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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Serafin, Harald (ist verloren, am Samstag vor Ostern)



Norma L.
16.04.2006, 23:47
In meinem Supermarkt war heute Mittag sehr viel los. Das verwundert nicht, es steht Ostern vor der Tür und der Beinschinken dort ist berühmt. Vor mir an der Schinkentheke ordert mit tragendem wienerischen Soubrettenorgan eine wohlfrisierte spätblonde Dame im weißen Blazer. Sie kommt mir bekannt vor. Sie möchte Beinschinken nach einem bestimmten Schnittmuster. Mein Supermarkt ist weltberühmt für seine höfliche Bedienung – sie bekommt anstandslos „Bitte gern, gnädige Frau, ist es so recht?“, was sie verlangt. Sie rauscht ab. Ich bin weniger fordernd in meiner Bestellung. Ich deute schlicht auf einen interessant aussehenden Schinken und sage „Fünfzehn Deka davon, bitte.“ „Gnä’ Frau, den Grünen oder den Bunten Spargelschinken?“ Ich sehe ohnehin keinen Bunten und Grün passt doch besser zum Osterfrühstück.

Als ich gehe, fällt mir ein großer älterer Herr mit einer sehr kleinen feinen Einkaufstüte auf, die er raumgreifend schwenkt. Der Herr bewegt sich leicht verwirrt zwischen Schinken- und Fischtheke, streicht um freistehende Gewürzsäulen, blickt scheu um sich, suchend. Obwohl sehr viel los ist, ist er auffallend allein – im Abstand von mindestens drei Metern um ihn kein Mensch. Seine Mundwinkel hängen ein wenig unterm gepflegten grauen Schnurrbart. Ein trauriger verlorener Mann, wenn auch von beeindruckender Statur.

Eins und eins fügt sich nun in meinem Geist zusammen: Die Dame, die vor mir ihren Schinken kaufte, ist die Gattin dieses Mannes, derzeit beliebtester männlicher Fernsehstar in Österreich: Harald Serafin, 75, Operettendirektor der Seebühne Mörbisch (http://www.seefestspiele-moerbisch.at/unternehmen/intendant.htm), ist der Publikumsliebling in der Jury der ORF „Dancing Stars“. Dort gewinnt er die Zuneigung der Zuseher wie auch die der Stars, indem er in höchsten Tönen lobt, was er am Parkett sieht. Als „Mr. Wunderbar“ hat er es aufs Cover des großen bunten Wochenmagazins geschafft. Er schwelgt übermütig im Glück seines unerwarteten Hypes. So hat er - eventuell angeregt durch die Präferenzen des Moderators - vor laufender Kamera seinen Jurynachbarn geküsst und mit einem Heiratsantrag überwältigt, was diesen ursprünglich strengen und ernsten älteren Herrn vom Tanzgewerbe in einen freundlichen und liebenswürdigen Juror verwandelt hat, der sich nun sichtlich mühen muss, nicht im Sog des Brachialhumoristen die Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Hier aber, in diesem Supermarkt, ist Harald Serafin, der vom und für den Zuspruch des Publikums lebt, auf verlorenem Posten. Die italienischen und sonstigen Touristen erkennen ihn nicht, die anderen Kunden imTempel sind sich selber zu fein einem Prominenten nahe zu treten oder ihn auch nur eines Blickes würdigen. Der Effekt auf Harald Serafin ist bestürzend. Er zerfällt - ohne den Glanz im Auge des Betrachters. Ich überlege kurz ihn zu erlösen. Zum Glück steuert nun seine Ehefrau auf ihn zu. Sie lässt in Fernsehinterviews gütiges Augenrollen ob der gezielten und ungezielten Peinlichkeiten Ihres Gatten sehen und kommentiert ihn wie folgt: „Ja, er ist auch Zuhause so. Manchmal wird mir sein Frohsinn zuviel.“

Herr Weber
17.04.2006, 23:15
Wunderbar!

Angelika Maisch
18.04.2006, 00:57
Wie gesagt.
Ein Norma L. eben.

Bartholmy
18.04.2006, 03:31
Kenne nur Supermärkte namens Norma. Würde gern einen weltberühmten Supermarkt kennenlernen (auch Tausch, bitte mit Bild).

