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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : Josefine Hawelka vertreibt den Dritten Mann (Rekonstruktion)



Goodwill
31.03.2006, 19:13
Die folgende Geschichte war mal bis zum Forums-Crash im Herbst mein 1000. Posting und soll es nun nochmal werden. Der Original-Strang ist nie wieder aufgetaucht.

Josefine Hawelka vertreibt den Dritten Mann

Der Hunger war unser steter Begleiter bis Wien; quasi der Dritte Mann. Rund 500 Kilometer hatten wir mit dem Fahrrad von München aus zurück gelegt. Und weil wir noch Schüler waren, musste alles auf die extrem billige Tour gehen. Im Chiemgau hatten wir bei einer Freundin übernachtet, in Passau auf einer Vorgartenterrasse, im Österreichischen hörten wir uns Schneewüstengeschichten aus dem Russlandfeldzug an und bekamen für unsere Geduld das Gästezimmer eines wildfremden Rentnerpaares. Die nächste Nacht hörten wir dann wieder in einem Melker Heuschober die Mäuse rascheln. Wo immer ein Obstbaum seine Äste über unseren Weg hängen ließ, griffen wir zu. Ansonsten ernährten wir uns von Aldi-Schwarzbrot mit Konservierungsmitteln und Schmelzkäse-Ecken in den Geschmacksrichtungen Gurke, Paprika und Normal. Dieser unser Hauptproviant hatte nur einen Spottpreis gekostet, hielt sich prima in den Satteltaschen und konnte optimal rationiert werden.

In Wien angekommen, machten wir vorübergehend einen auf mondän: Stockbetten in einer Jugendherberge, Eintrittskarten für das Schmetterlinghaus, Rei in der Tube. U-Bahn-Karten natürlich nicht, denn wir hatten ja Torpedo-Drei-Gang und dazu Schwarzbrot-Käse im Blut. So erforschten wir die Innenbezirke.

Gegenüber von einem Imbiss mit schwierigem Namen und einer betörenden Vielfalt an belegten Broten, versteckte sich damals (wie vermutlich heute) das Café Hawelka hinter einem Mauervorsprung. Es sah wunderbar schlampig aus und musste eins von den Cafés sein, von denen man sich auch außerhalb Wiens immer erzählte: Ein Lokal für Lebenskünstler, Tunichtgute und alte Tanten.

Nachmittag, der Himmel zog just zu, die Gelegenheit war günstig. Wir betraten den dunklen Raum mit kleinen Tischen, fischten uns – informell unterversorgt wie wir ebenfalls waren - einen Stapel Zeitungen zusammen und nahmen Platz. Ein richtiger Herr mit Fliege und einem speckigen Smoking trat an unseren Tisch. Ich bestellte einen Großen Braunen und Torte. Thomas bestellte: „Nichts, bitte."

Darauf ging ein Ruck durch den Herrn Ober. Er sagte den schönen Satz: „Bedaure, das geht leider nicht, eine Konsommation muss schon sein." Soll einer gegen Latein sagen, was er will, aber wir hatten immerhin verstanden. Stante pede war ich konsterniert und drauf und dran meine Bestellung zu stornieren. Thomas rollte derweil die „Le Monde" wieder um ihren Zeitungsbügel, stand schicksalsergeben auf und sagte: Dann muss ich wohl draußen warten. Aber bitte beeil Dich mit dem Kaffee. Ich glaube, es fängt gerade an zu regnen und ich habe keine Jacke dabei.

Mindestens den letzten Satz hatte die kleine Dame des Hauses mitgehört. Sie war aus dem Nichts gekommen. Nun erkundigte sich bei dem wohlgenährten Herrn Franz, was los sei. Der wiederholte nur trotzig, dass eine Konsommation schon sein müsse. Thomas, bereits halb in Gehen, fügte noch an, dass er sich gegenüber in einen Hauseingang stellen wolle, damit er bei dem Wind nicht so frieren müsste. Er trug im Wesentlichen ein T-Shirt und eine zerknitterte kurze Turnhose. Dann machte er sich auf.

„Das kommt nicht in Frage, dass Sie draußen warten", fuhr Frau Hawelka Thomas an. Sie schickte Herrn Franz wie zur Strafe in eine weit entfernte Ecke des Cafés, sagte, wir sollten uns keine Sorgen machen, hier würde niemand bei Regen vor die Tür geschickt und fragte, was Thomas denn bestellen wolle. Seinen Informationshunger ließ sie gelten, bestand aber darauf, dass er zusätzlich auf Kosten des Hauses Kaffee und Kuchen bestellte, er sähe so ausgezehrt aus. Sie kenne es, wenn man kein Geld habe. Das sei doch nicht schlimm. Aber das hier sei Wien und außerdem ihr Caféhaus. Sie wolle sich gerne bei Thomas für ihren Ober entschuldigen, der habe es nicht so gemeint.

Wir waren jung, mager und platt. Hier schlug offenbar einem von uns ein goldenes Herz entgegen. Während ich meinen regulären Kuchen gabelte und Bezahlkaffee nippte, kam Thomas in den Genuss von zwei Tellern mit knusprigen Randstücken aller Art. Auch ein Zweitkaffee stand, als er nötig wurde im Nu vor ihm. Alles herangeschafft von dieser dynamischen Dame in den Siebzigern, die uns immer wieder zulächelte. Um einen guten Eindruck zu hinterlassen, lasen wir dann demonstrativ alle wichtigen fremdsprachigen Zeitungen.

Ich zahlte schließlich bei Herrn Franz. Thomas fand ein paar schöne Dankesworte, die Frau Hawelka aber mit verschiedenen Handbewegungen in die Ritzen der Cafévertäfelung wischte. „Ich hätte nur eine Bitte", raunte sie uns verschwörerisch zu, als sie Thomas ein paar Servietten zum einwickeln der übriggebliebenen Kuchenrandstücke gab, „erzählen`s niemandem davon. Ja?" Wir haben es versprochen.


Einem Nachruf entnehme ich, dass Josefine Hawelka, 91, am 22. März 2005 in Wien an Herzversagen gestorben ist. Sie war eine meiner besten Erinnerungen an Wien.

Jeremy
31.03.2006, 20:35
Die Geschichte wurde auch von Caliste schon mal im Google Cache ausgegraben: Urhawelka von Goodwill (http://www.google.com/search?q=cache:iSXRn5nUuxkJ:www.hoeflichepaparazzi.de/forum/printthread.php%3Ft%3D23140+josefine+hawelka+goodwill&hl=de), textgleich, aber mit den Kommentaren dran für Sentimentale.

DonDahlmann
01.04.2006, 02:53
Und das schreibt der Mann (also Goodwill, nicht das ewige Kind Jerry) bevor er 12 Pferderouladen und allen Rosenkohl ißt.