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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Mit Mosi im gläsernen Studio



holgersson
10.07.2006, 17:58
Als es die Kirch-Gruppe noch gab, existierte in München ein Stadtfernsehsender namens „TV München“. Der gehörte offiziell dem Sohn von Leo Kirch, einem geheimnisvollen Thomas Kirch, den nie jemand zu Gesicht bekam. Angeblich gehörten ihm auch die Sender „Pro Sieben“ und „Kabel Eins“. Alle aber wussten: das Gehalt kam in Wirklichkeit vom Alten, von Leo persönlich, der logischerweise im Hintergrund die Fäden zog. Viele Legenden ranken sich um diesen geheimnisvollen Medienmogul. Einige davon sind wahr, vielleicht sogar ja alle. So durchtrieben und machtversessen Leo Kirch auch gewesen sein mag, so viele dunkle Machenschaften er in die Wege geleitet haben mag – letztlich war aber auch er irgendwo unter seiner undurchsichtigen Schale ein guter Mensch. Dank ihm sind wir mittlerweile 30 bis 40 Jährigen nicht mit dem heute üblichen Kinderfernsehdreck, sondern noch mit unbedenklicher Fernsehware groß geworden. Unsere TV-Helden hießen Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga, um nur zwei zu nennen. Die schönen Geschichten über die kleinen, durchgeknallten Schweden haben die meisten von uns eben nicht gelesen, sondern im Fernsehen geschaut. Und das verdanken wir Leo Kirch. Niemand anders kam nämlich auf die Idee, die Werke der großartigen schwedischen Kinderbuchautorin Astrid Lindgren zu verfilmen. Dass er damit einen Grund mehr hatte, Zeit seines Lebens das ZDF abzumelken, wenn der Sender die schönen Kinderschwarten mal wieder ausstrahlen wollte, steht auf einem anderen Blatt. Leo Kirch sorgte in meinem Fall nicht nur für eine unbeschwerte Fernsehjugend, sondern auch, womit ich zum eigentlichen Kern der Geschichte vordringen will, meinen ersten festen und richtig gut bezahlten Medienjob. Sowie die Möglichkeit, in Ruhe Rudolf Moshammer betrachten zu können. Es muss im Jahr 1998 oder 1999 gewesen sein. Ich arbeitete als Redakteur, Reporter und Aufnahmeleiter für die Sendung „Die Große Freizeit“ auf "TV München". Die TV-Show lief jeden Nachmittag 90 Minuten live, sie war eine kleine bunte Nachmittagsrevue, gespickt mit Freizeit-Tipps, Interviews und Showteilen. Wir stellten Bücher vor, filmten Bilder und Skulpturen auf Ausstellungen ab, zeigten die Aufnahmen dann am Nachmittag und hatten berühmte Studiogäste, die sich in der Regel wegen eines Abend-Auftrittes in München aufhielten. Waren sie Musiker, standen sie in unserem 40 Quadratmeter großen Studio und sangen zum Vollplayback ohne Publikum ein Lied, umringt von drei oder vier Kameramännern, die ranzoomten oder aufzogen, sich sonst aber nicht im Geringsten für das Dargebotene interessierten. Besonders lustig wurde dieser Showteil immer dann, wenn ein Stand-Up Comedian eine Nummer brachte. Niemand lachte, höchstens ein Husten aus der Ecke des Tonassistenten war zu hören. War der Auftritt zu Ende, spielte die Regie – ungelogen – Applaus vom Band ein, um Publikum vorzutäuschen. Als einmal die sympathischen Mädels der - nicht mehr existenten - Hamburger Band „Die Braut haut ins Auge“ bei uns auftraten, ahnten sie wohl, welche Prüfung ihnen bei ihrem Auftritt bevorstand, und wappneten sich dafür, indem sie Backstage Bier mit Strohhalmen aus der Flasche tranken. Auf meine Frage, warum sie das tun, antworteten sie: „Das knallt schneller!