Kunta Kinte
19.04.2006, 18:43
Hier? (http://www.meinlamgraben.at/meinl.aspx?target=106742&)

Norma L.
22.04.2006, 19:29
Die letzten Tage haben mich mit einem Schwall erlesener Einladungen gesegnet. Das setzt mich in die Lage, hier noch aus zwei weiteren Wiener Tempelstätten zu berichten. Die darin vorkommenden Prominenten sind zahlreich und weithin unbekannt, vielleicht bis auf Otto Schenk, der heute im Musikverein dem Konzert applaudierte. Leider sah ich ihn dieses Mal nicht selber. Ich könnte davon berichten, wie er letztes Mal mit dem Ex-Vizekanzler Erhard Busek am Pausenbuffet seine Späße trieb. Zwei distinguierte ältere Herren, die miteinander lachen und unverhältnismäßig leutselig in die Menge grüßen. Auch mich, unbekannterweise.

Ich will aber von den Tempeln reden: Der heutige trägt den Namen Musikverein. Der Saal, in dem die Samstagsnachmittagsabonnementkonzerte der Wiener Philharmoniker stattfinden, ist aus dem Fernsehen bekannt, vom Neujahrskonzert. Der Saal ist üppig dekoriert mit nackten Damen aus Gips. Diejenigen, die mit stoischer Miene seit Gedenken den Balkon auf ihren Häuptern tragen, sind pur vergoldet. Diejenigen, die über den Giebeln der Balkontüren lagern, von Alabasterfarbe. Sie wirken in jeder Hinsicht entspannter als die goldenen Koren. Der bekannteste Frauenarzt der Stadt in der Loge gegenüber, ein schöner Mann mit silbernem Haar, Gatte der Kunstgräfin, die soeben den Direktorenstuhl des Belvederes errang, sieht während des ersten Stücks immer mit zurückgelegtem Haupt zu den alabasternen Damen hinauf. Mich wundert das selbstverständlich nicht, denn ich nehme an, dass im Parkett jede zweite Dame zu seinen Klientinnen zählt. Dann später, wenn sich alle durch Musik beruhigt und ihrer kleinen Persönlichkeiten entledigt haben, blickt er zum Orchester. Das heißt, man sieht sein elegantes Profil.

Man hat ja Zeit zu schauen in einem Konzert, zumal aus einer Seitenloge. Man gewahrt tief schlafende Greise, die früher Bankimperien gelenkt haben, auch aufmerksame Männer, die vielleicht einmal Außenminister waren und über den Handschlag mit einem Nazibonzen stürzten. Renommierte Architekten, die in zukünftigen Architekturbüchern zu finden sein werden. Dann Damen, die diesen Namen wahrhaft verdienen. Ungefärbt und stolz, mit funkelnden Juwelen, jedoch nicht übertrieben, es ist ja Samstagnachmittag. Weiters sieht man japanische Menschen, von denen niemand weiß, auf welchem Wege sie zu ihren Karten gekommen sind. Vermutlich über ihren Hotelportier.

Es gibt übrigens auch Plätze, oben am Balkon, gleich neben der Orgel hinten, von denen unter Garantie kein Blick zum Orchester möglich ist. Alles immer besetzt. Schön sind die Plätze auf der Bühne, wo man quasi im Orchester sitzt. Zu einem Abonnement der Philharmonischen Konzerte im Musikerverein – Samstagnachmittag oder Sonntagsmatinée kommt man, wenn man erstens in ferner Zukunft genug Geld für Kultur budgetieren kann und zweitens, indem man jährlich im Frühling ein schriftliches (wenn auch nicht mehr handschriftliches, so doch persönlich unterzeichnetes), ansonsten aber formloses Ansuchen an das Büro der Philharmoniker per Post sendet oder persönlich einbringt. Dann, so klärt uns der Verein auf, bestünde nach heutigem Ermessen die Chance, in dreizehn (13) Jahren sein Abo zu bekommen. Erben ist mittlerweile verboten. Dafür kriegt man dann hoffentlich zukünftig immer noch, wie bisher, Musikgenuss vom Feinsten geboten. Dirigent und Solisten von heute erwähne ich nicht, ich finde sie nicht berühmt genug (aber ich bin Banausin).

Und nun ruft man zum Spargel. Ich eile und werde später von gestern aus der Oper berichten.

