscheue körperliche Gewalt.)
Zwischenzeitlich gab Klaas der Schülerzeitung ein Interview, in dem er die Gruppe als die ultimative Fetenkombo anpries, die jederzeit buchbar sei, und veröffentlichte zu diesem Zweck seine Mobilnummer. Das war der Punkt, an dem mein Sohn drohte, die Band zu verlassen. Zwei hingerumpelte Siebzigernummern waren ihm als Repertoire zu wenig. Er schämte sich ja bereits, ohne zu spielen.
Es rief gottseidank niemals jemand bei Klaas an. Doch der findige Knabe hatte einen neuen Trumpf im Ärmel. „Ich kenne ein Mädchen, das Lust hat bei uns zu singen. Die hat sogar schon mal beim Kiddie-Contest mitgemacht. Die ist gut. Die will nächste Woche mal zur Probe kommen.“
Ende des Weit Ausholens.
Am folgenden Mittwoch klingelte es an der Haustür. Eine Frau in meinem Alter und ein Mädchen blickten erwartungsvoll auf mich. „Guten Tag. Das Christina sucht ein Band!“ rief die Ältere. Das Christina, eine grienende 13-Jährige, übernahm unbekümmert das Wort: „Ich habe eine CD dabei, wo ich singe. Und dann höre ich mal, was die Jungen so spielen.“ Ich wies ihnen den Weg in den Keller, in den ich mit beiden verschwand. Nach kurzem Hallo begannen die Jungen mit ihrem Spiel. Und sofort setzte das Geholpere wieder ein. Es gab das bekannte Intro, dann kamen wieder die sich breiig aus den Lautsprechern drückenden Akkorde und Fiete suchte auf seinen Tasten die Singstimme, während Schlagwerk und Gitarre ihm davonliefen.
Es gab eine Pause. Eine kurze Diskussion der Knaben mit den Damen. Klaas fragte, welche Musik das Christina singe. „Ich singe Heavy Metal.“ Staunendes Schweigen bei den Musikanten.
Die zukünftige Lafee legte ihre CD in das Abspielgerät und es erklangen Lieder, von denen ich Textzeilen wie „Mama, du hast mich verlassen“ oder „Ich wünsche dir Pickel ins Gesicht“ erinnere. Vielleicht aber auch „Mama, ich wünsch dir Pickel ins Gesicht“. In Körperhaltung und Antlitz meines Sohnes erkannte ich eine neue Form von Verzweiflung. Fiete schien die Darbietung erst gar nicht zu hören. Nur Klaas zuckte rhythmisch und lächelte zustimmend. „Und? Wie findet ihr das?“ fragte das Lafee.
Die Meinung der Band: Fiete: „Och joo.“
Mein Sohn: „Pfffffffffffft.“
Klaas: „Das hört sich ja guuut an.“
So weit wäre das ja konsensfähig gewesen. Doch es gab einen Haken. Als Klaas frage, ob die drei einmal mit Christina auftreten könnten, meinte die Mutter: „ Das Manager hat gesagt, das Band muss über 18 sein. Aber ihr könnt das Christina mal begleiten, wenn sie mal in Aachen spielt.“
Die Meinung der Band: Fiete: „Och joo.“
Mein Sohn: „Pfffffffffffft.“
Klaas: „ Das hört sich ja guuut an.“
Mir war klar, dass hier nicht eine Band die Sängerin sucht, sondern eine Sängerin sucht ihre Band. Das Vorspielen war beendet.
Beim Rausgehen meinte die zukünftige Lafee noch: „Die Jungens waren aber schon süß.“
Epilog:
Klaas verließ die Band „Noxis“ nach zwei weiteren Proben.
Heute spielt er in einer Band namens „Faction Zero“ Rolling Stones Covers (nach Noten).
Zu meinem Sohn und Fiete gesellten sich alsbald Martin und Tobias als Gitarristen, Sängerin Susanne und Bassist Christoph, die Nirvana-, Weezer- und Red-Hot-Chili-Peppers-Covers spielen.
Sie nennen sich „Tabula Rasa“. Sie proben immer noch in meinem Keller.
Und alles klingt sehr hörbar.