“ Am Abend, bei ihrem Auftritt im – auch schon nicht mehr existenten – Kunstpark Ost fragten die Mädels ins Publikum, ob sie jemand am Nachmittag in der „Großen Freizeit“ auf „TV München“ gesehen hätte. Nicht einer meldete sich. Und damit zurück ins Studio. In der Regel interessierte sich innerhalb und außerhalb unseres gläsernen Studios niemand für das Geschehen im inneren des Showaquariums. Ob da nun Xavier Naidoo, die Klitschko-Brüder oder Robert Gernhardt (der tatsächlich einmal bei uns war) auf dem Interview-Sofa saßen, draußen vor den Scheiben blieb selten bis nie jemand stehen. Die meisten Passanten waren nur daran interessiert, die unter dem Studio abfahrende S-Bahn zu kriegen. Wir wussten auch nie genau, wie viele Menschen sich für unser ausgestrahltes Programm interessierten. Es gab keine Zuschauererhebungen. Wir sendeten auf Verdacht, wir sendeten alles, jedoch auf professioneller Basis. Eines Tages bekam ich den Auftrag, einen kleinen Einspielfilm für das neue Buch von Rudolf Moshammer, „Ich, Daisy, Bekenntnisse einer Hundedame“ herzustellen. Der Herr Moshammer, so hieß es, würde bald unser Live-Gast sein, das "von seiner Hündin geschriebene" Buch in die Kamera halten und vorher müsste mein Film laufen, damit die Zuschauer wüssten, warum der Herr Moshammer bei uns ein Buch hochhält, das er gar nicht geschrieben hat. Ich begab mich also ins "TV München"-Archiv, besorgte mir viel dort lagerndes Videomaterial von Mosi, und ging damit in den Schneideraum. Es war kein Problem, Videomaterial von Moshammer aufzutreiben. Denn der Münchner „Modezar“ war Abends ständig auf Achse. Egal, welche Premiere, Ausstellungseröffnung oder Käseverkostung anstand, Mosi war immer anwesend. Nicht selten war er auch der einzige aufzubietende Prominente. Viele Radio- und Fernsehreporter machten in diesem Fall auf der Stelle kehrt, sie wollten und sollten nicht noch einen Mosi-O-Ton mit in die Redaktion bringen, denn es gab davon ja schon genug bis zuviel. Mein Cutter und ich machten uns im Schneideraum den Spaß, einfach wahllos irgendwelches Mosimaterial aneinander zu schneiden, wirre Untertitel zu erfinden und das ganze mit Jaulen und Bellen, welches ich im Tonstudio erzeugte, zu unterlegen. Das von Mosi zu präsentierende Buch war immerhin von seiner Hündin verfasst worden, also sollte die auch die Maz vertonen. Ich rechnete dann mit allem: Hausverbot, Kündigung, Gehaltsrückforderung, nur nicht mit dem: mein Beitrag wurde ohne Beanstandungen abgenommen, der Chef vom Dienst meinte sogar „Lustig“. Und dann war es so weit. Der Tag, an dem Mosi kommen sollte, kam. Von Aufregung konnte keine Rede sein, sah doch ein jeder von uns Mosi fast wöchentlich abends irgendwo auftauchen. An Münchner Hauptstraßen wohnende Kollegen konnten sogar täglich seinen Rolls Royce vorbei schweben sehen, auf dessen Rückbank er nicht immer allein saß. Und nun war Mosi bei uns. Er kam pünktlich und tänzelte lächelnd aus dem Fahrstuhl. Sodann fragte er, wo er hin müsse. Die zuständige Kollegin musterte ihn kurz und entschied sofort, dass die Maske nicht mehr in Frage käme. Denn alles, was an Mosis Gesicht zu tun gewesen wäre, war schon erledigt. Die Augen waren perfekt mit Kajal unterlegt, die frisch gepuderte Gesichtshaut glänzte nicht ein bisschen, jedes einzelne Haar seines Schnäuzers lag auf seinem Platz und die berühmte Installation auf seinem Kopf war bombensicher angebracht. Die Hundedame Daisy saß wie immer brav auf seiner Hand, als wäre sie eine