Norma L.
23.04.2006, 14:10
In der Oper hingegen war ich am Tag zuvor. In Gesellschaft von zwei Ärztinnen. Man gab „Tristan und Isolde“, was insofern passend war, als dies gewiss die einzige Oper aus dem 19. Jahrhundert ist, in der das Wort „Ärztin“ zweimal vorkommt. Man denke nur, Wagner war gendermäßig wesentlich aufgeschlossener als mancher heutige Schildermacher in Wien. Diese Zunft sieht es doch als äußerst eigenwillig an und leistet hinhaltenden Widerstand, wenn eine Ärztin auf ihrem Ordinationsschild lieber die Bezeichnung „Ärzin für …“ als „Arzt für …“ eingraviert haben möchte. Ich schweife ab.

Oper also, und dazu noch Wagner. Man geht ungefähr zur Jausenzeit hin, damit die Sache noch vor Mitternacht zu einem vernünftigen Abschluss kommt. Dazwischen verweilt man in einem weiteren aus dem Fernsehen sattsam bekannten Raum. Allerdings stelle ich mir den Raum ohne Bestuhlung, so wie am Opernball eben, wesentlich bequemer vor. Andererseits: es gibt diese kleinen Bildschirme an den Rückseiten der Stuhllehnen, die enorm helfen, den gesungenen Text zu verstehen – Untertitel. Eine segensreiche Erfindung, in der Wiener Staatsoper gesponsert von der Telekom Austria. Meine Maschine fiel genau im 3. Aufzug aus, sodass ich den Liebestod am Schirm der Dame rechts vor mir ablesen musste. Ein unbedeutendes Handikap, bedenkt man, womit Tristan und Isolde zu kämpfen haben. Oder die Dame vor mir.

Durch mein erzwungenes Über-die-Schulter-schauen wurde ich nämlich Zeugin eines Versuchs des Gatten der Dame, dieselbe ebenfalls auf einen gemeinsamen Liebestod einzuschwören. Oder wie sollte ich, hollywoodartig bewegt durch Wagners Musik, sonst verstehen, wenn der Mann bei jeder Erwähnung des gemeinsamen Liebestodes auf der Bühne (was ja reichlich früh in der Oper beginnt) seine Gattin lange und intensiv ansieht, indem er ihr den Kopf zuwendet, sich ihr fast unmerklich zuneigt und offenbar hofft, sie möge seinen Blick erwidern? Die vernünftige Frau tat natürlich nichts dergleichen, obwohl das Ehepaar sich eines gesegneten Alters erfreut. Den Höhepunkt dieser Parallelhandlung gab es dann im 3. Aufzug, 2. Szene: zu den Worten (aus Isoldes goldner Kehle) „… uns beiden vereint / erlösche das Lebenslicht! ...“. Da reichte der Mann vor mir seiner Frau tatsächlich die Rechte zum Schwur. Sie schlug nicht ein und blickte weiter starr auf die Bühne.

Mein Gott. Auch in der Oper, Wagner zudem, hat man ja reichlich Zeit zu schauen. Und auch, sich von freier Gedankenflut ergreifen zu lassen. Wo doch im 2. Aufzug die Regie der darstellerischen Behäbigkeit des Helden dadurch entgegenkam, dass das Paar frontal stehend seine „Nacht der Liebe“ auf sich hernieder sinken lassen darf, hinter dunklem Schleier. Allerdings schaurige Röte des Lichts. Morgenrot? Blut? Während dieser düsteren Stimmung fiel mir plötzlich auf, dass auch im Opernparkett das Durchschnittsalter (ebenso wie im Musikverein) vermutlich die demographischen Lebensumstände der Bevölkerung in zwanzig Jahren widerspiegelt. Dann merkte ich, dass beinahe alle Herren des höheren Alters, die vor mir saßen – und ich war immerhin leicht erhöht in der 17. Reihe, diese zackig hochrasierten Nacken über akkuraten Krägen zeigten. Das ganze Todesschwelgen versetzte mich in die Stimmung, die Visconti in den „Verdammten“ zu zeichnen wusste. Wie es eben sein soll in der Oper, war ich von Grauen und Entzücken hin- und her gerissen. Ich hatte zum Glück einen Randsitz.

Wichtig sind natürlich doch die Pausen. Die Wiener Staatsoper ist ja ein hübsches Labyrinth. Den ersten Saft nahmen wir noch im Abendsonnenschein auf der Terrasse. Ein schöner urbaner Ausblick auf die Ringstraße. Andererseits, - aus der Kunstgalerie im Mezzanin des Hauses schräg gegenüber an der Ecke zur Operngasse ist der Blick noch besser, weil man da auch die Oper drauf hat mitsamt all den Straßenbahnen, Radfahrern, Fußgängern, Autos und Pferdekutschen auf der Kreuzung. Die Pausen sind wichtig wegen der menschlichen Grundbedürfnisse, davon eines: Gesehenwerden. Die Roben waren recht gemischt. Vom Sportdress bis zum langen Designermodell, von Jeans bis zum Smoking ist alles vertreten. Was gibt es noch zu sagen zum Thema Pause oder zu den Bedürfnissen? Im Musikverein wie in der Oper - und auch sonst fast überall, wo viele Leute zusammenkommen - gibt es zuwenig Damentoiletten. Ein weltweites Problem, das Architekten bisher grundsätzlich negieren. Andererseits: man versucht dem Übel beizukommen, indem man die Getränke an den Buffets zu unverschämt hohen Preisen anbietet, was sicherlich dazu führt, dass manche Damen auf ein Gläschen verzichten.

Nach dem Liebestod gab es Applaus, der sich steigerte und an sich selbst berauschte, von eleganten Bravorufen durchzogen wurde und den Sängern Gelegenheit gab, noch einmal eine halbe Stunde auf- und wieder abzutreten. Standing Ovations entstanden durch Gäste, die nach draußen drängten aus den engen Reihen. Das Orchester hatte nach einer etwas hingenudelten Ouvertüre (sagen mir die musikalischen Ärztinnen) noch zur Höhe seines Könnens gefunden. Die alte Dame vor mir ging nach drei Vorhängen wortlos und erhobenen Hauptes vor ihrem romantisch todestrunkenen Gatten hinaus ohne einen gefährlichen Blickwechsel mit ihm zu riskieren.

Buschfunk
23.04.2006, 15:30
...

DREA
23.04.2006, 20:44
Dankt, dabei vollständig und nicht unelegant bekleidet, für Lesefreude.

Elli Kny
25.04.2006, 19:38
Gestern hatte ich bei Juxwitte 8 Melonen gekauft, ich war also theatralisch eingestimmt, als ich mich nach langen Märschen meinem Heimatplatz näherte und von aller Weite erkannte ich ihn sofort: Harald Serafin.

Zweimal haben wir uns bereits gegrüßt. Einmal grüßte er aus seinem Auto heraus. Mit Verbeugung. Ich verneigte mich daraufhin auch, obwohl ich mich seines Grüßens wunderte, gelte ich doch also wenig verwechslungsgefährdet.

Gestern also das Retourgrüßen. Ich grüßte höflich mit freundlicher Mimik und Verbeugung: Grüß Gott. Er tat es mir gleich, danach gingen wir unserer Wege. Er trug ein himmelblaues Sakko.

Alberto Balsam
25.04.2006, 21:49
Eine Melone wiegt im Schnitt 6 Kilo, also trugst Du 48 Kilo übern Rudolfsplatz?

Elli Kny
26.04.2006, 13:40
Obst stimmt mich noch nicht theatralisch und gibt es auch nicht bei JUX-Witte zu kaufen.
Tatsächlich war der Transport der Melonen nicht einfach, ich überlegte sogar sie kurzerhand aufzusetzen und mich zum Narren zu machen.

Übrigens, ich suche noch Melonensponsoren! 7,8€ pro Stück. Interessiert?

Murmel
26.04.2006, 13:56
Gibt es Melonen in Größe 63?

slowtiger
26.04.2006, 23:33
bittewas, so billig?
Ich könnt eine neue gebrauchen. 57?

Lis
26.04.2006, 23:48
Endlich eine Damen-Melone Größe 55 gefunden, um den netten Vorschlag der Verkäuferin zu hören.
"Damenhüte in Ihrer Größe sind eher selten. Wollen Sie nicht vorsichtshalber gleich BEIDE Modelle mitnehmen?"

Elli Kny
27.04.2006, 13:55
Ich wusste gar nicht, dass so reges Interesse an Melonen besteht. Doch leider benötige ich die Melonen für ein Tänzchen.

Die Qualität der Hüte ist, wie der Name des Geschäftes JUXWITTE schon suggeriert, lachhaft und one size.

Ich habe mich schlecht ausgedrückt: also, ich verkaufe keine Melonen, doch habe ich nun 8 Stück so zum Spaß um 63,20€ gekauft für das Tänzchen.
Ich überlegte wie ich wohl diese Ausgabe wieder hereinbekommen könnte...und suchte nach Sponsoren.

Der Name des Sponsors würde dann in der Melone stehen und auf ewig in der Schubertschule hinterlegt sein.

Interessierte bitte weiterhin melden!

@Herlis: Hi!