Handpuppe. Weil Mosi nicht in die Maske musste, war also vor seinem Auftritt noch viel Zeit übrig. Viel Zeit. In der Live-Show wurde gerade ein anderes Thema, das Anlegen eines neuen Steingartens oder das Bemalen von Ostereiern behandelt, und Mosi stand allein für sich im Rücken der Kameramänner im Studio rum. Dann entdeckte er, dass man aus dem gläsernen Studio rausgucken konnte. Und begann zu winken. Langsam, staatsmännisch, konzentriert und freundlich winkte Rudolf Moshammer nach draußen, in den Durchgangsflur zwischen Cinemaxx, Pelzgeschäft und S-Bahnhof Isartor. Wenn er einen Menschen sich nähern sah, peilte er ihn an und winkte genau in dessen Richtung. Ruhig, Konzentriert und zielgerichtet. Und dieser Mensch, der eigentlich vorgehabt hatte, in die Nachmittagsvorstellung des Kinos zu gehen, registrierte eine Bewegung. Er hielt an und ging durch genaueres Hinsehen der Bewegung aus dem Halbdunkel auf den Grund. Vielleicht sah er erst nur einen Arm. Vielleicht sah er auch sofort, dass er angewunken wurde. Aber auf jeden Fall merkte er erst nach ein oder zwei Sekunden, wer ihn da anwinkte. Und dann: winkte er zurück! Blieb stehen, sah nach, und winkte noch mal! Weil er angewunken wurde. Von Rudolf Moshammer persönlich! Zwanglos, freundlich und zielgerichtet. Mosi grüßte alle, die da lang liefen. Er winkte und winkte. Bis er vom Moderator auf die Couch gebeten wurde. Es kann ja sein, dass der ein oder andere Untergeschoss-Passant diese kleine Episode sofort nach dem Erreichen der S-Bahn oder des Kinosessels vorerst aus seinem Gedächtnis strich. Ich bin mir aber sicher, dass spätestens seit dem Tag, an dem der Münchner Operettenschneider durch ein um seinen Hals gezogenes Telefonkabel gewaltsam zu Tode kam, die Angewunkenen sich wieder an diesen kleinen Augenblick erinnern, wenn die Rede auf Mosi kommt. Den Augenblick, in dem Mosi sie grüßte. Einfach so. Im Vorbeigehen.

Liste
10.07.2006, 18:53
Obwohl ich zu dieser Zeit in München wohnte habe ich den Mosi nie gesehen - aber jetzt seh ich ihn grad winken, aus dieser hübschen Geschichte.

raumoberbayern
10.07.2006, 21:48
Schon halb ewig steht an der Ecke Lindwurm- und Herzog-Heinrich-Straße ein nur einstöckiges Gebäude mit einer traditionellen Münchner Hühnerbraterei und Augustiner Bier im Ausschank. Von den fünfstöckigen Mietshäusern – erbaut um die vorige Jahrhundertwende – hebt es sich deutlich ab. Auf der unverbauten Feuerwand des Nachbargebäudes prangt ein blaues Augustinerlogo. Im heißen Sommer 2003, donnerstagnachts gegen zwölf sehe ich durch die großen Fenster nur wenige Menschen auf den Bänken des Lokals sitzen. Ich stehe an der Ampel, Fenster und Schiebedach offen. Es ist noch immer sehr warm, obwohl ein leichter Wind geht.

Von der Sendlinger Kirche gleitet ein weißes Rolls Royce Cabriolet die Lindwurmstraße herunter. Rolls Royce sind selbst in München selten und als Cabriolet erst recht. Der Wagen fällt schon von weitem auf. Er ist mit beträchtlicher Geschwindigkeit unterwegs. Erst als er viel näher ist, sehe ich den Fahrer. Der hat ein fahles, weißes Gesicht und wirre, sehr schwarze Haare. Er wirkt gar nicht betulich, viel eher entschlossen, geradezu verwegen. Schmaler als auf den bekannten Bildern. Auch hat er keinen Hund dabei: Neben ihm sitzt ein sehr blasser in sich zusammen gesunkener vielleicht 19 jähriger Junge mit Schiebermütze, der wie abwesend den Blick gesenkt hat. Um Mooshammers Hals weht ein weißer Schal im Fahrtwind.